9. Juni 2006 | Genossenschaft

Gemeinsam gründen leicht gemacht

von Beate Willms (taz). Berlin


Das Genossenschaftsrecht wird novelliert. Die Neugründung soll einfacher werden, die Prüfung für kleine Genossenschaften billiger. Damit will das Justizministerium den schleichenden Niedergang der demokratischsten Unternehmensform beenden.

Lesezeit 3 Minuten

Bündnisse zur Selbsthilfe sind derzeit gefragt. Beispiel Landwirtschaft: Der Strukturwandel stellt viele Bauern vor die Entscheidung, „zu wachsen oder zu weichen“. Sie können sich aber auch zusammenschließen und gemeinsam produzieren oder gemeinsam in eine Biogasanlage investieren, die sich ein Einzelner nicht leisten könnte. Auch Gaskunden können sich zusammenschließen und so ihre Verhandlungsmacht stärken. Die klassische Rechtsform für eine Unternehmung dieser Art ist die demokratischste – die Genossenschaft oder eG. Und sie soll künftig einfacher zu gründen sein.

Statistisch ist jeder vierte Bundesbürger Genosse. Trotzdem verliert diese Unternehmensform offenbar an Attraktivität. Im letzten Jahr fiel die Anzahl der eGs unter 8.000 – das deutsche Genossenschaftsrecht gilt als zu kompliziert und zu teuer. Dem soll eine Novelle abhelfen, bei der das Bundesjustizministerium federführend war. In der nächsten Woche wird sie im Bundesrat vorgelegt, am 18. August tritt sie in Kraft.

Nach der Novellierung soll es einfacher werden, eine eG zu gründen. Bislang braucht man für den Start sieben Mitglieder, künftig sollen drei ausreichend sein. Außerdem müssen kleinere Genossenschaften mit bis zu 20 Mitgliedern nur noch ein Vorstandsmitglied bestellen. Noch sind mindestens zwei Vorstände und drei Aufsichtsräte vorgegeben. Zugleich allerdings bekommen Aufsichtsratsmitglieder mehr Befugnisse, die Geschäftsführung zu kontrollieren.

Auch einen Förderzweck zu formulieren wird einfacher. Das neue Gesetz ergänzt das bestehende Kriterium, dass die Genossenschaft „dem Erwerb oder der Wirtschaft ihrer Mitglieder“ dienen muss, durch die Möglichkeit „sozialer oder kultureller Belange“. Damit stellt es klar, dass eGs – wie es bislang auch schon Praxis ist – beispielsweise Hallenbäder oder Theater übernehmen dürfen, die die Kommunen privatisieren wollen.

Für kleinere Genossenschaften werden zudem die wirtschaftlichen Prüfungen erleichtert. Bislang gilt für alle eGs, dass sie genauso streng und aufwändig geprüft werden müssen wie mittelgroße und große Kapitalgesellschaften. Ab dem Jahresabschluss für das laufende Geschäftsjahr dürfen Genossenschaften mit einer Bilanzsumme von unter 1 Million oder einem Umsatz von unter 2 Millionen Euro nach abgemilderten Regeln geprüft werden. Wie genau die aussehen, ist allerdings noch nicht klar. Nach Auskunft von Mathias Fiedler, Geschäftsführer des Zentralverbands der Konsumgenossenschaften (ZdK), arbeiten die Prüfungsverbände der Genossenschaften noch an einem Kriterienkatalog.

Eher als Kannbestimmungen, die den Adressatenkreis potenzieller eG-Gründer erweitern sollen, sind zwei weitere Neuerungen zu verstehen. Sie legen den ursprünglichen Genossenschaftsgedanken sehr weit aus und haben in vielen Genossenschaften für Befremden gesorgt. Unternehmergenossenschaften, deren Mitglieder zu mehr als 75 Prozent Handwerker, Freiberufler oder Landwirte sind, können das Stimmrecht ihrer Mitglieder nun unterschiedlich gewichten. Galt bislang: ein Genosse – eine Stimme, sind künftig Stimmanteile von bis zu 10 Prozent möglich.

Ebenfalls möglich sein sollen rein investive Mitgliedschaften, wie sie auch die Europäische Genossenschaft vorsieht: Danach können Mitglieder Anteile an einer eG zeichnen, ohne dass sie vom Förderzweck profitieren. Dazu passt auch, dass das Gesetz sprachlich überarbeitet wurde: Statt von „Genossen“ ist jetzt die Rede von „Mitgliedern“.

Die Genossenschaftsverbände halten die Novelle prinzipiell für eine gute Idee. „Genossenschaften lassen sich nun deutlicher auf individuelle Bedürfnisse zuschneiden“, sagte der Geschäftsführer des Genossenschaftsverbandes Norddeutschland, Andreas Eisen, der taz. Besonders hilfreich sei, dass nun schon drei Interessierte eine eG gründen könnten. Auf einen Aufsichtsrat zu verzichten, würde er aber „höchstens Minigenossenschaften mit fünf, sechs Mitgliedern raten“.

Sein ZdK-Kollege Fiedler weist darauf hin, dass bislang vor allem die strikte Kontrolle von Genossenschaften dazu beigetragen hat, dass eGs viel seltener Insolvenz anmelden müssen als andere Gesellschaften. „Jede Genossenschaft muss sich sehr genau überlegen, welche Vereinfachung sie übernehmen will.“

© Der Artikel wurde in der TAZ vom 9. Juni 2006 veröffentlicht

Profil: taz – die Tageszeitung

Featured Image: wirag



Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert