Mit sechs Jahren bekam ich ein Kinderbuch geschenkt. Es handelte vom japanischen Garten Claude Monets. Ich liebte dieses Buch. Es war gespickt mit immer denselben Abbildungen seines Gartens mit Seerosen sowie der japanischen Brücke, jedoch in den voranschreitenden Jahren des Künstlers gemalt. Ich war gerührt, hingerissen. Nein, nicht von der Schönheit der Bilder, nicht von der herausragenden Pinselführung…. Sondern ich empfand es als tief rührend, wie man der fortschreitenden Senilität des Künstlers und des Verlustes seines Augenlichts beiwohnen konnte. Ich hatte Mitleid mit diesem verwirrten Greis, der doch irgendwie besessen war. Von Seerosen, Tümpeln, von Brücken?
Spätestens in der Schule wurde mein Desinteresse an Kunst problematisch. Während sich die Jungs verächtlich darüber äußerten und im Kunstunterricht streikten, fühlte ich fortschreitende Identitätsprobleme, da all meine Mitschülerinnen so kreativ, so kunstversessen waren. Meiner Kunstlehrerin war dieses geschlechterspezifische Gebaren nicht neu und so schaffte sie es, uns mit einer Aufgabe zu überführen: In Steine sollten Teile des Gesichts gemeißelt oder gefeilt werden. Man konnte zwischen zwei Materialien wählen: Sandstein und Speckstein. Wieder waren die Geschlechterrollen zunächst klar definiert: Die Jungs nahmen sich die großen, klobigen Steinbrocken und meißelten mit fettem Werkzeug drauf los. Keine Spur mehr von Verachtung, denn jetzt ging es um ihre Muskelkraft. Die Aufgabe war so aufwendig, dass sie sich sogar nach der Schule trafen, um weiter zu meißeln und schwitzen.
Das zarte Geschlecht nahm natürlich ausnahmslos den leicht zu bearbeitenden Sandstein und feilte filigran drauf los. Ich dachte jedoch nicht im Traum daran, mich bei den fleißigen Bienchen einzureihen und munter darauf loszulegen. Nein ich zahlte einen empfindlichen Teil meines Taschengeldes an einen männlichen Mitschüler, der diese Arbeit für mich ausführte. Eine gute Note gab es nicht, aber ich dachte, damit die Grenzen der Geschlechtsrollen was Kunst anbetraf überlistet zu haben.
Kunst hat für mich immer etwas Geheimnisvolles, etwas Undurchdringliches. Das ist jedoch kein Grund, ehrfurchtsvoll mit Kunst umzugehen. Zunehmende Ratlosigkeit und die Konfrontation mit einer elitären und abgeschotteten Geheimgesellschaft, immer verbunden mit Riten, mit Initiationsverfahren, mit Schweiß, Blut und immer wieder Exkrementen. Viele setzen in Ihrem Leben alles dran, dort Mitglied zu werden. Ich nicht.
Räumen wir zunächst mit den Vorurteilen auf: Ich bin weder Mann, Jugendliche, noch gehöre ich zum Prekariat. Ebenso wenig plagt mich das Kindheitstrauma manch eines verbitterten Kunstbanausen, der wöchentlich auf Ausstellungen gezerrt und angehalten wurde, ehrfurchtsvoll durch weite Räume zu streifen und flüsternd den kunstinteressierten Bildungsbürger-Eltern zu jedem Bild mitteilen zu müssen, was es in ihnen auslöst: Nämlich nichts.
Vielleicht habe ich gar kein besonderes Problem mit Kunst an sich. Dass ich keine Künstlerin werden würde, war mir in Anbetracht meiner Un-Kreativität schon zu Schulzeiten bewusst. Das impliziert aber nicht, dass ich alles, was Kunst ist, ablehne. Was ich jedoch ablehne, ist die Beliebigkeit in der Kunst. Natürlich fühle auch ich als Kunstbanause mich von einigen Werken angesprochen, sie lösen selbst in mir etwas aus. Jedoch komme ich nicht umhin, mich zu fragen, was Kunst zu Kunst und Künstlern zu Künstlern macht. In der modernen Zeit scheint mir oftmals das Werk selbst nicht mehr im Mittelpunkt zu stehen. Künstler und Kunstmarkt mutieren häufig zu einem Showbusiness.
Kunst will im Kern etwas auslösen, will bewegen. Da die klassische Kunst schon alles gesagt zu haben scheint, versuchen moderne Künstler oft lediglich zu provozieren. Dabei gibt sich die zeitgenössische Kunst meines Erachtens immer so mitteilungswütig, dass mir – wenn konfrontiert mit moderner Kunst – kein spontanes Verstehen möglich ist. Ratlos muss ich mich dann in Ausstellungskatalogen meines Unwissens vergewissern und die hochtrabenden Erklärungen verinnerlichen.
Moment mal! Ich dachte Kunst bedarf keiner Erklärung? Das Werk spricht für sich selbst? Aber das würde dem Kunstbetrieb Arbeitsplätze rauben. Kunstkritiker, die Herstellung und Kreation von Kunst- und Ausstellungskatalogen, ein ganzer Sektor, der dazu dient, der Kunstelite und vielmehr noch dem Kunstpöbel zu beschreiben, was man eigentlich sehen und empfinden sollte. Die eigene Ästhetik des Gefallens hat da keinen Platz mehr. Teils schaffen es mächtige Kunstmacher, dem Markt zu diktieren, was Kunst ist. Und dabei können Kunstwerke ähnlich horrende Beträge erzielen wie Aktien. Die Spekulationen von Sammlern und Auktionshäusern haben für mich das Flair der Frankfurter Börse – völlige Entfremdung.
Für mich nicht nachvollziehbar ist die gesellschaftliche Anerkennung, die einem Kunstwerke verleihen können. Wessen Arbeitszimmer Regale von Büchern schmückt, ist ein Bücherwurm. Wer neben dem Regal ein Original hängen hat, wird damit zum kultivierten Menschen – Glamourfaktor Kunst also.
Natürlich betreffen diese Erkenntnisse nicht den gesamten Kunstmarkt. Als Außenstehende der Kunstwelt erreichen mich zum Großteil nur die News der Medien, die sich auf selbstdarstellerische, provokante und extraordinäre Künstler beziehen. Seit ich von Teresa Margolles Ausstellungseröffnung gehört habe, traue ich mich in keine Galerie mehr: Sie ließ Leichenwasser per Luftbefeuchter im Ausstellungsraum verteilen… Was wollte sie damit nur sagen?
Anklang findet so etwas natürlich bei den skandalgierigen Medien. Und damit findet Kunst ihre Verbreitung. Ich vermute, dass Kunst je öffentlichkeitswirksamer, desto inhaltsleerer ist. Denn der Künstler verkauft seine Seele, indem er Provokation instrumentalisiert, um Aufsehen und Ansehen zu finden. Diese Art von Kunst kann ich als Durchschnitts-Intellektuelle nicht nachvollziehen. Sie schreckt mich ab. Hierzu zwei Beispiele:
Wirklich Skandalträchtig empfinde ich es Scheiße zu Gold zu machen: Piero Manzoni füllte im Jahr 1961 jeweils 30 Gramm seiner Exkremente in Dosen, gab ihnen das Label „merda d´artista“ (Künstlerscheiße) und verkaufte sie zum Goldpreis des gleichen Gewichts. Kunst soll geistig stimulieren. Für mich sind die Käufer solcher Kunst genauso krank wie der Künstler selbst. Kein weiterer Kommentar.
Richtig gewieft sind dann aber Künstler wie Jochem Hendricks, welcher von seinem Jahresgesamtgewinn Gold kaufte und es zur Skulptur erklärte. Die Arbeitsmaterialien seines Werkes TAXES konnte er somit komplett von der Steuer abrechnen. Meine Hochachtung!
Ehrliche Kunst versucht nicht zu simulieren, vorzutäuschen, bewusst den Betrachter in Schienen zu lenken. Sie benötigt keine Blendertechniken, deren sich so viele andere Künstler bedienen. Die Blender-, Entschuldigung, Kunstszene, die mehr einem PR-Gag ähnelt, ist meines Erachtens nach absurd und nicht nachzuvollziehen. Stirbt ein Künstler, schießen die Preise seines Werkes in die Höhe. Hat ein Künstler Depressionen und malt nur noch grau-schwarze Kleckse, so bewundert die Kunstwelt seinen Stilwechsel.
Aber der Gipfel der Absurdität der modernen Kunst kreist um Fragen des Erhalts moderner Werke: Studierte Akademiker und Restauratoren befassen sich mit der Schwierigkeit, zeitgenössische Kunst zu erhalten. So wurde das Werk des französischen Künstlers Arman (ein gefüllter Mülleimer) im Laufe der Zeit von Schädlingen zersetzt. Experten schweißten den Kunst-Müll in Folie, um dem ein Ende zu setzen und dem Erhalt des Kunstwerks zu dienen. Jetzt besteht jedoch ein ganz neues restauratorisches Problem: Handelt es sich jetzt noch um ein Original? Und um solche Fragen kreist auch das Expertenwissen einschlägiger Versicherungsunternehmen. Wenn Künstler den Verfall einkalkulieren, so gilt der Versicherungswert so lange, bis von dem Werk nichts mehr zu sehen ist. Um Himmels Willen! Wie soll ein Außenstehender das verstehen, wie soll man da moderne Kunst noch ernst nehmen?
Was fehlt ist, dass die ehrliche Kunst mehr Verbreitung findet. Dass die, die weniger Kunst-interessiert sind, nicht abgeschreckt werden durch Aufsehen erregende Egomanen, die durch die Medien geistern und zu Künstlern stilisiert werden. Was fehlt ist, dass Galerien einladender sind, dass man sich traut hineinzuspazieren, auch als Kunstbanause. Was fehlt ist, dass Kunst weniger anhand von spekulativem Geld-Wert sondern wahren, immateriellen Werten beurteilt wird.
Und da dem nicht so ist, festigt sich meine Überzeugung: Diese durchökonomisierte Kunstwelt ist nicht meine. Ich gehöre nicht dazu. Die unschuldige Begeisterung einer Sechsjährigen wiegt schwerer als jegliches Experten-Geschwafel. Ich habe den Monet-Band immer noch.
© Maraike Wenzel, 31.07.2007
2 Antworten zu “Hilfe, ich hasse die Kunst!”
Danke für die einsichtsvolle Kunstkritik aber mit welchem Argument oder Hintergrundwissen wird die Kunst des Malers Monet als senil und nichts als Tümpel, Seerosen und Brücken bezeichnet? Vielleicht ist es aus heutiger Sicht nicht spektakulär, reizüberflutet und diskursanregend genug, aber in der damaligen Zeit war es sicher für die meisten Zeitgenossen ein sensationelles, optisches und künstlerisches Erlebnis. Nur braucht man dafür heute noch, wie übrigens für jede Kunstform, ein klein wenig Vorstellungskraft und Empfindungsvermögen.
Oh der Artikel ist zwar schon nicht mehr neu, aber er spricht mir so aus der Seele … 16.11.12