26. Juni 2007 | Kriegsberichterstattung aus Afghanistan

Kombinatsjournalismus

von Ashwin Raman. Köln


Warum die Berichterstattung von deutschen Journalisten in Afghanistan tendenziös und dilettantisch ist.

Lesezeit 5 Minuten

Wer sich über Afghanistan wirklich informieren will, kann sich nicht einmal auf das öffentlich-rechtliche Fernsehen verlassen. Die Berichte sind tendenziös und inkompetent Berufsverbote sind niemals zu befürworten – bis auf eine Ausnahme: Deutsche Journalisten sollten in Afghanistan nicht arbeiten dürfen. Denn ihre Berichterstattung ist tendenziös, miserabel, inkompetent und dilettantisch. Sie können es allemal mit ihren indischen Kollegen aufnehmen, die über die schneebedeckten Berge im Ruhrgebiet schreiben. Am schlimmsten ist allerdings: Die deutschen Reporter berichten meist nur aus der Hauptstadt Kabul und verkaufen das als Informationen über ganz Afghanistan.
Kaum einer macht sich die Mühe, die Hauptstadt zu verlassen und sich wirklich mit dem Land auseinander zu setzen. Es ist schon eine Leistung, wenn jemand es wagt, aus dem 150 Kilometer östlich gelegenen Dschalalabad zu berichten. Das ist wiederum kein Wunder, denn Dschalalabad liegt auf dem Weg nach Islamabad, von wo aus viele Journalisten zurück nach Deutschland fliegen.

Zugegeben, für die Wohlstandsjournalisten ist Reisen in Afghanistan beschwerlich: Die Straßen sind eine Aneinanderreihung von Löchern, die Unterkünfte schmutzig, die Betten hängen durch und riechen nach afghanischem Schweiß. In den Lokalen laufen Fernseher mit voller Lautstärke, und das Essen ist den Europäern nicht geheuer. Zudem sind Rülpsen und Furzen ebenso üblich wie das Kratzen und Streicheln des Geschlechts.
Auch die Verständigung ist ein Problem, selbst in Englisch. Reporter: “Sag mal, are both of the three womans dead?” Dolmetscher: “Whad you say?” Ein Kameramann versucht es erneut: “Both of three peoples qrrrr…?”, und fuchtelt mit dem Zeigefinger an seinem Hals herum, als ob er ihn durchschneiden würde.
Zu alledem kommt, dass Interviewpartner wie Warlords unpünktlich zu Terminen erscheinen, im ganzen Land fast 25 Millionen Minen versteckt sind und man unterwegs nicht mal in den Busch gehen kann, da überall Banditen lauern können. Also bleibt man besser in Kabul. Hier haben die großen Fernsehanstalten Häuser gemietet und pendeln zwischen diversen Pressekonferenzen und der Pressestelle der deutschen Bundeswehr.
Man ist bemüht, mit Karsai, Qanunni, Fahim und Abdullah Interviews zu bekommen. Zur Abwechslung ein Bericht über die Frauen, die ihre neue Freiheit genießen, indem sie ihre Burkas ablegen. Die Kollegen von der Kultur entdecken Boskaschi (ein während der Taliban-Herrschaft verbotenes, aber immer noch beliebtes Spiel, bei dem mehrere Mannschaften darum kämpfen, eine geköpfte Ziege in einen markierten Kreis zu bringen). Wenn all dies abgegrast ist, darf die Bundeswehr strammstehen.

So wurde exklusiv von einem “Beschuss” auf eine deutsche Patrouille berichtet. In Wirklichkeit schlugen die Schüsse 50 Meter entfernt ein. Dass die Bundeswehr dies selbst nicht als Gefährdung ihrer Soldaten empfand, beeindruckte die Medienvertreter nicht. Bei aller Sachlichkeit, was sollen solche Meldungen? Etwa die Familien und Freunde der Soldaten zu Hause in Schrecken versetzen?
Übrigens, ohne Ausnahme sagten die deutschen Soldaten, dass sie sich in Kabul nicht bedroht fühlten, und meinten, wenn jemand es darauf anlege, einen Anschlag auf das deutsche Lager zu verüben, wäre dies nicht allzu schwer.
In einem Land, indem fast jeder eine Kalaschnikow mit sich trägt, fallen in regelmäßigen Abständen Schüsse. Abends werden die diversen Warlords und Gauner aktiv. Um bei ihren Raubüberfällen nicht gestört zu werden, geben sie gewöhnlich ein paar Warnschüsse auf die Friedenstruppen ab.

Während die Medien solche Schießereien zu Kriegsszenarien aufbauschen, ignorieren sie wirklich exklusive Angebote: Zufälligerweise war ich Stunden vor dem Erdbeben in Nahrin, um die Dorfschule zu filmen. Strahlende Kinder, die das erste Mal nach dem Krieg wieder die Schule besuchen durften. Kleine Mädchen, die während der Taliban-Zeit kein Recht auf Bildung hatten. Nur Stunden später wurden die Schulgebäude zerstört und viele der Kinder getötet. Mein Material stellte ich der ARD kostenlos zur Verfügung – und die Agenturen lieferten die ersten Bilder aus Nahrin erst 24 Stunden später. Dennoch: Kein Interesse. Nicht einmal daran, das Material zu sichten.
Wahrscheinlich lag es schlicht daran: Ich war im Auftrag des SWR unterwegs, aber der MDR ist für Afghanistan zuständig. Die ARD hat den Globus in diverse Zuständigkeitsgebiete aufgeteilt. Es mag ein Zufall sein, aber der süddeutsche Sender SWR ist für Südamerika zuständig, der MDR für alle auf der Mitte der Weltkarte liegenden Länder (Indien, Pakistan, Bangladesch, Sri Lanka und Nepal). Demzufolge berichtet ein Mann aus Leipzig, ohne jeglichen Bezug oder Sprachkenntnisse, über die Hälfte der Menschheit. Selbst wenn anderenorts in der ARD eine halbwegs qualifizierte Journalistin zur Verfügung stünde, bekäme sie den Posten in der Regel nicht. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Afghanistan-Berichterstattung selbst innerhalb der ARD heftig kritisiert wird. Nur: Geändert wird nichts. Ein Ressortleiter verglich diesbezüglich die ARD mit den Kombinaten aus Zeiten der DDR.

Die Privaten haben solche Probleme nicht. Sie sind für alles zuständig und wissen alles besser; sie reden grundsätzlich laut, lachen über ihre eigenen Witze und marschieren immer einen Schritt vor ihrem Kameramann. Ihren Berichten hilft das jedoch nicht.
Verglichen mit dem Fernsehen haben es die Printmedien leichter in Afghanistan. Sie müssen kein Bildmaterial liefern. Das Land ist für die deutschen Leser so fremd, dass sie fast jedes politische, kulturelle oder gesellschaftliche Thema aufgreifen könnten. Irgendwie würde es immer passen. Stattdessen hängen auch die Zeitungsleute mit Drinks in einem UN-Club in Kabul herum und palavern in endlosen Diskussionen über irgendwelche Exklusivinformationen, die man jedoch von einer Quelle bekommen hätte, die man nicht preisgeben dürfe.

Es ist schon faszinierend zu hören, wie ein führender Journalist aus Frankfurt nach einem sechsstündigen Aufenthalt bei der deutschen Friedenstruppe in Kabul seine Meinung über die Bundeswehr grundsätzlich geändert hat. Hätte ich ihm vorgeführt, was die Soldaten bezüglich deutscher Medien zu sagen hatten, wäre er bestimmt nicht begeistert gewesen. Doch: Was sollen die jungen Soldaten von Journalisten halten, die sie nach einem schweren Einsatz im Erdbebengebiet fragen, ob es dort schön gewesen sei, ob sie viele Bilder gemacht haben – und einige davon zur Verfügung stellen könnten?
Man wird das Gefühl nicht los, dass sich viele deutsche Journalisten in Afghanistan so fremd und unsicher fühlen, dass sie ein Stück Heimat und Sicherheit bei der Bundeswehr suchen. Nur so kann ich mir Sprüche erklären wie: “Das sind doch richtig kernige Burschen, was?”, “Da sieht man wieder mal das deutsche Organisationstalent” oder “Die wissen, warum sie hier sind.” Leider kann man dies von den deutschen Medien nicht behaupten.

© ASHWIN RAMAN, 26.6.2007

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Der Autor

Ashwin Raman
Ashwin Raman. Foto: privat

Ashwin Raman wurde am 18.06.1946 in Mumbai (Bombay) Indien geboren. Zuerst kam Raman 1968 nach England zum Literatur- und Politikstudium. In Deutschland ist er vor über zehn Jahren bekannt geworden durch eine große Reportage im ‚Stern‘ über den Handel und die Transplantation von menschlichen Organen in Indien und Pakistan. Heute dreht er Filme und Reportagen, schreibt Bücher und Zeitungsartikel über Konflikte in der islamischen Welt. Seine authentischen Bilder von den Kriegsschauplätzen in Afghanistan und im Irak, seine Nachforschungen über im US-Militärgefängnis Guantanamo inhaftierte Taliban-Anhänger, sein Film über die muslimische Jugendszene in London wurden im Fernsehen gezeigt.


Foto im Artikel gelöscht wegen fehlender Copyright-Angabe. 4.4.24


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