22. Dezember 2010 | Bevölkerungswachstum

Wieviel Mensch verträgt die Erde?

von Lilli Sippel, Franziska Woellert und Reiner Klingholz. Berlin


Die Entwicklungspolitik umschifft seit Jahrzehnten den Zusammenhang zwischen hohen Kinderzahlen und wirtschaftlicher Rückständigkeit. Sie könnte jedoch die Rahmenbedingungen beeinflussen, unter denen Frauen und Männer sich für mehr oder weniger Kinder entscheiden.

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Afrikas Wirtschaft boomt. In vielen Ländern wächst die Mittelschicht und mit ihr die Kaufkraft. Damit ist Afrika für Investoren interessant geworden: In nur einem Jahrzehnt haben sich die Direktinvestitionen auf dem Kontinent beinahe versiebenfacht. Doch der Aufschwung vollzieht sich keineswegs überall in Afrika. Afrika südlich der Sahara ist noch immer die ärmste Region der Welt. Gleichzeitig wächst die Bevölkerung hier am stärksten. Das beeinträchtigt die Versorgung mit Nahrungsmitteln, Trinkwasser und Energie, das Angebot an Krankenhausbetten, Schul- und Arbeitsplätzen sowie das friedliche Zusammenleben der Menschen. Das neue Discussion Paper „Schwieriges Wachstum“ des Berlin-Instituts erklärt, wie die demografische Situation eines Landes und seine sozioökonomische Entwicklung zusammenhängen.

Vor einem halben Jahrhundert war die Ausgangslage in Ostasien ähnlich schlecht wie heute in Subsahara-Afrika: Die Kinderzahlen waren hoch, der Entwicklungsstand niedrig. Damals rechnete kaum ein Experte damit, dass China eines Tages zur Weltmacht aufsteigen und die Wirtschaft der meisten ostasiatischen Länder rekordverdächtig wachsen könnte. Das Discussion Paper „Schwieriges Wachstum“ stellt die Entwicklungslage in Afrika und Asien einander gegenüber und geht der Frage nach, warum ein Land wie Südkorea heute zu den 15 reichsten Nationen der Welt zählt und warum der afrikanische Sahelstaat Niger bei Entwicklungsrankings stets den letzten Platz belegt. Die Antwort lautet, dass Südkoreas Politik der Altersstruktur der Bevölkerung Rechnung getragen hat: Der Tigerstaat hat vor Jahrzehnten Familienplanung propagiert und in seine vielen jungen Menschen investiert, sie ausgebildet und Arbeitsplätze geschaffen. Weil in der Folge die Geburtenraten sanken, übertraf die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter schließlich die Zahl der wirtschaftlich abhängigen jüngeren und älteren Menschen stark. In Niger werden dagegen immer noch durchschnittlich sieben Kinder pro Frau geboren. Auf jeden Erwachsenen kommt ein Kind unter 15 Jahren, das versorgt werden muss. Kaum jemand kann lesen oder schreiben, und außerhalb der Landwirtschaft sind Arbeitsplätze rar. Das starke Bevölkerungswachstum bremst jegliche Entwicklungsbemühungen des Landes.

Die Entwicklungspolitik umschifft seit Jahrzehnten den Zusammenhang zwischen hohen Kinderzahlen und wirtschaftlicher Rückständigkeit. Sie ignoriert weitgehend die Tatsache, dass die hohe Geburtenrate eines Landes die Ursache vieler Entwicklungsprobleme bildet, weil das Thema Bevölkerungspolitik auch aus historischen Gründen umstritten und deshalb heikel ist. Entscheidungen über die Größe der Familie werden immer auf der individuellen Ebene getroffen und müssen freiwillig erfolgen. Staatliche Familienplanungsprogramme wie etwa die chinesische Ein-Kind-Politik verletzen diese Menschenrechte.

Die Politik kann jedoch die Rahmenbedingungen beeinflussen, unter denen Frauen und Männer sich für mehr oder weniger Kinder entscheiden. Wenn ein Staat beispielsweise Bildung und Frauenerwerbstätigkeit fördert, so wirkt sich das auf die Geburtenraten aus. Denn Frauen, die gebildet oder finanziell unabhängig sind, bekommen in der Regel später und weniger Kinder. Gleichzeitig trägt die stärkere Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt zur wirtschaftlichen Entwicklung bei.

Neben der Kinderzahl verlangen zwei weitere Aspekte der demografischen Entwicklung in der Entwicklungszusammenarbeit Beachtung: die Alterung vieler Gesellschaften und die Migration. Zum einen dürften bis 2050 weltweit etwa 1,5 Milliarden Menschen leben, die älter als 64 Jahre sind – drei Viertel von ihnen in den heutigen Entwicklungsländern, in denen es in der Regel keine funktionierenden Gesundheits- und Sozialsysteme gibt. Zum anderen haben zurzeit insgesamt rund 214 Millionen internationale Migranten ihre Heimat verlassen. Die meisten von ihnen ziehen von einem Entwicklungsland in ein anderes, weshalb die Aufnahmeländer zunehmend damit überfordert sind, die Zuwanderer zu integrieren.


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