22. Oktober 2007 | Medien

Wie verwaltet man die Kriegsberichterstattung?

von Jörg Armbruster. Stuttgart


Wie geht ein verantwortlicher Abteilungsleiter mit Kriegsberichterstattung um? Der Reporter wie der Redakteur müssen abwägen, welchen Wahrheitsgehalt eine vorliegende Nachricht angesichts der versuchten Desinformation hat. Was heute fehlt, ist eine Hintergrundberichterstattung.

Lesezeit 5 Minuten

Ein Schlachtfeld, das scheint für einige Reporter so etwas zu sein wie ein Abenteuerspielplatz, illuminiert von einem Feuerwerk, ein aufregendes Lichterspiel mit einer bombigen Geräuschkulisse. Das Bild vom Kriegsreporter, das in den Köpfen mancher meiner Kollegen irrlichtert, sieht ungefähr so aus: Lederjacke, düsterer Blick, der sagt: „Ich habe schon so ziemlich alles gesehen“, dazu noch ordentlicher Alkoholkonsum, Whiskey natürlich passend zu rauen Stimmen und den drei Scheidungen, die der ‚verdammte Beruf’ halt so mit sich gebracht hat. Andere Reporter verstehen das Wort vom Kriegsspiel allzu wörtlich. Sie meinen, ein Kurzeinsatz in Afghanistan könne sie von der angeblichen Langweile der Regionalberichterstattung erlösen, wenn auch nur für drei Wochen. Schließlich gibt es noch jene Kollegen, die glauben, durch einen Einsatz als Kriegsreporter ihre Karriere beschleunigen zu können. Gerade die letzteren sind nicht wenige. Krieg und Kriegsberichterstattung sind außerdem beliebte Kantinengespräche, besonders dann, wenn man gerade aus einem Krisengebiet zurückgekommen ist.

Immer wieder klopfen solche Kollegen an und versuchen sich als Kriegs- oder Krisenreporter anzupreisen, zuletzt eine Kollegin aus dem Lokalprogramm, die dringend nach Afghanistan wollte. Sie habe aus sicherer Quelle gehört, dort stünde eine Offensive unmittelbar bevor, und der kommandierende General, ein Deutscher, würde „nur Reporter vom SWR mitnehmen“. Sie meinte es ernst. Das Telefon ging vermutlich in Trümmer, als sie nach meinem Nein den Hörer voller Wut auf die Gabel knallte. Deswegen sind mir jene Reporter die liebsten, die von vornherein zugeben, sie gingen nicht in ein Krisengebiet. Einmal wegen der Familien, dann gestehen aber auch die ganz Ehrlichen unumwunden ein, sie hätten Angst.

Der SWR hat inzwischen klare Vorgaben gemacht für den Einsatz in Kriegs- und Krisengebieten. Eine davon heißt: Hammelburg, das ist jener unterfränkische Bundeswehrstandort, an dem die Krise vorweggenommen werden soll. Eine Woche lang simulieren Journalisten und Soldaten Krieg: wie soll sich ein Reporter im Fall einer Geiselnahme verhalten, wie bei Beschuss. Was soll er tun, wenn Panzer auf ihn zukommen? Wie kann man Sprengfallen erkennen? Der ganze Krieg in einer Woche. Am Ende ist er aber kein Reporter in Tarnuniform, sondern einer, von dem wir hoffen, dass er Risiken besser einschätzen kann. Vielleicht bilden wir uns das alles auch nur ein, denn von Jahr zu Jahr sterben immer mehr Reporter bei Einsätzen vor gefährlichem Ort.

Wem trauen wir also zu, als Kriegs- und Krisenreporter nach draußen zu gehen?
Sensationsgier, Effekthascherei, durch „Heldentum“ seiner Karriere einen Schub verpassen zu wollen, das sind Ausschlussgründe. Wer in einem Gebiet als Reporter arbeiten will, das vielleicht morgen schon wochenlang bombardiert wird, der muss folgende Frage mit einem klaren Ja beantworten können: „Bin ich tatsächlich derjenige, der solchen Stress aushält, eine Situation, die vielleicht sogar lebensgefährlich sein wird? Bin ich derjenige, der dann noch die Nerven behält und auch noch sachlich und wahrhaftig berichten kann?“
Als Faustregel gilt: in jedem von einem Krieg heimgesuchten Land herrscht Zensur. Informationen werden gefiltert, aus Niederlagen Siege gemacht, aus fliehenden Soldaten angreifende Helden. Wahrheit und Krieg schließen einander aus. Die Frage ist also nicht: wird gelogen? Die Frage ist: wer lügt besser und schneller. Der irakische Informationsminister Sahhaf wurde während des letzten Irakkrieges nur deswegen zur weltweiten Lachnummer im Geschäft der Desinformation, weil seine Irreführungen allzu durchschaubar waren. Andere Staaten haben versucht, mit geschickterem Täuschen und Tricksen ihre Kriege zu legitimieren.
Teil solcher Desinformationskampagnen sollen nach Vorstellungen der Kriegsparteien möglichst auch der Reporter sein und das Programm, für das er arbeitet: er soll berichten, was sie für richtig halten, und sie tun alles, um ihn fest an die Hand zu nehmen. Denn „es kommt nicht darauf an, was passiert ist. Sondern darauf, wie es auf CNN rüberkommt,“ sagte einmal ein israelischer Presseoffizier. Sowohl Reporter wie auch Deskredakteur müssen sich diese Einstellung der Militärs bewusst machen und sich also als allererstes fragen: „Kann ich mich von solcher Umklammerung frei machen und das berichten und senden, was ich für wahr halte? Kann ich also recherchieren und Informationen sammeln unabhängig von den Kriegsparteien?“ Es gehört also eine große Portion Souveränität dazu, sich in Krisensituationen als ein an der Wahrheit interessierter Berichterstatter zu behaupten. Das gilt für den Reporter.
Das gilt auch für ‚Deskredakteure’. Auch sie müssen eine gute Portion Souveränität mitbringen. Sie müssen als Steuerstelle der Berichterstattung aus dem Ausland sich genauso um Sachlichkeit und Wahrheit bemühen wie der Reporter vor Ort, und sie müssen wissen, wann sie unter Umständen einen Reporter wieder abziehen sollen. So lange vor Ort lassen wie eben möglich, ist sicherlich eine Faustregel. Wenn er aber aus Sicherheitsgründen das Hotel nicht mehr verlassen kann, dann gerät allmählich der ganze Einsatz in Zweifel. Dann müssen die Deskredakteure entscheiden, zur Not auch gegen den Willen des Reporters, der verständlicherweise nicht auf seine publikumswirksamen Aufsager und Schalten auf der Hotelterrasse verzichten will.
Als Beispiel der Irak und die Berichterstattung aus Bagdad. Bis in den Herbst 2004 unterhielt die ARD ein eigenes Büro in Bagdad in einem gut bewachten Hotel. Es war permanent besetzt, entweder mit dem damaligen Nahostkorrespondenten oder einem seiner Vertreter. Im gleichen Hotel war auch das Team vom ZDF untergebracht. Eine klare Konkurrenzsituation, in aller Freundschaft. Im Herbst nahmen die Entführungen dramatisch zu, für Ausländer wurde das Leben gefährlich. Die Reporter verließen immer seltener ihr Hotel, um draußen zu recherchieren. Jede Fahrt durch die Straßen von Bagdad war mit hohem Risiko verbunden. Damals beschlossen ARD und ZDF ihre Mannschaften abzuziehen und nur zu besonderen Ereignissen wie Wahlen nach Bagdad zu schicken und nur nach gegenseitiger Information. Eine heimlich Wiedereinreise in den Irak sollte es also nicht geben. Einen riskanten Wettlauf um die erste Schalte wollte man so vermeiden. Konkurrenz kann belebend sein, in Kriegs- oder Krisensituationen aber auch tödlich. Diese Absprache funktioniert leidlich bis heute.

Korrespondenten und Auslandsreporter arbeiten in erster Linie für aktuelle Sendungen, für die Tagesschau oder Tagesthemen zum Beispiel. Auslandsredaktionen können durch Sonderformate Hintergrund zu Kriegen, Konflikten und Krisen bieten: Brennpunkte, aktuelle Dokumentationen usw. Sie sind also in erster Linie zuständig für lange Hintergrundgeschichten. Während des Libanonkrieges im Juli/August 2006 machten wir mehrere Brennpunkte und eine Dokumentation zur Geschichte der Hisbollah, die zwar erst um 23.30 gesendet wurde, aber auch zu dieser nachtschlafenden Zeit noch erstaunlich viele Zuschauer erreichte.

Kriegsberichterstattung gilt bei vielen Kollegen aber auch bei Zuschauern und Lesern als die Krönung eines Reporterlebens. Wer als Kriegsreporter unterwegs ist, sammelt Prestige und Anerkennung wie Soldaten Medaillen. Ein schlechter Kriegsreporter genießt leider oft höheres Ansehen als ein guter Reporter über friedliche Themen. Bedauerlich. Genauso bedauerlich, wie die Tatsache, dass Kriege quotenträchtig sind zumindest in den ersten Wochen. Aber auch zu Kriegszeiten gibt es Themen, bei denen keine Bomben fallen und die daher vielleicht weniger Quote bringen. Hintergrundgeschichten zum Beispiel. Der Mut, solchen Themen das Programm zu öffnen, dieser Mut kann wichtiger sein als der Aufsager neben einem zerstörten Panzer.

© Jörg Armbruster, 22.10.2007



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