27. November 2007 | Medien und Frieden

Mehr Engagement in der Berichterstattung

von Sonia Mikich. Köln


Die Kriegsberichterstattung gehört zur Auslandsberichterstattung und leidet unter den gleichen Mangelerscheinungen. Eine gute, nachhaltige Auslands- und Kriegsberichterstattung trägt zur politischen Hygiene bei.

Lesezeit 5 Minuten

„Seit die Reise bequem geworden ist, führt sie nicht mehr so weit. Sie nimmt mehr häuslich Gewohntes mit und dringt in des Landes Brauch noch weniger ein als vorher.“

Ernst Bloch

Deutschland ist, wenn ich mich richtig erinnere, eine Republik. Aber offenbar besessen von Geschichten über Royals. Sei es das dysfunktionale britische Königshaus oder die biedere niederländische Variante oder das Trash-Geschehen in Monaco.
Mit jakobinischem Schaudern erinnere ich noch die Aufregung um das Ableben einer 101jährigen. Mehrere Stunden lang wurden die Zuschauer informiert/unterhalten/gequält anlässlich der Beerdigungszeremonie für die Queen Mum. Ich weiß, dass über ihre Vorliebe für Gin, Hüte und Pferderennen ausführlich berichtet wurde. Ich kann mich aber nicht erinnern, dass jemand den Kitsch nachhaltig dadurch getrübt hätte und von Queen Mum’s Unterstützung der Appeasementpolitik Chamberlains oder von ihrer Unterstützung des Apartheidregimes in Südafrika gesprochen hätte.

Es geht mir darum, warum nachhaltige Auslandsberichterstattung über relevante Themen zu guten Sendezeiten wichtiges Qualitätsmerkmal ist, warum sie unter Druck ist und wie wir wieder lernen, zu staunen oder gar durchzublicken bei Auslandsthemen.

Wenn Sie die Nachrichtensendungen und –kanäle beobachten, dann ist das (nicht-europäische) Ausland ein Universum der Probleme: der Krieg, die Katastrophe, die Krise, die Krankheit. Die vier Ks. der Berichterstattung.

Nahost, Afghanistan, Pakistan, Darfur, Kongo – sie stehen anscheinend für Islamismus, blutige Gewalt, Terrorismus, Völkermord. Aus Lateinamerika hören wir – flüchtig – vom Linksruck, Verstaatlichung, Erdbeben und Drogenkriegen. Afrika das sind Hungersnöte und AIDS, fast synonym. Und Südost-Asien kann zumindest mit der Vogelgrippe und Umwelthorror aufwarten.
Diese 4 Ks färben also unseren Blick auf die Welt. Nicht gut. Und noch düsterer wird es, wenn wir genauer anschauen, wer wie viel Information liefert. Ich behaupte: wenn Sie nicht sehr gezielt einschalten, werden Sie von der wirklichen Welt da draußen nichts mehr mitbekommen. Oder eben nur Horrorszenarien im Schnellgang.

Ich bin eins mit Mary Robinson, der einstigen Menschenrechtsbeauftragten der Vereinten Nationen. Sie sagte, dass viele Medien auf unverantwortliche Weise Auslandsnachrichten reduzieren, herunterspielen und komplexe Sachverhalte auf ein paar O-Töne zusammenstreichen. Sie sprach von ihrer großen Sorge, dass sehr bald Auslandspolitik in einem Nachrichtenvakuum stattfindet. Das heißt, wir prüfen nicht mehr, wir entziehen der Gesellschaft die Möglichkeit über sehr wesentliche Entwicklungen urteilen zu können. Das Paradoxe – wir haben immer mehr mit der Welt, mit dem Ausland zu tun, dank der Globalisierung, aber die Nachrichten, die aktuellen Sondersendungen und „specials“ helfen nicht immer, diese Welt zu verstehen. Sie liefern „events“. Und die kann man ganz gut übersehen und ignorieren. Ausland – störend, gefährlich, kompliziert.

Auslandsberichterstattung ist aber ein Frühwarnsystem, nicht nur für Kriege und Katastrophen, sondern auch ökonomische und soziokulturelle Entwicklungen. Dieses System nicht zu benutzen kann sehr teuer werden. Eine ignorante Gesellschaft kann der Demagogie leichter zum Opfer fallen. Und wenn dann nationale Interessen angeblich oder wirklich bedroht sind, fürchte ich, werden die Bürger auf der Basis von Emotionen und Klischees reagieren, nicht auf der Basis von Wissen. Siehe die rat- und hilflose Dauerdebatte über Islamisten in Deutschland, wenn – wie vor kurzem – ein Anschlag vereitelt wurde. Mal sind die Verdächtigen home-grown, mal ist Al Qaida in Deutschland angekommen, mal von außen importiert. Mal sorgen wir uns, ob frustrierte Globalisierungsverlierer zu Extremisten werden, mal ob es demnächst die Grüne Armee Fraktion gibt, die Revolte frustrierter Bürgerkinder.

Wie selten gibt es Filme, die einen anderen Blick auf das Ausland gestatten. Differenziert, kritisch, entschleunigt und mit Sympathie, ohne dabei Solidaritätskitsch zu verbreiten. Das ist nicht selbstverständlich.

All zu oft prägt ein Nord-Süd-Gefälle die deutsche Wahrnehmung von Ausland. Überwiegend sind es die Entwicklungsländer, die zu den vier Ks verdammt sind. Diese Länder haben selbst selten die Möglichkeit, um an der globalisierten Informationsindustrie teilzuhaben. Die reiche ARD kann vom Erdbeben in Peru oder vom Attentat gegen Musharraf zeitnah berichten. Das äthiopische Fernsehen wird sich schwer tun, einen Reporter zur französischen Atlantikküste loszuschicken, um über die umweltzerstörende Politik der Ölmultis beim Untergang der Erika zu informieren.

Entschleunigter Journalismus bedeutet, dass die Macher „on the ground“ sein müssen, sich einlassen können. Reporter müssen Expertise entwickeln dürfen, ein Netzwerk an Informanten aufbauen. Sie müssen Autorität haben. Und wissen, was sie eigentlich verbreiten wollen und nicht nur, wie sie es anstellen.
Entschleunigen? Noch nie sind Kommunikationstechnologien so einfach, so schnell geworden. Satellitenkosten reduzieren sich immer mehr, Internet kommt als billige, schnelle Recherchequelle hinzu. Mobile Übertragungseinheiten ermöglichen es, Realitäten beim Entstehen abzubilden. „Moving news“ ist DAS Schlagwort, DER Trend.
Schnelligkeit ist der Maßstab aller Dinge. Wir Journalisten müssen aufpassen, nicht zu menschlichen Bausteine einer Industrieproduktion zu schrumpfen: immer informierter, immer funktionstüchtiger, aber nicht weiser.

Selbstgedrehtes, Selbstrecherchiertes, allenfalls noch bei der Hintergrundgeschichte willkommen?
Qualitätsjournalismus erlaubt Ambivalenzen, Grautöne, Widersprüche – sie brauchen Raum. Viel zu oft leidet die Genauigkeit einer Information unter dem Geschwindigkeitsdruck.
Unsere Gesellschaft ist zunehmend mit sich selbst befasst. (Afrikanische Bootsflüchtlinge waren erst SICHTBAR, als sie an UNSEREN Urlaubsstränden halb tot ankamen.) Das Andere verstört. Den Anderen wird zunehmend ihr Anderssein übelgenommen – das ist die psychologische Wurzel von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus.

Und die Medien? Je weniger wir das Andere zeigen, umso leichter machen wir es den rechtsextremen Verführern. Bei ihnen herrscht ein homogenes Menschenbild vor, Einheit und Gleichheit sind wichtige Werte, Anderssein, Individualität lösen Aggressionen aus.

Das Andere verursacht Probleme auch vor der eigenen Haustür. Es ist Konkurrenz um Arbeitsplätze, und Wohnungen, es kostet unsere Steuern. Es löst Angst um „Überfremdung“ aus und unsägliche Diskussionen um Leitkultur und Integration.

Wozu ist Auslandsberichterstattung gut?

Meine schlichte Antwort als langjährige „Berufsausländerin“: Wenn Unterschiede diffus würden, wenn wir zeigen würden, wie ähnlich fremde Menschen uns sind und wir davon entkrampfter und häufig berichteten, dann würde es den Engstirnigen und Kleinherzigen in diesem Land schwerer fallen, sich von Ausländern abzugrenzen. Eine gute, nachhaltige Auslandsberichterstattung trägt zur politischen Hygiene bei.

Kontinuität – eine vernachlässigte Qualität. Zu oft fehlt das Nachhaken: wie ging es weiter, nachdem die meisten Kameras aus dem Kongo wieder abgezogen sind?

Geht es den Menschen in Ost-Timor nun gut, leben sie sicher?

Was ist mit den Menschen in Indien passiert, die so eindrucksvoll gegen Mega-Staudammprojekte protestierten?

Es empört mich manchmal: in den Meinungsumfragen ist zu lesen, dass Armut, Arbeitsplatzsicherheit, Gerechtigkeit DIE Themen sind, die die Menschen hierzulande beschäftigen. Und dennoch scheint es Programmplanern schwer zu fallen, sich für Armut und Ungerechtigkeit anderswo zu interessieren. So lassen sich Journalisten von Auflagen- und Quotenpredigern erschrecken, denn man will nicht muffig und ältlich wirken, oh nein. Wir entwickeln Komplexe, wenn wir über Solidarität mit der Dritten Welt sprechen als hätten wir eine peinliche Alterskrankheit.

Gewiss, man findet sie, die Hochglanzprodukte der Öffentlichen-Rechtlichen, aber nicht oft genug zur Prime Time. Dafür würde ich mich gern einsetzen, ohne erhobenen Zeigefinger. Nach meiner Erfahrung drücken sich Hintergrundberichte viel zu oft schamhaft zur späten Nachtzeit herum, meist im Dritten. Oder sie finden Asyl bei ARTE, Phoenix und 3sat.

Zum Schluss: Es gibt immer mehr Fernsehen, und die Digitalisierung wird unzählige Optionen dazu häufen. Immer mehr, überall, jederzeit abrufbar. Das wird die Bedeutung des Mediums insgesamt schmälern. Ich bin aber keineswegs pessimistisch und sehe die Chance dabei: Qualität wird auffallen, in dieser Inflation werden Zuschauer sich an Solides halten. Eine gute Auslandsberichterstattung gehört dazu. Und die Sender, die diese Arbeit garantieren, werden gebraucht. Denn in der Flut von Banalitäten, Zerstreuungs- und Angstthemen haben sie das Potenzial, Erstaunliches, Relevantes, Kritisches zu liefern. Wir werden immer klarer wissen, welches Fernsehen es sein soll und wohin es gehen soll. Hintergrund statt Oberfläche.

© Sonia Mikich, 26.11.2007

Profil: www.wdr.de



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