Am Internationalen Frauentag lud der WDR zu einer Veranstaltung ein, die die Hilflosigkeit der Medienschaffenden widerspiegelte, wenn sie sich mit ihrem eigentlichen Auftrag beschäftigen: informieren, bilden und unterhalten. Beim Thema informieren über Familie haben sie in den letzten Jahren kläglich versagt, das behauptet jedenfalls eine Studie des Grimme-Institutes. Denn über Vater-Mutter-Kind wird nicht berichtet und diese Konstellation ist auch für Fernsehfilme anscheinend viel zu langweilig.
Das Bundesfamilienministerium (damals noch Renate Schmidt) beauftragt ein renommiertes Institut mit einer Nabelschau, deren Ergebnisse Frau von der Leyen schwer zu denken geben müssten. ‚Familienbilder und Familienthemen in fiktionalen und nicht-fiktionalen Fernsehsendungen’ kommt erst mal so langweilig daher, wie wir es von einer Studie gewohnt sind. Und doch birgt das Ergebnis eine Sprengkraft erstens für die Politik und zweitens auch für die Medien. Als informierter Mensch geht man davon aus, dass die öffentlich-rechtlichen Sender dabei besser wegkommen, als die Sender, die die Supernanny produzieren. Aber diese Reaktion ist nur der Reflex des Gutgläubigen: Die Berichterstattung in den Nachrichten, in Magazinsendungen oder Dokus befindet sich im homöophatischem Bereich, unter 1 Prozent. Bei den öffentlich-rechtlichen genauso wie bei den Privaten. Und wenn Familie vorkommt dann auch nicht so wie sie meistens in deutschen Haushalten vorkommt, nämlich in der ‚Vater Mutter Kind Konstellation’, sondern wie sich die Macher eine konfliktreiche und spannende Zusammensetzung denken: die Patchworkfamilie, den alleinerziehenden Vater, die berufstätige geschiedene Mutter, die Schwulen, die ein Kind adoptieren oder das Ehepaar, das sich im Ausland einer künstlichen Befruchtung unterzogen hat, die nach sieben Jahren endlich erfolgreich verlief. Alles andere ist Ödnis: ein verheiratetes Ehepaar, wo er den größten Batzen Geld nach Hause bringt, sie dazuverdient und sich um alles andere kümmert: nämlich um 2 Kinder, den Blockflötenunterricht und die Sprachtherapie. Dieser gemeine deutsche Alltag scheint für den Drehbuchautoren zu wenig Geschichten zu bergen, als das er sich damit Belächelung der Kollegen einfangen will.
Die Journalistin Irmela Hannover, die an der Analyse der Erhebungen mitgewirkt hat, ist sich mit ihrem Kollegen Arne Birkenstock einig: obwohl soziale Fragen jeden von uns jeden Tag betreffen, finden sie keinen Niederschlag in der Berichterstattung und wenn doch, dann nur als Horrorszenarien von Verwahrlosung, Überforderung und Fehlverhalten. Während die Printmedien in den letzten Jahren einen Zusammenhang zwischen Geburtenraten, fehlender Kinderbetreuung und den Überforderungen eines flexibilisierten Berufslebens herstellten und sich auch durchaus Erziehungsfragen widmeten, hat das Fernsehen diese Zusammenhänge der demografischen Entwicklung links liegen gelassen.
Natürlich sind auch den ProgrammdirektorInnen des WDR diese Ergebnisse unangenehm. Deshalb flüchten sie sich dann in Diskussionen um eine nicht stattfindende Wertediskussion der Gesellschaft oder um die Schwierigkeiten am Filmset mit Kindern zu arbeiten. Mütter wissen, dass Kinder nicht nur an Filmsets schwierig sind und Nerven kosten und deshalb reagiert ihre Umwelt wie die Filmemacher: sie lassen die Kinder einfach weg aus ihrer Realität. Die einen kriegen keine Kinder mehr und die anderen drehen keine Filme mehr mit ihnen oder über sie. Die Geburtenrate der Kommissarinnen im deutschen Fernsehen ist nur noch ein Viertel so hoch wie die der deutschen Durchschnittsfrau, die ja auch nur noch bei 1,3 liegt. Muss uns das alarmieren? Und liegt es wirklich an den gesetzlichen Auflagen beim Dreh mit Kindern? Oder besteht vielleicht kein Zusammenhang mehr zwischen dem Leben der AutorInnen und dem normalen Familienleben einer berufstätigen Mutter? Sind Produzenten, Autoren, Redakteurinnen der gesellschaftlichen Realität bereits so entwachsen, dass sie der Auftrag einer vielfältigen Berichterstattung des Lebens nicht mehr anficht?
Aber damit nicht genug: auch die Magazinsendungen greifen gesellschaftliche Probleme aus dem Nahbereich Familie nicht auf. Menschen des öffentlichen Lebens werden nicht oder kaum in ihrer Rolle als Mutter, Tochter oder Ehemann gezeigt. Eine Mutter, die morgens um 8:20 h einen Zug erwischen muss, ist keine Story. Ein Mann, der mit 50 seine Arbeitszeit reduzieren muss, weil seine Mutter Alzheimer hat, ist auch nicht so sensationell. Ein Vater, der zwar gerne Erziehungszeit nehmen würde, es sich aber wegen des Finanzloches im Familienetat gar nicht leisten kann, flimmert nicht über deutsche Bildschirme. Und das, obwohl genau diese Probleme Millionen von Menschen haben. Die Studie formuliert das so: ‚ein insbesondere beim Fernsehen vorherrschender enger und eventorientierter Politikbegriff verhindert das Aufgreifen mittel- und langfristiger familienpolitischer Prozesse.’ Es spiegelt aber auch die lückenhafte Ausbildung der beteiligten Berufszweige wider, denen es wohl an Handwerkszeug fehlt, auch Banales in Aktuelles oder Spannendes zu verwandeln.’
Bleibt die Frage, ob man ein familienorientierte Berichterstattung durch Gesetze erzwingen kann und soll und welche Bedeutung in dieser Diskussion der Politik als Impulsgeberin und den Medien als Mittler zukommt. Der WDR ist in dieser Frage nicht sehr weit bekommen, wenn er ständig mit der künstlerischen Freiheit und der Eigenständigkeit der Redaktionen argumentiert und eine solche Veranstaltung nicht nutzt, sich Anregungen von außen zu holen.
Die Veranstaltungsteilnehmerinnen, natürlich vorwiegend Frauen, blieben ratlos zurück. Denn wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht klar Stellung zu Familie bezieht, wer soll es dann tun? Man könnte sich auch fragen: Ist es eine Katastrophe, wenn eine Gesellschaft keine Kinder mehr hat, weil es im Fernsehen nicht vorgemacht worden ist? Ist es so schlimm, wenn Menschen die Glotze abschalten, weil sie ihre Welt darin nicht mehr wiederfinden?
© Judith Hasselmann, 29.03.2006