27. November 2007 | Kriegsberichterstattung

Journalismus als patriotischer Pflicht

von Maraike Wenzel. Köln


Der Irakkrieg 2003 zeigte, dass Journalisten nicht im luftleeren, unbeeinflussbaren Raum leben. Auch sie sind manipulierbar – durch Falschinformationen oder Patriotismus. Zu den unterschiedlichen Herangehensweisen westlicher Staaten in der Kriegsberichterstattung äußert sich der Auslandsredakteur Arnim Stauth (WDR) im Interview.

Lesezeit 6 Minuten

Wenzel: Existiert ein Unterschied bei der jeweiligen Kriegsberichterstattung westlicher Staaten?

Stauth: Es gibt auf alle Fälle Unterschiede. Deutschland ist in der Regel zurückhaltender, wenn es darum geht, Mitarbeiter in Krisengebiete zu schicken. Das hat sicherlich damit zu tun, dass bei uns generell mehr Berührungsängste bezüglich Krieg vorhanden sind. Amerikanische und englische Sender schicken meistens schneller und selbstverständlicher Journalisten in Krisengebiete. Beispielsweise sind gerade Teams in Krisengebieten, in denen im Moment keine oder wenige deutsche Korrespondenten arbeiten, wie in Bagdad. Es ist bei den Amerikanern und bei britischen Sendeanstalten ganz selbstverständlich, dass man in Bagdad präsent ist. Das wird überhaupt nicht in Frage gestellt. Auf Grund dieser Entscheidung wird dann ermessen, wie viel Aufwand betrieben werden muss, um die Sicherheit der Mitarbeiter so weit wie möglich zu gewährleisten. Dafür wird sehr viel Geld ausgegeben: für Sicherheitsberater, zum Teil bauliche Maßnahmen, etc.. Es wird versucht, einen Kompromiss zu finden zwischen Sicherheitsmassnahmen und der Pflicht, als Reporter vor Ort zu berichten.

Worin liegt diese unterschiedliche Bereitschaft der jeweiligen Sender begründet, direkt aus den Krisengebieten zu senden?

Ich glaube, es hat unter anderem damit zu tun, dass Amerikaner und Briten grundsätzlich und traditionell weniger pazifistisch als die Deutschen sind.

Warum? Hat diese Einstellung vielleicht auch etwas mit der Kolonialgeschichte der Staaten zu tun?

Ich glaube für Briten ist es viel selbstverständlicher, in aller Welt an militärischen Auseinandersetzungen beteiligt zu sein. Und das war in der britischen Geschichte in irgendeiner Form oft der Fall, um beispielsweise sein koloniales Erbe zu bewahren wie beim Falklandkrieg vor 25 Jahren, während es in Deutschland erst seit 10-15 Jahren so ist, dass sich die Bundeswehr im Ausland auch militärisch engagiert. Im Gefolge des britischen Militärs sind dann auch immer Kriegsjournalisten in die verschiedenen Konflikte gezogen und berichteten oft von vorderster Front, zum Teil vor den Soldaten. Diese Journalisten gehen in der Regel ein viel höheres Risiko ein als deutsche Kriegsjournalisten. Das kann auch daran liegen, dass die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Sendern unglaublich groß ist und Kriegsberichterstattung als ein Feld der Ehre gilt, ein Feld, in dem man sich journalistisch bewähren muss. Diese Konkurrenz existiert in Deutschland nicht in solch einem Ausmaß. Bei uns gelten ganz im Gegensatz bestimmte Dinge als stillos: z.B. mitten in einem Gefecht sich zu einem Aufsager hinzustellen. Das würde bei uns eher als sträflicher Leichtsinn, als übertriebenes Risiko, jedenfalls wohl nicht als Heldentum angesehen.

Nationale Interessen und nationale Grundeinstellungen zu Krieg und militärischen Einsätzen beeinflussen also die Krisenberichterstattung?

Indirekt ja. Es ist sicherlich für jeden Kriegsberichterstatter wichtig zu überlegen, inwieweit die journalistische Herangehensweise an einen bewaffneten Konflikt auch durch kulturelle Tradition des Landes und vielleicht durch die aktuelle politische Haltung der Regierung beeinflusst ist. Beim letzten Golfkrieg waren die meisten amerikanischen Medien voll auf Kriegslinie. Nicht nur Fox News, auch renommierte, regierungskritische Medien wie die NY Times entsprachen weitgehend der Regierungslinie. Zu einem späteren Zeitpunkt mussten sich viele Journalisten eingestehen, dass sie sich von der patriotische Welle haben hinweg- tragen lassen. In Deutschland haben die Medien aus einer in der ganzen Gesellschaft verankerten Skepsis heraus berichtet. Oft sickert die Haltung der jeweiligen Regierung mit in die Wahrnehmung der Journalisten ein. Ganz unbewusst auch in ihre Berichterstattung. Das dürfte eigentlich nicht sein. Aber auch die britische und amerikanische Öffentlichkeit wollte beim Irak-Krieg 2003 mehr Kriegsbilder, mehr Live, mehr vorrückende Truppen, mehr Erfolge, mehr von „ihren Jungs“ sehen. Das war die Stimmung in der Öffentlichkeit. Diese Erwartungshaltung der Zuschauer hat aber auch dazu geführt, dass große Anstrengungen im Hinblick auf Ausbildung, Schutzmaßnahmen u.v.m. . unternommen wurden.

Gibt es dann überhaupt eine neutrale Berichterstattung?

Ich glaube, es kann keine neutrale Kriegsberichterstattung geben. Ich glaube auch nicht einmal, dass es eine geben sollte. Ich meine nicht, dass Berichterstattung parteiisch sein sollte, dass man also zugunsten des jeweiligen Vaterlandes berichten sollte oder der Verbündeten. Aber es muss eine Berichterstattung sein, die grundsätzlich auf Seiten der Opfer steht. Eine Berichterstattung, die Opfer nicht verschweigt, die aktiv den Blick dahin wendet, wo die unschuldigen Opfer sind. Eine Berichterstattung die herausfindet, welche Waffen eingesetzt werden, welche wirtschaftlichen Interessen eine Rolle spielen, wie Propaganda betrieben wird. Eine kritische und analytische Kriegsberichterstattung ist der Weg, den wir Journalisten einschlagen sollten.

Was heißt das konkret für Kriegsberichterstattung? Für die Journalisten?

Viele Journalisten, und dabei besonders Fernsehjournalisten, lassen sich von der Illusion leiten, ein Krieg biete so viel Action, so viel Drama, dass man nur vor Ort sein müsse, nur mit Kamera draufhalten müsse. Und das ist natürlich, wie immer im Journalismus, falsch: Weil man einfach nur das abbildet, was man oberflächig sieht oder was die Kriegsparteien uns zeigen oder uns sehen lassen. Kritische Fragen kann man nur stellen, wenn man sich intensiv auf Konfliktlinien, Kriegsparteien und ihre Interessen vorbereitet hat. Ein guter Journalist muss sensibel für etwaige Manipulationsversuche sein. Wer da nicht aufpasst, wird ganz leicht von den jeweiligen Kriegsparteien missbraucht.

Ein fundiertes Hintergrundwissen zur Kultur und Konflikthintergründe der jeweiligen Kriege kann nur schwer in kürzester Zeit recherchiert und verstanden werden. Inwieweit ist die stetige Repräsentanz der Sender durch ihre Landesstudios von Bedeutung. Gibt es hier auch Unterschiede je nach Staat?

Was die Repräsentanz vor Ort mit Korrespondenten betrifft, ist Deutschland sehr gut aufgestellt. Die ARD hat eine Korrespondentennetz welches vergleichbar ist mit dem der BBC oder CNN. Es gibt durchaus Regionen der Welt, wo wir besser aufgestellt sind. Der Unterschied liegt in der Reaktion der Sender im Falle einer aktuellen großen Krise. Diese übersteigt die Möglichkeiten des jeweiligen Korrespondenten-Büros. Die ARD versucht die Berichterstattung meistens mit ein, zwei, höchstens drei Korrespondenten abzudecken. Beim Libanonkrieg hatte die BBC aber bis zu 15 Korrespondenten für Hörfunk und Fernsehen vor Ort. Der BBC fällt offenbar ein schneller und großer Einsatz leichter, da sie Kriseneinsatzgruppen haben. Solch eine Gruppe besteht nach Angaben eines Kollegen aus ca. 30 Leuten: 5 Korrespondenten, Kameraleute, Techniker, Sekretariat und Logistiker, die nur dazu da sind, Hotels, Wasser, Stromgeneratoren, Benzin etc. zu organisieren. Bei uns muss der Korrespondent viel mehr selbst organisieren, sich viel mehr um Dinge kümmern, die mit Journalismus im engen Sinne wenig zu tun haben. Und das neben manchmal 3 oder 5 Beiträgen am Tag und vielleicht noch 10 Live-Schalten.

Fehlen der ARD dazu finanzielle Mittel?

Nein, bei ARD und BBC liegt der finanzielle Etat ungefähr in der gleichen Größenordnung. Und personell sind wir sehr viel größer als z.B. CNN. Unser Problem ist, dass wir die Kräfte nicht optimal konzentrieren. Die jeweiligen Auslandsstudios werden von den jeweiligen ARD-Anstalten besetzt, beispielsweise Moskau – WDR, Naher Osten – SWR. Die verantwortliche Sendeanstalt deckt in der Regel in ihrem jeweiligen Berichtsgebiet auch Großereignisse allein ab. Und damit wird das große Potenzial der ARD – finanziell, technisch und auch personell- unzureichend ausgeschöpft .

Welche Empfehlungen machen Sie, damit die Kriegsberichterstattung so unvoreingenommen wie möglich ist?

Da es keine neutrale Kriegsberichterstattung in ihrer Reinform gibt, heißt es nicht, dass man sich nicht darum bemühen sollte. Das Ziel eines jeden Journalisten sollte in Bezug auf jedes Thema sein, so unvoreingenommen wie möglich zu berichten. Da Journalisten aber nicht im luftleeren, unbeeinflussten Raum leben, ist es wichtig, dass sich Journalisten aus verschiedenen Ländern immer wieder austauschen. Dabei müssen sie überprüfen, wie ihr jeweiliges gesellschaftliches Umfeld, bestimmte Trends, selbstverständliche und nicht mehr hinterfragte Sichtweisen, die journalistische Arbeit beeinflussen. Dabei muss jeder Journalist immer wieder reflektieren, inwieweit eigene Vorurteile oder gesellschaftliche Tendenzen und Mainstream den eigenen Standpunkt beeinflussen.

© Maraike Wenzel, 27.11.2007

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Armin Stauth

1957 in Darmstadt geboren, studierte er an der Freien Universität Berlin Psychologie und Soziologie mit Diplomabschluss. Bevor er sein Volontariat beim Westdeutschen Rundfunk (1986/87) begann, arbeitete er bereits als freier Mitarbeiter bei Tageszeitungen und Zeitschriften. Arnim Stauth war u.a. Redakteur in der Monitor-Redaktion des WDR. Zwischen 1994 bis 1999 berichtete er als ARD-Korrespondent im Studio Moskau. Als Kriegsberichterstatter der ARD berichtetet er auch aus Afghanistan, Tschetschenien und dem Irak.



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