22. November 2008 | Umweltkommunikation

Umweltbewusstsein und Umweltverhalten

von Udo Kuckartz. Marburg


Wann immer in der Öffentlichkeit über Umweltbewusstsein diskutiert wird, taucht unweigerlich die Frage einer Kluft zwischen Umweltbewusstsein und Umweltverhalten auf. Was ist damit gemeint?

Lesezeit 8 Minuten

Einleitung

Umweltprobleme müssen, um gelöst werden zu können, zunächst einmal als solche von den Menschen wahrgenommen werden. Diese Aussage klingt auf den ersten Blick selbstverständlich. Sie lohnt aber eine nähere Betrachtung, wie die Geschichte des Umweltbewusstseins zeigt. Denn verschmutzte Flüsse und Seen, kontaminierte Böden und stark belastete Luft gab es bereits, lange bevor die Begriffe Umweltproblem, Umweltkrise und Umweltbewusstsein in der öffentlichen Diskussion eine Rolle spielten. Als der spätere Bundeskanzler Willy Brandt 1961 mit dem Slogan „Blauer Himmel über der Ruhr“ in den Wahlkampf zog, wurde dies zunächst kaum ernst genommen – Luftverschmutzung galt damals nicht als dringliches politisches Problem, obwohl der Himmel über der Ruhr in einem heute kaum mehr vorstellbaren Maße rußgeschwärzt war. Es sollte noch fast 20 Jahre dauern, bis das Thema Umweltschutz Mitte der 1980er Jahre auf Platz 1 der Rangliste der aktuell bedeutsamsten politischen Probleme kletterte.

Heute ist in Deutschland ein Umweltbewusstsein weit verbreitet. 2004 hielten 92 Prozent der Bevölkerung den Umweltschutz für eine wichtige politische Aufgabe. 58 Prozent waren der Meinung, dass wir auf eine Umweltkatastrophe zusteuern, wenn wir so weiter machen wie bisher (siehe auch www.umweltbewusstsein.de). Überwältigend – zwischen 82 Prozent und 88 Prozent, mit steigender Tendenz in den letzten Jahren – ist die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger, wenn es um die Grundprinzipien der Nachhaltigen Entwicklung (schonender Ressourcenverbrauch, Generationengerechtigkeit und fairer Handel zwischen reichen und armen Ländern) geht.

Nachhaltige Entwicklung ist das Leitbild der internationalen Umweltpolitik seit dem „Erdgipfel“ der Vereinten Nationen von Rio de Janeiro 1992. Damals hatten die Unterzeichnerstaaten der dort verabschiedeten Agenda 21 bereits unterstrichen, dass es ohne ein Umweltbewusstsein und ohne eine Veränderung der Konsummuster in den hoch entwickelten und in starkem Maße Ressourcen verbrauchenden Industrieländern keine Lösung der globalen Umweltprobleme geben könne. Dabei bestand Einigkeit, dass staatliche Steuerung allein keine Wende zu einer nachhaltigen Entwicklung bewirken kann. Denn die Demokratien des Westens garantieren die Freiheit des Einzelnen: Innerhalb des gesetzlichen Rahmens sind die Individuen berechtigt, frei zu handeln und zu konsumieren, was sie bezahlen können. Sie bestimmen selbst, welche Autos sie fahren, wie viel Benzin sie pro Monat verbrauchen oder wie häufig sie eine Flugreise zu weit entfernten Ländern unternehmen wollen. Hier sind also Umweltbewusstsein und freiwilliges Handeln gefragt, wenn es Veränderungen geben soll.

Aber was ist eigentlich unter Umweltbewusstsein zu verstehen? Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen definierte schon 1978 Umweltbewusstsein als „Einsichten in die Gefährdungen der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen durch diesen selbst“ und als „Bereitschaft zur Abhilfe“.

Diese Begriffsbestimmung ist auch heute noch aktuell, wurde aber inzwischen differenziert. Heute werden verschiedene Komponenten des Umweltbewusstseins unterschieden – an vorderster Stelle Umweltwissen, Umwelteinstellungen, Umweltverhalten und Verhaltensintentionen:

  • Umweltwissen beschreibt den Kenntnis- und Informationsstand einer Person über Umwelt und Natur, über Trends und Entwicklungen in ökologischen Aufmerksamkeitsfeldern.
  • Unter Umwelteinstellungen werden neben Einstellungen zu Fragen des Umweltschutzes im engeren Sinne auch Ängste, Empörung, Zorn und Betroffenheit sowie persönliche Grundorientierungen und auf die Umwelt bezogene Werthaltungen verstanden.
  • Mit Umweltverhalten wird das individuelle Verhalten in relevanten Alltagssituationen bezeichnet.
  • Davon zu unterscheiden sind Handlungsbereitschaft und Verhaltensintentionen, das heißt Bekundungen, sich in Zukunft so und nicht anders verhalten zu wollen.

Der wissenschaftliche Begriff Umweltbewusstsein umfasst in der Regel alle genannten Komponenten, während in der politischen Diskussion üblicherweise lediglich eine Unterscheidung von Umweltbewusstsein und Umweltverhalten vorgenommen wird. Es wird also zwischen Wissen, Einstellungen sowie Verhaltensintentionen einerseits und dem tatsächlichen Umwelthandeln andererseits unterschieden.

Abweichungen im Alltagsverhalten

Wann immer in der Öffentlichkeit über Umweltbewusstsein diskutiert wird, taucht unweigerlich die Frage einer Kluft zwischen Umweltbewusstsein und Umweltverhalten auf. Was ist damit gemeint? Sehr häufig wird in empirischen Untersuchungen festgestellt, dass die Menschen hierzulande ein hohes Umweltbewusstsein besitzen, aber ihr Verhalten nicht damit Schritt hält. Zwar glaubt die Gesellschaft, die Grenzen des Wachstums seien erreicht und „wir“ sollten sparsam mit Ressourcen umgehen. Trotzdem ist das gerade erstandene Auto größer und leistungsstärker als das alte. Auch die nächste Wochenendreise hat nicht die nähere Umgebung zum Ziel, sondern es geht mit dem „Billigflieger“ in weit entfernte Städte und Länder. Die empirische Sozialforschung spricht in diesem Fall davon, dass Einstellungen und Verhalten nur gering miteinander korrelieren, dass positivere Einstellungen gegenüber dem Umweltschutz also nicht unweigerlich mit einem umweltgerechteren Verhalten einhergehen. Wo liegendie Gründe für diese Kluft? Um es vorweg zu nehmen: Es gibt keine einheitliche Theorie, die für alle Bereiche und alle Verhaltensweisen eine plausible Erklärung liefern würde. Wenn jemand statt der relativ teuren Bio-Lebensmittel lieber „normale“ landwirtschaftliche Produkte kauft, ist es nahe liegend, Kosten-Nutzen-Motive, letzten Endes also finanzielle Gründe, zu vermuten. Aber der Kauf eines größeren, leistungsstärkeren Autos ist mit Sparmotiven und Kosten-Nutzen-Rechnungen schwerlich zu begründen.

Die Sozialwissenschaftler Andreas Diekmann und Peter Preisendörfer haben 2001 eine so genannte Low-Cost-These aufgestellt, derzufolge die Menschen sich nur solange ihrem Umweltbewusstsein entsprechend verhalten, wie damit nur geringe Kosten verbunden sind. Wird es hingegen zu teuer, so zeigt das Umweltbewusstsein keine Wirksamkeit mehr. Diese Annahme kann eine Reihe von Verhaltensweisen gut erklären, vorzugsweise solche, die direkt mit einer Wahlsituation und einer bewussten Entscheidung verbunden sind.

Viele Verhaltensweisen sind jedoch von Gewohnheit geprägt, und eine Kosten-Nutzen-Abwägung findet gar nicht statt. Mitunter sind die Mehrkosten auch so gering, zum Beispiel beim Kauf von Bio-Eiern verglichen mit Eiern aus Legebatterien, dass sie kaum eine ausschlaggebende Rolle in einem bewussten Entscheidungsprozess spielen können. Häufig ist es sogar so, dass umweltfreundliches Verhalten mit Ersparnissen verbunden ist, wie das Abdrehen der Heizung bei längerer Abwesenheit, die Isolierung undichter Fenster oder das Sparen von Strom durch Ausschalten von Elektrogeräten (anstelle der Standby-Stellung), sodass die Low-Cost-Hypothese offenkundig nicht greift.

Neben der erwähnten Kosten-Nutzen-Abwägung lassen sich weitere Ursachen für ein nicht umweltgerechtes Verhalten identifizieren:

  • die Einbettung des Verhaltens in den persönlichen Lebensstil (Es ist „in“, in die Karibik zu fliegen.);
  • das Streben nach Wohlbefinden (Im Auto fährt es sich angenehmer als in öffentlichen Verkehrsmitteln. Man möchte auch im Winter frisches Obst essen oder bevorzugt das angenehme Baden anstelle des Duschens.);
  • die Routinisierung von Alltagshandeln (Es werden immer wieder die gleichen Produkte gekauft.);
  • ein Dilemma zwischen Normen und persönlichen Interessen (Fahren alle wie vorgeschrieben Tempo 100, hat derjenige, der sich nicht daran hält, freie Bahn.).

Empirische Studien zu den Motiven des Umweltverhaltens legen nahe, das jeweils in Frage stehende Verhalten im Detail zu untersuchen und nicht pauschal eine überall wirksame Ursache zu vermuten.
Nun gehen die genannten Erklärungen allesamt vom tatsächlichen Vorhandensein einer Kluft zwischen Einstellungen und Verhalten aus. Der Umweltsoziologe Peter Preisendörfer hat eine Vier-Felder-Tafel des Zusammenhangs von Umweltbewusstsein und -verhalten erstellt, die noch andere Sichtweisen auf die Problematik der vermeintlichen Kluft verdeutlicht. Eine Kombination der beiden Varianten hohes bzw. niedriges Umweltbewusstsein und umweltgerechtes bzw. nicht umweltgerechtes Verhalten miteinander, ergibt vier Möglichkeiten:

Typologie über den Zusammenhalt zwischen Umweltbewusstsein und Umweltverhalten

Umweltbewusstsein

Verhalten: Umweltgerecht

Verhalten: Nicht umweltgerecht

Umweltbewusstsein hoch

Konsequente Umweltschützer
(30 bzw. 9 %)

Umweltrhetoriker
(32 bzw. 47 %) 

Umweltbewusstsein niedrig

Einstellungsgebundene Umweltschützer
(28 bzw. 23 %) 

Umweltignoranten
(10 bzw. 21 %)

Quelle: Peter Preisendörfer, Umwelteinstellungen und Umweltverhalten in Deutschland, Opladen, 1999 (in jeder Zelle ist der prozentuale Anteil in der Bevölkerung wiedergegeben)

Diese recht einfache Typologie ist sehr aufschlussreich für das Problem eines nur geringen Zusammenhangs von Einstellungen und Verhalten. Umweltgerecht verhält sich jemand nicht nur aus Einsicht und rationaler Entscheidung, sondern möglicherweise auch aus Knappheit an finanziellen Mitteln, wegen vorhandener Flugangst oder vielleicht aus bloßer Gewohnheit. Diese Gruppe von Personen mit umweltgerechtem Verhalten ohne entsprechende Einstellungen nennt Preisendörfer „nicht einstellungsgebundene Umweltschützer“, wobei der Begriff „Umweltschützer“ im Grunde wenig treffend ist, da die Mitglieder nicht umweltbewusst aus eigenem Antrieb handeln. Diese Gruppe umfasst circa ein Viertel der Bevölkerung. Für sie gilt, dass kein enger Zusammenhang zwischen Umweltbewusstsein und -verhalten festgestellt werden kann. Auch in vielen anderen Lebensbereichen sind Differenzen zwischen Einstellungen und Verhalten an der Tagesordnung, sie sind sogar eher der Regelfall als die Ausnahme. Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt Gewalt in der Erziehung ab, verhält sich aber häufig anders. Personen bezeichnen sich als religiös, gehen aber sonntags nicht in die Kirche oder verstoßen gegen religiöse Gebote.

Der Diskurs um die Kluft zwischen Umweltbewusstsein und Verhalten ist häufig von einem Rigorismus gekennzeichnet, der in anderen gesellschaftlichen Feldern so nicht besteht. Personen verhalten sich im einen Fall umweltgerecht, im anderen aber nicht. Sie kombinieren und probieren Verhaltensweisen, sind flexibler und handeln widersprüchlicher als noch vor einigen Jahrzehnten. Sie essen vielleicht in der Woche in der Kantine und kaufen am Wochenende auf dem Markt Bio-Lebensmittel, ohne dies als Inkonsequenz oder Widerspruch zu empfinden.

Für die Umweltpolitik erweist es sich als notwendig, die einzelnen Verhaltensbereiche und Verhaltensweisen aus der Nähe zu betrachten, um Hemmnisse und fördernde Faktoren für umweltgerechtes Verhalten in spezifischen Feldern und Situationen herauszufinden.

Einfluss der Massenmedien

Umweltbewusstsein ist ein Phänomen, das eng mit der Bedeutung der elektronischen Medien, vor allem des Fernsehens, und dem Prozess des Zusammenwachsens dieses Planeten zu einem „globalen Dorf“ zu tun hat. Wir wissen heute über weit entfernte Länder Bescheid, erfahren zeitgleich von Naturkatastrophen in Indien, Australien oder Florida. Der Informationsaustausch wurde durch die Erfindung des Internets noch intensiviert.
Bedingt durch die Auswahlmechanismen, die den Verbreitungsmedien, insbesondere dem Fernsehen, zu eigen sind, haben Katastrophen die größte Chance, über die Sender das abendliche Wohnzimmer zu erreichen. Bei den Zuschauenden, die geschützt und gemütlich vor den Fernsehgeräten sitzen, entsteht so der Eindruck, als sei da draußen eine Welt voller Katastrophen und Risiken, darunter kaum kalkulierbare Umwelt- und Naturrisiken.
Auf diese Weise werden die Medien zu einer gleichsam nie versiegenden Quelle von Umweltbewusstsein bei gleichzeitigem passivem Verharren der Zuschauenden und Zuhörenden.

Im Kontrast zu dieser Welt der Risiken, Gefahren und Katastrophen steht die eigene kleine Welt zu Hause, in der Heimatgemeinde oder im heimischen Stadtviertel. Hier scheint die Umwelt noch in einem guten Zustand zu sein, hier gibt es keinen unmittelbaren Handlungsdruck. So fühlen sich 2004 nur zehn Prozent der Bürgerinnen und Bürger durch Autoabgase oder Straßenverkehrslärm stark gestört oder belästigt. Auch aus diesem Spannungsverhältnis ist es erklärlich, dass der Einzelne globale Umweltzustände für schlimm hält, globalen Handlungsdruck sieht und beispielsweise die Klimapolitik der Bundesregierung begrüßt, aber in seinem eigenen Bereich einschneidende Änderungen und konsequentes Verhalten nicht für notwendig hält.

Bedingungen staatlichen Handelns

Die Anfänge des öffentlich wirksamen Umweltbewusstseins lassen sich historisch relativ genau bestimmen und zeigen, wie eng Umweltbewusstsein und staatliches Handeln miteinander verzahnt sind. Im Jahr 1962 publizierte die amerikanische Biologin Rachel Carson ihr Buch „The Silent Spring“ („Der stumme Frühling“). Es schilderte in eindrücklicher Weise die Auswirkungen des Pestizideinsatzes in der Landwirtschaft und prognostizierte ein Aussterben des Weißkopf-Seeadlers, des amerikanischen Wappentiers. Das Buch und die anschließende öffentliche Debatte bewirkten, dass das Insektizid DDT Anfang der 1970er Jahre in den Industrieländern verboten wurde.

Der Zusammenhang von staatlicher Umweltpolitik und Umweltbewusstsein ist seither offenkundig. Auf der einen Seite sind Erfolge unbestreitbar: Zahlreiche Gesetze zum Schutz der Umwelt wurden in den letzten 30 Jahren erlassen, Institutionen wie die amerikanische EPA (Environmental Protection Agency) oder das deutsche Umweltbundesamt wurden gegründet, seit 1986 existiert in der Bundesrepublik auch ein Umweltministerium. An manchen Punkten hat sich die Skepsis der Bürgerinnen und Bürger aber auch als Hemmnis für Umweltpolitik erwiesen. Nicht nur die Ökosteuer ist ein Beispiel für den Widerstand in der Bevölkerung, sondern der gesamte Bereich der (Auto-)Mobilität erweist sich als relativ veränderungsresistent.

Eine Wende zur Nachhaltigkeit wird nur erreicht, wenn die Menschen mitwirken. In einer freiheitlichen Gesellschaft wird sich dies nur über die Anerkennung eines Rechtes auf Differenz erreichen lassen. So ist es für die Umweltpolitik wichtig, in Sachen Umweltbewusstsein zwischen Akzeptanz, Resonanz und Engagement zu differenzieren. Die Einen werden vielleicht die staatliche Klimapolitik akzeptieren, ohne aber die Notwendigkeit zu sehen, den persönlichen Lebensstil einschneidend zu verändern. Andere werden möglicherweise von den technischen Möglichkeiten Erneuerbarer Energien fasziniert sein und sich eine Solaranlage auf das Dach stellen. Wieder andere werden aus Überzeugung einen nachhaltigen Lebensstil wählen und ihr Konsumverhalten umstellen. Wirksame Umweltpolitik sollte alle drei Formen von Umweltbewusstsein ins Kalkül ziehen und ihre Steuerungsmaßnahmen darauf abstellen.

© Udo Kuckartz, 2008



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