6. August 2007 | Afrika

Kunst in Südafrika

von Nina Petig. Köln


An Afrika-Touristen, die sich mit Masken, Müllkunst und Holzgiraffen eindecken, geht die zeitgenössische Kunst Afrikas vollkommen vorbei. Denn am Kap der Guten Hoffnung weht ein starker Wind, berichtet Nina Liz Petig. Dort herrscht eine kritische Auseinandersetzung mit Fragen zu Herkunft, Hautfarbe und Geschlecht der Künstler und Kunst-Entrepreneure. Und bei Auktionen in London, Berlin und Brüssel werden afrikanische Künstler ganz anderer Art hoch gehandelt.

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Masken, bunte Perlen, Holzfiguren? Afrikanische Kunst ist nicht mehr das, was sie – von nördlicher Hemisphäre aus betrachtet – einmal war. In den letzten Jahren hat sich einiges verändert.
Am Straßenrand und auf Märkten in Bamako, Daressalam und Maputo feilschen Touristen immer noch zwecks Aufstockung ihrer Souvenirsammlungen um die besten Preise für Holzgiraffen, Perlenschmuck und Collagen aus Müll. Bei Auktionen und in Galerien in London, Brüssel und Berlin werden Bilder des Malers Cheri Samba aus der Demokratischen Republik Kongo mittlerweile für bis zu 40.000 Euro verkauft. In Anbetracht seiner hohen Popularität sind seine Arbeiten vergleichsweise unterbewertet. Bei der groß angelegten Schau Africa Remix durfte sein Name nicht fehlen. Mit Werken weiterer afrikanischer Künstlerstars wie Bodys Isek Kingelez und Soly Cissé reiste die Ausstellung von London über Düsseldorf und Paris nach Tokyo. Bis Ende September ist sie nun auch in Johannesburg Art Gallery zu sehen. Im Gegensatz zu ihren zeitgenössischen Kollegen bleiben die Urheber traditioneller afrikanischer Masken und Holzfiguren, wenn diese in Museen, Nationalgalerien oder teils umfangreichen Privatsammlungen ausgestellt werden, anonym. Zu den in steriler Art und Weise aufgereihten Artefakten können im besten Fall noch ungefähres Alter und Herkunftsregion angegeben werden.

Wie passt das zusammen? Was macht einen afrikanischen Künstler und vor allem seinen Erfolg heute aus? Wenn es Kriterien für afrikanische Kunst gibt, welche sind es, und wer legt sie fest? Und: Was ist primitiver, westafrikanische Maskerade oder Kubismus?

Zu Fragen wie diesen herrscht an der Südspitze Afrikas eine heiße Diskussion. Ende des Jahres 2005 initiierte das Team der CAPE Africa Platform in Kapstadt unter dem Titel Sessions eKapa eine international angelegte Konferenz zur Lage des Kontinents und seiner Kunst. Zur CAPE Africa Platform hatten sich Mitte des Jahres 2003 Künstler und Kulturschaffende in Kapstadt zusammengeschlossen, um den öffentlichen Dialog über die Positionierung zeitgenössischer afrikanischer Kunst im Konstrukt der gegenwärtigen Kunstwelt herauszufordern. Das funktionierte. Die Frühjahrsausgabe des vierteljährlicherscheinende Kunstmagazins art south africa enthielt neun Artikel, die Vorträge und Ereignisse der Konferenz kommentierten, fünf weitere, die Fragen zur afrikanischen und südafrikanischen Avantgarde, Terminologie der Apartheid, zu schwarzer und weißer Identität und Dominanz weißer Frauen in südafrikanischen Kunstinstitutionen aufwarfen.
Heikle Themen im Südafrika der Post-Apartheid. Einigkeit besteht lediglich in der Auffassung, dass die Definition des Begriffs „afrikanische Kunst“ in enger Verbindung mit Vorstellungen der internationalen Kunstwelt steht. Doch den von außen festgelegten Rahmen zu durchbrechen und ohne Auseinandersetzung mit Fragen zu Herkunft, Hautfarbe und Geschlecht die internationale Kunstarena zu betreten, ist von Kapstadt aus nicht ohne weiteres möglich. Denn zunächst einmal wird im Prozess des nationbuilding und der Aufarbeitung der politischen Vergangenheit den sozialen Identitäten innerhalb der so genannten rainbow nation eine elementare Bedeutung zugemessen. Besonders im Bereich der visuellen Kunst heißt das Zauberwort „Re-Lokalisierung“ (relocation). Südafrikanische Künstler wollen sich neu positionieren, neu definieren und mit Künstlern aus anderen afrikanischen Ländern enger in Verbindung treten. Auf der Internetseite von CAPE heißt es „[…] we ask whether the imperative of contemporary African culture is to re-connect, re-mix, re-locate our selves”(www.capeafrica.org/sessions_brief.html, 13.07.2007).

Die Idee der „Re-Lokalisierung“ erfreut sich besonders auf theoretischer Ebene großer Beliebtheit. Im Frühjahr 2006 zeigte die IZIKO National Gallery in Kapstadt die Ausstellung Picasso and Africa. Anhand von mehr als 80 Werken Picassos und einer Menge afrikanischer Masken beleuchtete die Schau den Einfluss afrikanischer Formelemente auf die Stilrichtung des Kubismus. Ein Sprecher des südafrikanischen Ministeriums für Kunst und Kultur behauptete, die Ausstellung sei ein Beweis für den Diebstahl am afrikanischen Formenschatz und löste so eine heftige Debatte aus. In der Sommerausgabe der art south africa befassten sich 14 verschiedene Autoren mit der Problematik. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang, dass insbesondere das westliche Afrika für Masken bekannt ist, und diese mit dem kulturellen Erbe Südafrikas eigentlich eher wenig zu tun haben. Im Februar 2007 stand dann auch die sogenannte Summer School des IZIKO South African Museum ganz im Zeichen der „Relokalisierung“. In einer Einleitung zum Vortragsprogramm heisst es in Bezug auf Kunst- und Museumspraxis „that we need to re-articulate, re-define, re-construct and re-locate ourselves into a changing socio- and geopolitical climate of our country and the rest of our globalising world” (Kasibe 2007: 0).
In der Praxis hingegen geht das Konzept nicht auf. Das liegt daran – und das ist der zweite Grund für die unumgängliche Konfrontation mit Herkunft und sozialer Identität – dass die Kunstszene in Kapstadt von einem westlich-akademischen Kunstverständnis geprägt ist. Einflussreiche Dozenten der Michaelis School of Fine Art, Kuratoren, Galeristen und Publizisten sind meist schon lange im Geschäft, halten an ihren Positionen fest und blockieren so die Veränderung der althergebrachten Strukturen. So kommt es dann, dass eine Galeristin aus Johannesburg zu ihrem siebzigjährigen Geburtstag noch eine Dependance in Kapstadt eröffnet und sich bei der Eröffnungsrede als die Patronin der südafrikanischen Kunst feiern lässt. In der ersten Ausstellung präsentierte sie die üblichen Verdächtigen wie David Goldblatt, Sue Williamson und William Kentridge.
Der Künstler Maurice Mbikayi aus der Demokratischen Republik Kongo sagt, es mache ihm nichts aus, dass in Kapstadt kein Schwarzer eine Galerie führt. Wie einige andere erhofft er sich, in Kapstadt eine internationale Karriere beginnen zu können und stellt sich mit seinen Arbeiten seit ein paar Jahren immer wieder bei den Galerien vor. Die Künstlerin Sharlene Khan aus Johannesburg sieht die Situation wesentlich kritischer. In der art south africa schreibt sie: “White domination of the visual arts industry is overwhelming, the dominance of white females especially glaring. […] Viewed cynicylly, the rise of white women into exclusivist structures, many of them dating back to the apartheid era, bears out theorist Geeta Kapur’s insight that the periphery (read white women) will sometimes infiltrate the centre (read white male world) not to effect change but to maintain power. Implicit in this action is the replication of systems of privilege (read whiteness) at the expense of the periphery (read black people).“ (Khan 2006: 56)
Im Frühjahr 2007 war das Verhältnis von Zentrum und Peripherie dann auch ein zentraler Aspekt der Ausstellung Cape 07 und des umfassenden Begleitprogramms X-Cape, beides konzipiert und organisiert von der Cape Africa Platform in Zusammenarbeit mit verschiedenen lokalen Kunstprojekten. Eine dazugehörige Gruppenausstellung trug den Titel ReCenter. Dazu erklärte der Künstler Mario Pissarra: „To ReCenter is to move away from dominant models, and more importantly, to begin to develop alternative artistic practices, discourses, structures and systems of validation.“ (www.asai.co.za/forum.php?id=47, 13.07.2007)

Eine neue Kunstpraxis, einen anderen Kunstdiskurs? Kurator und Publizist N’Gonè Fall fordert auch eine neue Kunstgeschichtsschreibung. „We need an in depth-analysis of contemporary African art by Africans because the absence or silence of Africa might lead the world believe that this continent has nothing to say, or that its voice doesn’t count” (Fall 2006: 12f).

Doch wie soll eine solch detaillierte Analyse in Kapstadt ausfallen, wenn die einflussreichen Alten nahezu alle vom gleichen Schlag sind, und die jungen, erfolgreichen Neuen alle von diesen ausgebildet werden? Nandipha Mntambo, deren Arbeiten die IZIKO South African National Gallery kaufte, und die bereits in einer Gruppenausstellung beim renommierten Galeristen Michael Stevenson vertreten war, hat im letzten Jahr ihren Master-Abschluss an der Michaelis School of Fine Art gemacht. Auch Wandile Kasibe, Verantwortlicher für das öffentliche Veranstaltungsprogramm des IZIKO South African Museum ist ein Master-Absolvent des letzten Jahrgangs. In der aktuellen Ausstellung The Loaded Lens in der kürzlich eröffneten Goodman Gallery Cape ist eine Fotoarbeit der Zwillingsbrüder Hasan und Husain Essop zu sehen. Sie schlossen im letzten Jahr an ebendieser Kunsthochschule ihr Bachelor-Studium ab. Neben ihnen ist auch Mikhael Subotzky, Absolvent aus dem Jahrgang 2004, in der Schau vertreten. Übrigens auch wieder mit dabei: David Goldblatt mit Kollegen wie Kendell Geers und Tracey Rose. Auch Ed Young, seit einiger Zeit im Gespräch als junger, provokanter Künstler, der sich auf ironische Weise mit Fragen zur Avantgarde und zur Struktur der internationalen Kunstwelt auseinander setzt sowie Ruth Sacks, die bereits mehrere Kunstpreise sowie Stipendienaufenthalte in Paris und Basel gewonnen hat, sind beide Absolventen und mittlerweile gelegentlich auch Dozenten der Michaelis School of Fine Art.
Im Handbuch der Kunsthochschule wird “continental art” mit internationalen Biennalen und einer westlichen Ausstellungspraxis in Bezug gesetzt. Südliches Afrika und Indien werden als „sub-continental“ bezeichnet. Der Westen übergeordnet, der Süden untergeordnet, der Westen als Zentrum, der Süden als Peripherie. Ein Verhältnis, das sich seit langem hartnäckig hält. Aber eins ist klar: am Kap der Guten Hoffnung weht ein starker Wind. Der südafrikanische Künstler Robin Rhode zitiert in einem Ausstellungskatalog aus einer Publikation von Alighiero Boetti: „The wind constantly transforms shapes, you can see it in snow, dust or sand. It’s a living force […]“ (Rhode 2007: 259).

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Literatur 

Fall, N’Goné. 2006. State of emergency. In: O’Toole, Sean (ed.). art south africa. Kapstadt: Bell-Roberts Publishing. S. 12-13.
Kasibe, Wandile. 2007. What is different about the 2007 Summer School? Unveröffentlichtes Manuskript, verteilt während des Vortragsprogramms der Summer School 2007 des IZIKO South African Museum. S. 0.One million and fourty-four years (and sixty three days). A sampler. Stellenbosch: SMAC Gallery. S. 259.
Khan, Sharlene. 2006. Doing it for daddy. In: O’Toole, Sean (ed.). art south africa. Kapstadt: Bell-Roberts Publishing. S. 56.
Rhode, Robin. 2007. Letter. In: Smith, Kathryn (ed.)

 


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Eine Antwort zu “Kunst in Südafrika”

  1. Als Abiturent der einen Vortrag über Kunst in Südafrika zu halten hat, bin ich froh einen Artikel gefunden zu haben, der hinter den, von all den oberflächlichen Reisemagazinen angepriesenen, Perlenkitsch zu schürfen vermag.
    Vielen Dank für die wertvollen Informationen.

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