Der Krieg ist die Fortführung der Politik mit anderen Mitteln, wie schon der preussische Militärtheoretiker Carl von Clausewitz erkannt hat. Man kann auch meinen, er sei ihre Perversion. Der Journalist ist Mittler zwischen Politk und Gesellschaft, sei es als Propagandist der Regierenden, als ihr Interpret oder ihr Kritiker. Dieselbe Funktion hat er auch während des Krieges. Nur arbeitet er dann unter den verschärften Bedingungen des Ausnahmezustands. Selbst Demokratien, die sich als liberal verstehen, schränken im Kriegsfall die Freiheit der Berichterstattung ein oder versuchen, sie ganz abzuschaffen. Denn es geht nach dem Selbstvertsändnis der Kriegsherren um Sieg oder Niederlage, um Überleben oder Untergang. Der Journalist sollte dagegen im Sinne der Clausewitzschen Definition in der Lage sein, den Krieg als politisches Geschehen zu begreifen und zu beurteilen und dementsprechend zu berichten. Es sei denn, er versteht sich als Propagandist.
Kriegsberichterstattung ist ein Extremfall und eine Herausforderung für den professionellen Journalisten. Oft setzt er seine persönliche Sicherheit aufs Spiel. Der Zugang zu unabhängigen Informationsquellen ist ihm verwehrt, wenn er sich nicht mit der einen oder der anderen Seite gemein macht, sitzt er oft genug zwischen allen Stühlen und wird von allen angefeindet. Er darf den Massstab der Normalität nicht aus den Augen verlieren in einer Situation, in der Politik pervers geworden ist.
Kriegsberichterstattung erregt eine hohe Aufmerksamkeit. Je näher der Krieg rückt, desto mehr fühlen sich Leser, Hörer oder Zuschauer persönlich betroffen. Das Ausmass der menschlichen Tragödie, die sich mit Kriegen immer verbindet, erschüttert, macht ratlos … und eben auch neugierig.Das ist der Voyeur-Effekt. Das Fernsehen holt heute die Kriege aus den entferntesten Winkeln der Welt unmittelbar und zeitgleich in die Wohnstube. Es gibt keinen Zuschauer von Nachrichtensendungen, der nicht diesen Bildern ausgeliefert ist.
Wer sind die Kriegsberichterstatter? Was kann Kriegsberichterstattung leisten und was nicht? Kann Kriegsberichterstattung zur Überwindung von Kriegen beitragen? Diese Fragen haben wir uns gestellt und dazu das folgende Dossier zusammengetragen.
Um die Akteure geht es im ersten Teil. Wir nennen Sie Medien-Krieger, wie sie auf allen Kriegsschauplätzen dieser Welt anzutreffen sind. Sie tretten oft als Stars auf, manchmal auch als Abenteurer. Wenn sie seriös seine wollen, nennen sie sich – wie Christoph Maria Fröhder – Krisen-Reporter, ernsthaft bemüht, den Krieg und seine Hintergründe zu dokumentieren. Die Kameraleute, die den Fernsehreporter begleiten, und die Fotografen wollen den Krieg abbilden, das ultimative Bild knipsen, die Realität des Krieges sichtbar machen (Günay Ulutuncok und Hacky Hagemeyer). Meistens im Hintergrund bleiben die sogenannten Stringer, die lokalen Hilfskräfte. Sie helfen ihren Arbeitgebern, die Sprache der Interviewpartner und ihre Lebensbedingungen zu verstehen. Sie sammeln Informationen, arrangieren Kontakte und sind oft, als eine Art Vorhut ihrer Chefs den gefährlichsten Situationen ausgesetzt (Ahmed Jimale). Der Redakteur in der Heimat verwaltet die Reporter und Korrespondenten, steckt den Rahmen für ihre Berichte ab, berät sie, wenn notwendig, und hält ihnen den Rücken frei (Jörg Armbruster). Als passiver Medienkrieger sitzt der Zuschauer vor dem Fernseher und lässt den Krieg über sich ergehen, konsumiert ihn, genervt, fasziniert oder neugierig (Rosemarie Wenzel).
Die Medien-Krieger prägen als Vermittler die Wahrnehmung des Krieges. Die von uns sogenannten Medien-Denker fragen sich, welche Auswirkungen die Kriegsberichterstattung hat. Maraike Wenzel blickt zurück in ihre Geschichte, in eine Zeit, in der es noch kein Fernsehen gab. Martin Löffelholz beschäftigt sich mit der Gegenwart, untersucht die Bedingungen, unter denen Journalisten arbeiten und das Verhältnis von Sicherheitspolitik und Kriegsberichterstattung. Mit einem zur Zeit sehr auffälligen Aspekt der Kriegsberichterstaatung setzt sich Ulrich Kienzle auseinander: der Desinformation. Wie sich im Irak, im sogenannten Krieg gegen den Terror beobachten lässt, setzen die Kriegsparteien bewusst auf ein Verwirrspiel. Was wirklich geschieht, soll, wenn irgend möglich, verschleiert werden. Die meisten amerikanischen Journalisten sind nach dem Beginn des Irak-Krieges den Propagandisten ihrer Regierung auf den Leim gegangen. Vielleicht auch, weil es ihre eigene Regierung war. Armin Stauth meint, die Nationalität der Journalisten beeinflusse ihr Berichts-Verhalten. Alle sind den schrecklichen Bildern, den schrecklichen Ereignissen ausgeliefert, die Zuschauer vor dem Bildschirm, die Journalisten im eigenen Erleben. Fee Rojas schreibt über die Traumata, die die Reporter – ebenso wie die Soldaten – mit nach Hause nehmen. Dieser Kollateralschaden der Kriegsberichterstattung wird immer noch weitgehend tabuisiert.
Die Frage, ob sich Kriege vermeiden lassen, überschreitet den Rahmen dieses Dossiers. Wir fragen uns im dritten Teil, ob Kriegsberichterstattung anders aussehen kann. Tilman Wörtz von „Peace Counts“ stellt eine Friedens-Berichterstattung der Kriegs-Berichterstattung gegenüber, als Alternative und Ergänzung. Oliver Stoltz, Regisseur des Uganda-Films „Lost Children“ plädiert für eine langfristigere und mehr Menschen-bezogene Beobachtung von Kriegen und ihren Folgen. Der Dokumentarfilm und im weiteren Sinne der Spielfilm zeigen andere und möglicherweise tiefer gehende, näher berührende Aspekte des Geschehens. Sonia Mikich, prominente ARD-Redakteurin, sammelte ihre Kriegserfahrungen in Tschetschenien. Sie fordert mehr Hintergrund und Kontinuität, damit das Fernsehen seinen Informationsauftrag erfüllt. Um die Unabhängigkeit der Journalisten handelt es sich in dem Interview, das Robert Piterek mit Katrin Evers führte, der Pressesprecherin von „Reporter ohne Grenzen“. Diese Organisation verteidigt die Freiheit der Berichterstattung gegen äußere Einflüsse auch im Kriegsfall, sei es von Seiten der Redaktion, der Regierung oder der kriegsführenden Parteien.
Ausserhalb des Dossiers geht es auch in zwei Ansichtssachen um Kriegsreporter: Ashwin Raman polemisiert gegen unverantwortliche deutsche Journalisten, die über Afghanistan im Jahr 2003 berichten, und Hans Hübner erzählt seine Erfahhrungen als unverhofftes Mitglied einer verschworenen Gemeinschaft in einem Hotel in Luanda im Jahr 1975.
Stell Dir vor, es wäre Krieg, und keiner sähe hin. In der heute vom Fernsehen dominierten Mediengesellschaft ist das nicht vorstellbar. Der Fernsehzuschauer – er repräsentiert heute die grosse Mehrheit – kommt am Krieg nicht vorbei. Und deshalb steht das Fernsehen auch im Mittelpunkt unserer Überlegungen. Bilder emotionalisieren, ehe sie informieren. Bilder erschweren eine kritische Distanz zu dem, was sie zeigen.
Unser Dossier will mit seinen Beiträgen über Erfahrungen, mit den Analysen und perspektivischen Betrachtungen Material für weitere Diskussionen bieten.