16. März 2006 | Interview mit Reinhard Loske

Wie grün sind die Grünen noch?

von Nick Reimer (taz). Berlin


Kaum haben die Grünen den Streit über die Aufklärung der Geheimdienstaffären verdaut, stürzt sie der Rücktritt von Vizefraktionschef Reinhard Loske in eine neue Krise. Umweltfachmann Loske protestiert mit dem Schritt gegen die Entfremdung seiner Partei vom Thema Umweltschutz. Teile der Fraktion seien offenbar der Meinung, Oppositionsarbeit bestünde darin, abgestandene Gesetzentwürfe einzubringen. Und Trittins Motto würde lauten: Wahret mein Erbe!

Lesezeit 4 Minuten
Dr. Reinhard Loske (Jens Dietrich/NETZHAUT)
Dr. Reinhard Loske. Foto: Jens Dietrich/NETZHAUT

Nick Reimer: Herr Loske, Sie sind nach einem Streit mit Jürgen Trittin von Ihrem Amt als Fraktionsvize zurückgetreten. Worum geht es?

Reinhard Loske: Um die Suche nach einem atomaren Endlager. Wer eine unabhängige Suche nach der besten Lösung will, darf das Verfahren nicht denen überlassen, die die Atomkraftwerke betreiben. Das Verfahren gehört in die öffentliche Hand und muss demokratisch gesteuert werden.

Exumweltminister Jürgen Trittin hat sich durchgesetzt – immerhin auch ein anerkannter Fachmann. Sind seine Ideen denn undemokratisch?

Trittins Entwurf für ein Endlager-Suchgesetz sieht ein so genanntes Verbandsmodell vor: Ein Verband, dem alle AKW-Betreiber angehören, soll den Prozess durchführen. Man macht so den Bock zum Gärtner: Die Atomkonzerne haben überhaupt kein Interesse an einer ergebnisoffenen Suche. In Gorleben und im Schacht Konrad steckt schon ihr Geld drin, sie sind absolut auf beide Standorte festgelegt.

Ist die Frage, wer die Endlagersuche wie organisiert, für Sie fundamental?

Das Problem geht über den konkreten Fall hinaus: Teile der Fraktion sind offenbar der Meinung, dass Oppositionsarbeit darin besteht, abgestandene Gesetzentwürfe einzubringen. Dabei hat der damalige Umweltminister seinen Entwurf weder ins Kabinett eingebracht noch in die Fraktion. Trittins Motto lautet: Wahret mein Erbe! Das ist persönlich legitim, für die Grünen aber brandgefährlich. Was wir auf der Oppositionsbank brauchen ist: weniger Denkmalpflege und mehr Aufbruch.

Streit ist das produktivste Mittel des politischen Meinungsbildungsprozesses. Wieso muss man im Fall des Unterliegens gleich zurücktreten?

Man kann nicht einerseits Umweltpartei sein wollen und andererseits das versammelte Fachwissen und den Rat des grünen Arbeitskreises Umwelt ignorieren. Wir haben das Konzept intensiv mit der Fachwelt, mit der Wissenschaft, mit renommierten Umweltjuristen diskutiert und erarbeitet. Im Arbeitskreis wurde es mit 10 zu 0 Stimmen verabschiedet. Die Fraktion hat sich über ihre Fachleute hinweggesetzt. Wenn die Grünen aber Umweltpartei sein wollen, dann sollten sie erstens auf diejenigen hören, die Sachverstand haben. Und zweitens auf der Höhe dieses Sachverstandes auch Umweltpolitik machen.

Drängt sich die Frage auf: Wollen die Grünen denn noch Umweltpartei sein?

Sie müssen, denn deshalb gibt es sie. Die Entwicklung ist doch viel dramatischer als bislang angenommen. Nehmen Sie die neuesten Zahlen zum Klimaschutz: Die Kohlendioxidemissionen haben ungemein angezogen – trotz Kioto-Protokoll, trotz Klimakonferenz in Montreal, trotz Kohlendioxid-Zertifikatehandel. Politisch heißt das: Gegen den Klimawandel muss wesentlich mehr getan werden. Also müssen auch die Grünen viel mehr im Politikfeld Umwelt investieren – vor allem in die ökologische Wertedebatte! Ich beobachte mit Sorge, dass sich bei Manchen in der Partei eine Grundhaltung breit macht: Umwelt- und Klimaschutz werden uns sowieso als Kernkompetenz zugeschrieben. Aber diese Selbstgefälligkeit ist trügerisch: Die Konkurrenz schläft nicht.

Sie haben gesagt, als Ökologe fühle man sich einsam bei den Grünen. Was wünschen Sie sich?

Die Grünen müssen sich fragen, wie wichtig ihnen das Thema Ökologie noch ist. Es wird viel zu wenig reflektiert, wie die neueren Entwicklungen einzuschätzen sind – und vor allem, was daraus für eine Politik folgen muss. Die klassische Trittin’sche Realpolitik, die auch noch den kleinsten Kleinkram als größtmöglichen Erfolg verkauft, damit kommen wir nicht weiter. Wir müssen im guten Sinne wieder fundamentaler werden und die Fragen so stellen, dass sie dem Problem gerecht werden.

Zum Beispiel?

Nehmen wir den Klimawandel. Aktive Klimapolitik erfordert eine grundlegende Umstrukturierung unserer Wirtschaft. Alles, was die Industriestaaten bislang beim Klimaschutz macht, ist galaxienweit vom Notwendigen entfernt.

Ihr Parteikollege Trittin bucht den Klimaschutz als grünen Erfolg!

Na ja: Deutschland hat Anfänge gemacht -die durch die Umstrukturierung in Ostdeutschland begünstigt wurden. Aber das reicht natürlich bei weitem nicht aus: Hier ist der Platz der Grünen, hier müssen wir wieder zum Antreiber werden! Und das ist klassische Wirtschaftspolitik: Wer jetzt ein Kohlekraftwerk baut, verhindert Klimaschutz bis 2050 – so lange läuft das nämlich.

Was wird jetzt aus dem Politiker Reinhard Loske?

Ich bin gewählter Abgeordneter und nehme das in mich gesetzte Vertrauen sehr ernst. In der Fraktion bin ich weiterhin zuständig für Klimaschutz und Bioethik. Da habe ich inhaltlich genug zu tun. Aber natürlich habe ich ab jetzt vielleicht wieder ein bisschen mehr Zeit, zu forschen und zu schreiben.

© Das Interview wurde in der TAZ vom 16. März 2006 veröffentlicht

——————————————

Hintergrund

(taz) Der ehemalige Bundesumweltminister Jürgen Trittin hatte zu Beginn seiner Amtszeit ein so genanntes Moratorium über Gorleben verhängt: Im Erkundungsbergwerk für ein Atommüllendlager wurden die Arbeiten gestoppt. Stattdessen nahm der Arbeitskreis Endlager – der AkEnd – seine Arbeit auf: eine Expertenrunde, der neben Werkstoff-, Atomspezialisten, Geologen und Ingenieuren auch Soziologen angehörten. Im Dezember 2003 legte der AkEnd einen Verfahrensvorschlag vor, den Minister Trittin in Gesetzesform goss. Allerdings stellte Trittin diesen Entwurf erst kurz vor der Wahl vor – zu einer Zeit, da das Gesetz ohnehin keine Realisierungschancen mehr hatte.
Beobachter fragten sich, wieso Trittin so weit reichende Zugeständnisse an die SPD machte – wenn der Entwurf nur Wahlkampfzwecken diente. Die große Koalition hat das Thema Endlager auf ihrer Agenda nach oben gerückt: Bis 2009 soll es eine gesetzliche Regelung geben. Grundlage: die Arbeiten des AKEnd. In Deutschland wird seit 35 Jahren nach einer Lösung gesucht.



Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert