26. November 2007 | Kriegsberichterstattung

Der Kriegsfotograf

von Nina Liz Petig. Köln


Guenay Ulutuncok und Hacky Hagemeyer sind Fotografen, die beide in der linken Szene in Köln zu arbeiten begonnen haben und dann die verschiedensten Kriegs-Schauplätze erlebten. Sie verstehen sich nicht als Abenteurer und bemühen sich um kritische Distanz zu ihren Bildern. Es müsse nicht jeder Horror fotografiert werden, sagt Guenay Ultuncok. Es gebe Grenzen. Nina Petig sprach mit beiden.

Lesezeit 8 Minuten

Guenay Ulutunçok wirkt cool. Er ist stilvoll gekleidet, trägt eine Schiebermütze in Glencheck-Optik und einen beigefarbenen Trenchcoat. In seinem Atelier steht eine glänzende, italienische Espresso-Maschine, an der Wand, direkt über dem dunklen, hohen Tisch mit den Barhockern, hängen große, hölzerne Masken. Er bietet exquisiten Rotwein an. Das Interview leitet er ein mit den Worten: „Einfach loslegen. Ich lese nur nebenbei meine E-mails.“

Hacky Hagemeyer hingegen wirkt zugänglicher. In der gemütlichen Atmosphäre eines Kölner Cafés bestellt er einen einfachen Kaffee, dazu etwas Milch. Die ersten Schlucke schlürft er mit dem Kaffeelöffel. Seine Kleidung ist funktional. Er spielt mit dem Reißverschluss von seinem dunkelblauen Fleece-Pulli. „Wir sitzen hier im Café und freuen uns auf das spannende Interview“, textet er als Probe für das Aufnahmegerät.

Guenay Ulutunçok und Hacky Hagemeyer sind unterschiedliche Typen. Doch die beiden Männer haben etwas gemeinsam. Sie sind Fotografen. Sie haben in Krisen- und Kriegsregionen der Welt für stern, Spiegel, Focus und andere Magazine gearbeitet. Ihre Karrieren sind auffallend ähnlich. Beide kommen aus der linken Szene.

„Ich bin durch den Krieg auf unseren eigenen Straßen zur Fotografie gekommen“, sagt Hacky Hagemeyer. Er fing als Hausbesetzer an, zu fotografieren, dokumentierte die Auseinandersetzungen um den Häuserabriss und entlarvte einen Beamten vom Verfassungsschutz. Als sich zeigte, dass sich mit der Dokumentarfotografie politisch etwas bewegen ließ, brach er sein Studium der Sozialarbeit ab. „Ich wollte Sozialarbeiter werden, weil ich politische Sozialarbeit machen wollte, keine Einzelfallhilfe. Aber schon gegen Ende des Studiums war absehbar, dass dafür die Gelder zurückgezogen werden würden. Deswegen hatte das Studium für mich keine Perspektive mehr.“ Die Fotografie hingegen schon. Eines seiner Bilder schickte Hacky Hagemeyer damals einfach zum stern. Es erschien zwei Monate später auf einer Doppelseite im stern-Jahrbuch.

Guenay Ulutunçok hat es „gerade noch geschafft“, das Architekturstudium abzuschließen, sich dann aber doch für die Fotografie entschieden. „Ich habe damals ehrenamtlich für das Kölner Volksblatt gearbeitet, allerdings nicht nur als Fotograf, sondern auch als Grafiker und für den Zeitungsvertrieb. Als Student habe ich mich besonders für Unabhängigkeitskämpfer interessiert. Es war irgendwie so ein Traum von mir, mit diesen Gruppen wie SWAPO, ANC oder EPLF in ein Land zu marschieren und mitzuerleben, wie es von den Herrschern befreit wird.“

Außer politischer Aktivität und Interesse an der Fotografie scheint noch etwas für den Beruf des Bildjournalisten unabdingbar: Reiselust. „Ich reise unheimlich gerne“, sagt Hacky Hagemeyer. „Statt das Abitur zu machen, habe ich bei einem Heizungsmonteur gejobbt. Als ich genug Geld zusammen hatte, bin ich für ein paar Monate nach Marokko gefahren. Einfach weg, weg, weg. Den Wunsch, so viel Zeit wie möglich weit außerhalb Deutschlands zu verbringen, habe ich immer in mir getragen. Das ist durchaus Abenteuerlust. Reiselust, Abenteuerlust und die Suche nach einer spannenden Geschichte oder einem genialen Bild, mit dem man den World Press Award gewinnen kann.“ Leider hat Hacky Hagemeyer diesen nie gewonnen. „Ich habe mich allerdings auch nur einmal beworben. Ich war mir sicher, dass ich gewinnen würde. Aber es hat nicht geklappt.“

Guenay Ulutunçoks Neugier führte ihn zunächst für einige Wochen nach Zypern. Den Konflikt hatte er schon in der Kindheit mitbekommen. Später arbeitete er im Nahen Osten, in der ehemaligen DDR. Er lebte gut zwei Jahre im südlichen Afrika, in Namibia, das damals von vielen noch Deutsch-Südwestafrika genannt wurde, und in Südafrika, in den Zeiten der Apartheid.

Es kann sicherlich nicht schaden, wenn man sich in Unruheregionen begibt. „Die Befreiungskämpfe waren eigentlich positive Ereignisse“, sagt Guenay Ulutunçok. „Aber natürlich ist das Krieg.“ Für den Umgang mit der Gefahr gebe es kein Patentrezept. „Generell kann ich soweit gehen, wie ich die Gefahr beurteilen kann. Aber schon in diesem kalkulierten Bereich macht man genügend Schwachsinn.“ Verhaltensanweisungen vom International Red Cross seien eher als Empfehlung zu verstehen. Denn was im einen Fall das richtige Verhalten ist, kann im anderen das falsche sein. „Ich bin einmal verhaftet worden, weil ich jemanden – einen Offizier – nicht gegrüßt hatte, und ich bin einmal verhaftet worden, weil ich jemanden gegrüßt hatte.“ In schwierigen Situationen müsse in Bruchteilen von Sekunden eine Entscheidung getroffen werden. „Man reagiert dann eher aus dem Bauch heraus“, meint Guenay Ulutunçok und erinnert sich an folgendes Erlebnis:

„In Liberia kamen einmal Kindersoldaten mit ihren Knarren auf mich zu. Sie standen unter Drogen und sahen mit ihren Perücken nicht gerade ansehnlich aus. Ich hatte einen Begleiter, der eigentlich Charles Taylors erster Mann war, aber in diesem Moment keinerlei Einfluss hatte. Ich musste mit der Situation allein zurechtkommen. Wegrennen hätte nichts gebracht. Obwohl ich wahnsinnige Angst hatte, bin ich auf sie zugegangen und habe sie gefragt, was sie wollten“. Die Lage ging glimpflich aus, dazu trugen auch Zigaretten bei.

„Es gibt die theoretische Gefahr und die Gefahr, die du spürst“, erklärt Hacky Hagemeyer. „Das richtige Verhalten hängt mit der Kommunikationsfähigkeit zusammen.“ Anscheinend ist es wichtig, seinen Standpunkt zu vermitteln. In Nordirland ist Hacky Hagemeyer häufig mit James Nachtwey zusammen unterwegs gewesen. „In Belfast warfen die vermummten Demonstranten bei den Straßenschlachten mit der Polizei Molotow-Cocktails. Es flogen Gummigeschosse durch die Gegend. Die Demonstranten brüllten uns an, wir sollten uns verpissen“. James Nachtwey, „der Gentleman der Kriegsberichterstattung“, habe sie gar nicht beachtet. Er sei einfach stehen geblieben. Keiner habe dagegen etwas gesagt. „Das ist seine Ausstrahlung.“ Hacky Hagemeyer ist „mit ein paar blauen Augen davongekommen“. Die schlimmste Verletzung zog er sich bei einer antifaschistischen Demonstration in Bonn zu. „Ein paar Punker wollten Steine auf die Nazis werfen. Dazwischen gab es aber noch eine Polizeiabsperrung und eine Kette von Journalisten und Fotografen. Dort stand ich auch und habe einen Stein ins Auge gekriegt. Das musste operiert werden“, berichtet er. Zwar ist ihm selbst nichts Schlimmeres passiert, aber im Kosovo verlor er einen guten Bekannten. „Gabriel Grüner, der für den stern gearbeitet hat, und ich waren eigentlich in Pristina verabredet. Er ist auf dem Weg dahin erschossen worden.“ Hacky Hagemeyer beendete daraufhin seine Karriere als Kriegsreporter. „Das reichte mir dann alles. Ich war sowieso schon lange unterwegs, insgesamt zehn Jahre.“

Beide Fotografen haben nicht alle ihrer Bilder veröffentlicht und auch nicht alles Gesehene fotografiert. „Ich stehe immer wieder vor der Frage, wie ich mit krassen Erinnerungen umgehen soll“, sagt Hacky Hagemeyer. Es gibt Bilder, die du ein Leben lang mit dir herumträgst. Sie tauchen immer wieder auf. Ich würde deswegen nicht in Therapie gehen, aber ich wäre auch froh, wenn ich das eine oder andere nicht gesehen hätte.“

Guenay Ulutunçok geht es ähnlich. „Seit ich Kinder habe, kommen mir manche Sachen wieder in Erinnerung, die vor zehn oder fünfzehn Jahren passiert sind. Das wird wahrscheinlich mein Leben lang so bleiben. Ich habe immer versucht, nicht den starken Mann zu spielen und Erlebtes nicht einfach zu verdrängen. Ob mir irgendwelche Macken geblieben sind, kann ich nicht einschätzen.“ In Kongo habe er einmal aufgehört zu fotografieren. „Amerikanische Kollegen sagten mir, es sei irgendwo ein Massaker geschehen. Ich bin mit meinem Begleiter dort hingefahren, und es war furchtbar. Das war menschenunwürdig. Es war ein Flüchtlingslager, und neben den Klos, wo alles nach Kot und Urin stank, lagen die toten Körper. In den Hütten waren ganze Familien abgeschlachtet worden. Bei dem Gedanken daran kriege ich heute noch Gänsehaut.“ Statt solche Bilder zu zeigen, mache er lieber gar keine Story. „Ein schreckliches Foto muss kein gutes Foto sein. Das hat mit Verantwortung zu tun.“

Hacky Hagemeyer wurde oft darum gebeten, nicht zu fotografieren. „Ich habe das dann sofort verstehen können. Ungerechtigkeiten würde ich immer dokumentieren. Dabei toleriere ich auch keine Persönlichkeitsrechte. Aber pures Elend nicht. Denn die Belästigung der Leute steht in keinem Verhältnis dazu, was das Bild im positivsten Fall bewirken könnte.“ Auch er ist sich seiner Verantwortung bewusst. Doch der Einfluss, den ein Fotograf auf die Publikation seiner Bilder hat, ist begrenzt. Mit dem Kontext, in dem seine Fotos von den Magazinen veröffentlicht wurden, ist Hacky Hagemeyer häufig sehr unzufrieden gewesen. „Manche Sachen wurden sehr verzerrt dargestellt. Letztendlich entscheidet der Bildredakteur über Bildauswahl, Bildunterschrift und Bildausschnitt.“ Es habe einen Fall gegeben, den er nicht hätte dulden können. „Das Foto zeigte wie Polizisten die Köpfe einiger Demonstranten bei einer Demo gegen Häuserräumung brutal auf die Motorhauben drückten. Das war ein starkes Bild“, meint er. Der Focus veröffentlichte es mit der Unterschrift: „Polizei fast machtlos gegen kriminelle Ausländer“.

Den Medien habe er nie getraut, verrät Hacky Hagemeyer, und dieses Misstrauen habe ihn motiviert, sich ein eigenes Bild von den Geschehnissen zu machen. „Aber die Arbeitsweise, die ich kennen gelernt habe, gibt es heute nicht mehr“, sagt er. „Das Geschäft ist von den großen Agenturen übernommen worden. Bei einer Großdemonstration in Bonn waren früher drei Agentur-Fotografen und 20 bis 30 freie Fotografen. Heute wären sicher fünf Agenturen vor Ort, teilweise mit zwei Fotografen, die jeweils 30 Bilder schicken, und zwar auf sehr, sehr hohem Niveau. Aber freie Fotografen wären kaum noch anwesend. Mein Kollege Markus Schreiber hat immer gesagt, die Zukunft des Bildjournalismus liege bei den großen Agenturen. Er ist heute fest angestellt bei AP.

Außerdem habe sich medienpolitisch einiges verändert. „Heutzutage müssen die Reportagen zwischen die Anzeigen passen“, sagt er. Die Ansprüche der Magazine seien auch nicht mehr so hoch. Früher habe der Spiegel das Wochengeschehen in Fotos gezeigt, die man unter der Woche noch nicht gesehen hätte. „Heute siehst du in den Wochenmagazinen nur Bilder, die du schon in den Zeitungen gesehen hast. Kennst du alles schon.“

Zu diesem Schluss kommt auch Guenay Ulutunçok. „Selbst ich kann die Bilder aus dem Fernsehen nicht mehr aufnehmen, weil das für mich alles nur Wiederholung ist“, sagt er. Der Markt sei gesättigt mit Bildern, aber in Europa und vor allem in Deutschland gebe es kein Interesse für umfangreiche dokumentarische Geschichten. „Die Magazine haben auch nicht mehr den Anspruch, exklusiv zu sein. Bevor sie ein Team irgendwohin schicken, was inklusive Logistik und Versicherung sehr teuer ist, kaufen sie lieber eine dreiseitige Story von einer Agentur. 20 Seiten Dokumentarfotografie sind nicht mehr sexy. Sie lassen sich im Moment nicht verkaufen.“

Die Vorgehensweise der Agenturen betrachtet Guenay Ulutunçok kritisch. „Die Bildagenturen setzen vermehrt junge Leute ein, die neugierig und risikobereit sind und schnell viel Geld machen und berühmt werden wollen. Offen gesagt bekommen sie für ihren Einsatz nicht einmal genug Geld, und wenn man heutzutage das Foto des Jahres schießt, kennt einen drei Monate später trotzdem kein Mensch mehr.“ Es sei irrsinnig und traurig, dafür sein Leben zu riskieren. Noch irrsinniger und trauriger sei es, junge Leute dazu zu motivieren und sich rechtlich abzusichern. „Ich habe meinen ehemaligen Praktikanten in mehreren Gesprächen dazu gebracht, dass er nicht wie ein Bekloppter von einem Krisenherd zum nächsten jagt. Er arbeitet jetzt für ein halbes Jahr als Volontär bei einer Tageszeitung in Nairobi. Wenn er sich dort integriert hat und überblickt, wie die Pressearbeit dort funktioniert, kann er immer noch gezielt irgendwo hinfliegen, um eine besondere Geschichte zu machen.“ Umbringen könne man sich schließlich auch zu Hause. Dafür müsse man nicht nach Mogadischu fliegen.


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