Die Parteien nutzen die Medien, um die Macht zu erhalten oder zu erringen. Die Wirtschaft nutzt die Medien, um Geld zu verdienen und unkontrollierten Einfluss auszuüben.
Die Medien-Arbeiter, Journalisten, Schriftsteller und Künstler stehen dazwischen. Sie verstehen sich als Vertreter der vierten Gewalt, die die Regierung, die Legislative und die Rechtsprechung kontrolliert und so zum Funktionieren eines demokratischen Systems beiträgt. Nur wenn sie unabhängig sind, können sie diesen Anspruch erfüllen. Doch diese Unabhängigkeit wird ihnen immer wieder streitig gemacht – aus wohlverstandenen Interessen.
Eindeutig ist die Konfrontation in einer totalitären Gesellschaft. Eine Diktatur lässt aus reinem Selbsterhaltungsprinzip keinen kontrollfreien Raum zu. Die Medien werden als Erfüllungsgehilfen instrumentalisiert Es herrscht Ruhe im Land; das Volk liebt die Regierung; es gibt keine Probleme: Diese Botschaften zu verbreiten ist ihre Aufgabe. Jeder Versuch, sich aus dieser Verpflichtung zu lösen, wird mit Berufsverbot, Gefängnis oder Tod geahndet. Der Zensor ist ähnlich wichtig wie der Folterknecht.
Eine demokratische Verfassung garantiert die Meinungsfreiheit. Die Unabhängigkeit der Medien gilt als einer der Pfeiler des Systems. Doch die Praxis lehrt die Medienmitarbeiter, dieser Garantie zu misstrauen.
Auch eine demokratisch gewählte Regierung betrachtet unabhängige Kritik als lästig. Überzeugt von ihrer Position versucht sie, entgegengesetzte Meinungen als böswillig oder gar gemeingefährlich zu diskreditieren. Bundeskanzler Ludwig Erhard sprach von „Pinschern“, Berufsverbote gab es unter dem Bundeskanzler Willy Brandt und Bundeskanzler Gerhard Schröder sah sich einer Hass-Kampagne ausgesetzt. In den Vereinigten Staaten von Amerika galt einige Jahre jede Kritik am Irak-Krieg als Landesverrat.
In Wahlkämpfen werfen sich in der Regel die Parteien gegenseitig vor, die Medien zu manipulieren oder zu kaufen. Die Auseinandersetzungen um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Bundesrepublik gehören zur Routine. Da gilt der eine Sender als rot und der andere als schwarz. Einig sind sich die Parteien zumeist in dem Ruf nach mehr oder effizienterer Kontrolle der Anstalten. Die Rundfunk- und Programm-Räte sollen als Kontrollorgane der Sender die Vielfalt der Gesellschaft widerspiegeln und auch Vertreter Partei- unabhängiger Organisationen und Verbände, etwa der Gewerkschaften und Kirchen umschließen. Doch jede Partei versucht, verdeckt möglichst viele eigene Leute dort einzuschleusen. Der Föderalismus und die allmähliche Entideologisierung verhindern, dass sie flächendeckend erfolgreich sind. Doch das zähe Zerren um die letzte Wahl des ZDF-Intendanten zeigt, zu welchem Satyrspiel sich der Machtkampf der Parteien auswachsen kann.
Denn es geht um Macht. Auch wenn die Macht einer nationalen Regierung heute oft nur noch als Illusion erscheint. Von der internationalen Verflechtung und übermächtigen Wirtschafts-Konglomeraten eingezwängt hat sie heute nur noch einen begrenzten Spielraum. Den Parteien ist ihre Ideologie abhanden gekommen. Sie haben Mühe, ihren Anspruch auf Führung zu rechtfertigen. Doch sie spielen weiter, als habe sich nichts verändert.
Die Gefährdung der Unabhängigkeit der Medien-Mitarbeiter geht heute nicht überwiegend von einer demokratisch gewählten Regierung aus. Die Meinungsfreiheit reduziert sich zusehends auf die Freiheit von wenigen Konzernen und Medien-Bossen. Namen wie William Hearst, Axel Cäsar Springer, Rupert Murdoch oder Silvio Berlusconi stehen für einen nahezu größenwahnsinnigen Machtanspruch. Sie wollen nicht nur ihre wirtschaftlichen Interessen durchsetzen, sondern auch politischen Einfluss nehmen. Immerhin setzen sie sich der Gefahr aus, abgewählt zu werden, wenn sie nicht nur Wirtschaftschef sondern auch noch Ministerpräsident werden wollen. So erging es Berlusconi.
Ein Rupert Murdoch braucht nicht die Rolle der Primadonna. Er begnügt sich, wie die meisten anderen seiner Kollegen, den eigenen Betrieb zu beherrschen, auszubauen und zu internationalisieren. Die Mitarbeiter werden wie Schachsteine bewegt. Sie haben sich den Interessen des Chefs unterzuordnen. Modelle wie Redakteurs-Ausschüsse, Verlags-Kooperativen oder Zeitungen mit einem Mehrheitsanteil von Mitarbeitern (Le Monde, Spiegel) gelingen nur ausnahmsweise und scheitern oft an Geldmangel. Die Gewerkschaften stehen im Abseits. Ihnen laufen die Mitarbeiter weg, weil sie sich von ihnen nicht mehr wirkungsvoll unterstützt fühlen.
Vorbei ist die Zeit, da die Medien als etwas Besonderes, als Unternehmen sui generis galten. Zwar war schon immer der kleine Lokal-Verleger bereit, die Meinungsfreiheit seines Redakteurs zu opfern, wenn es um Anzeigen-Aufträge ging. Und auch seine größeren Kollegen betrachteten ihre Betriebe als Wirtschaftsunternehmen. Doch sie hielten sich für etwas Besseres als einen Seifenfabrikanten oder einen Automobilhersteller. Heute denken sie vor allem betriebswirtschaftlich. Sie expandieren international, sie kaufen sich in andere Betriebe ein, und sie verkaufen ihre Zeitung oder ihre Fernsehstation auch ohne schlechtes Gewissen an einen Seifenfabrikanten, wenn es sich denn gerade so ergibt. Oder an einen mehr oder weniger anonymen Investmentfonds. Die Mitarbeiter gehören zur Verfügungsmasse und werden allenfalls nach ihrem Marktwert bemessen.Medienbetriebe gehorchen den gleichen Gesetzen wie alle anderen internationalen Konzerne. Und ihre Bosse vertreten die gleichen Interessen. Es geht um Profitmaximierung. Und es geht auch um das System, das diese Profitmaximierung ermöglicht. Die neoliberale Wirtschaftsordnung darf nicht in Frage gestellt werden. Ein widerspenstiger Mitarbeiter, der öffentlich über Alternativen nachdenken will, wird nicht ins Gefängnis gesperrt oder umgebracht – er wird freigestellt.
Vedetten wie Berlusconi bieten Angriffspunkte. Sie stellen ihren Machtanspruch in den öffentlichen Raum und riskieren das Scheitern. Ein Rupert Murdoch zieht es vor, im Hintergrund zu bleiben und unauffällig die Fäden in der Hand zu halten. Sie agitieren mit allen verfügbaren Mitteln für einen Konsens: dass es im gemeinsamen Interesse der Wirtschaft, der Regierungen und der Gesellschaft liege, die neoliberale Wirtschaftslehre als allgemein gültig zu akzeptieren. Wenn sie erfolgreich sind, – und das scheint überwiegend der Fall zu sein – brauchen sie den öffentlichen Rundfunk nicht wie Berlusconi zu kapern: Dann übernehmen die Regierungen die Aufgabe, die allgemein gültige Lehre in den von ihnen kontrollierten Medien durchzusetzen, nicht nur national, sondern auch international.
Dass bei einer solchen Entwicklung die Meinungsfreiheit und Unabhängigkeit von Medienmachern kaum eine Chance haben, liegt auf der Hand. Gegen eine Regierung lässt sich die öffentliche Meinung mit einiger Aussicht auf Erfolg mobilisieren, wie die Beispiele der Spiegelaffäre in Deutschland und der Watergate-Affäre in den USA zeigen. Doch in der aktuellen Situation fehlt das Forum in den tonangebenden Medien, das System herauszufordern. Der öffentliche Raum ist abgeschirmt, die öffentliche Diskussion abgesteckt.
Die einzige Chance besteht darin, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Der technologische Fortschritt erlaubt heute, Zeitungen, Radio- und Fernsehstationen mit sehr viel geringeren Mitteln zu gründen als noch vor wenigen Jahren. Das Internet als virtuelles Medium ist nicht ortsgebunden sondern mobil. Es lässt sich jederzeit überall abrufen. Es ist kaum lokal kontrollierbar und bietet eine Plattform für Diskussion, Information, Mobilisierung und koordinierte Aktion. Es erlaubt Meinungsfreiheit und Unabhängigkeit.
Natürlich kann das Internet auch von Parteien, Regierungen und der Wirtschaft genutzt werden, um ihre Interessen zu vertreten oder durchzusetzen. Doch nicht exklusiv. Inwieweit das neue Medium ein eigenständiger Faktor im Machtspiel wird oder auch nur die traditionellen Medien beeinflusst, wird die Zukunft zeigen. Es verändert nicht die bestehenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse. Es unterläuft aber den totalitären Versuch, den öffentliche Raum zu beherrschen und damit das bestehende System unangreifbar zu machen. Es gibt der Demokratie eine Chance.
© Hans Hübner, 12.05.2007