15. Mai 2008 | Rat der Ex-Muslime

Wir sind dann mal raus…

von Thomas Schmeckpeper.


Auch das Recht, an keinen Gott glauben zu dürfen, muss sich erkämpft werden. Und manche setzen dafür sogar ihr Leben aufs Spiel. Ganz weit weg? Nein, gleich hier um die Ecke…

Lesezeit 5 Minuten

Die Leichtigkeit, mit der man heute seine Glaubensbezeugungen der Welt kundtun kann, ist bemerkenswert. Umso mehr, wenn sich damit Millionen verdienen lassen. Schriftsteller und Komödianten haben diesen Trend erkannt und auch Politiker jenseits des großen Teiches wissen um die enorme Bedeutung religiöser Verbände und Lobbyisten. Ein sich zum Atheismus bekennender amerikanischer Präsident? Undenkbar. Nach wie vor blühen die Knospen des Kokettierens geistlicher und weltlicher Mächte, und das sowohl in Theokratien als auch unter dem Deckmantel der Säkularisierung. Die süßesten Früchte versprechen jene kokettierenden Akteure. Doch wo es Früchte gibt, da gibt es auch Fäule. Und diese Fäule wird nicht zuletzt solchen nachgesagt, die an der Süße der versprochenen Früchte zweifeln.

Wie es sich anfühlt, dieser Fäule bezichtigt zu werden, weiß Mina Ahadi. Im Iran aufgewachsen, begann Ahadi sich während ihres Medizinstudiums an Protestaktionen gegen die unter Ayatollah Chomeini entstandene Islamische Republik Iran zu beteiligen. Aktionen, für die ihr Ehemann und mehrere Freunde mit ihrem Leben bezahlen mussten. Sie brach ihr Studium ab, flüchtete in den Teheraner Untergrund und verbündete sich mit Partisanenkämpfern, während in ihrer Abwesenheit die Todesstrafe gegen sie verhängt wurde. 1990 flüchtete sie über den Irak nach Wien und 1996 schließlich nach Köln, wo sie nun mit ihrem zweiten Mann und den gemeinsamen Kindern lebt. Heute zählt sie weltweit zu den aktivsten Kämpfern für die Frauenrechte. Ihre Vorreiterrolle im Kampf gegen Steinigungen, welche in Teilen der islamisch geprägten Länder der Gegenwart durch die Scharia rechtfertigt werden, ist unumstritten. 2007 erhielt sie für ihr Engagement in London den Irwin Prize for Secularist of the Year. Eine Auszeichnung, die nicht zuletzt auf die Gründung des deutschen Zentralrates der Ex-Muslime (ZdE) vor knapp einem Jahr zurückgeht, wo sie seitdem den Posten der Vorsitzenden inne hält.

Ex-Muslime? Integration, Assimilierung, Kopftuchverbot, Moscheenbau, alles Themen, die einem, zumal in Köln, immer wieder über den Weg laufen. Aber Ex-Muslime? Ich möchte wissen, was sich hinter diesem Namen verbirgt, welche Leute dahinter stehen und was ihre Ideen und Ziele sind. Ich kontaktiere Mina Ahadi, bitte um ein Treffen und erhalte prompt eine Bestätigung. Es sei bloß noch die Absprache mit der Polizei abzuwarten. Polizei? Es wird mir etwas mulmig, als ich erfahre, dass Mina Ahadi seit der Gründung des ZdE unter polizeilichem Personenschutz steht. Was habe ich zu erwarten? Leibesvisitation? Große Männer mit dunklen Anzügen und verspiegelten Sonnenbrillen, die mit Argusaugen jede meiner Bewegungen observieren?

Unser Treffpunkt ist ein Cafe in einem von vorwiegend Migranten bewohnten Kölner Stadtteil – ein Ort, der, wie sie mir später noch bestätigen sollte, ganz bewusst von ihr ausgewählt wurde. Nach anfänglichen Verständigungsproblemen mit Passanten beim Erfragen des Weges, erreiche ich mein Ziel dann doch noch etwas verfrüht und habe somit noch genügend Zeit, nach Sonnenbrillen, Kameras und anderen verdächtigen Objekten Ausschau zu halten. Nichts. Keine Kameras, keine Sonnenbrillen und auch die Bedienungen des Cafes wirken alles andere als Spielfilm reif. Der Zucker löst sich gerade im Kaffee, als Mina Ahadi schließlich begleitet von einem Mann mittleren Alters, der sich auch sogleich wieder verabschiedet, zu mir kommt.

Die Ruhe und Herzlichkeit, die sie mir von Anfang an entgegenzubringen versteht, löst meine Nervosität wie der Kaffee den Zucker. Doch auch ihre Ruhe kann nicht die Bestimmtheit ihres zielgerichteten Blickes vertuschen. Ich erinnere mich an meine diversen Nebenjobs in der Gastronomie. Den „Leuchtturmblick“ müsse man haben, wurde mir immer wieder eingetrichtert. Ein Blick, der in einem fort alle Gläser und Tische abscannt und nach weiteren Wünschen Ausschau hält. Ein Blick, der das Ziel vor Augen hat, der Umwelt aber stets die nötige Aufmerksamkeit schenkt. Ich erkenne diesen Blick bei Mina Ahadi. Aber worin zeichnet sich diese Umwelt bei ihr aus? „Es gibt eine Bewegung, einen Freund, und ich nenne ihn Menschheit.“, sagt sie. Aber nicht jeder Freund, scheint es mit ihr gut zu meinen. Warum sonst der Personenschutz und die Tatsache, dass sie nie alleine irgendwo hingeht? Während ihre Stimme merklich an Volumen verliert, bezeichnet sie jene islamischen Organisationen, denen sie ein Dorn im Auge ist, als „Mafiaorganisationen“. Und mit einer verbitterten, jedoch auch schon fast einfühlsamen Stimme einer Mutter, die mehr nach Empathie als nach Unverständnis klingt, ergänzt sie: „Ich kann mir vorstellen, dass ein ganz normaler Mensch, der zwar sehr lieb, aber eben auch sehr fanatisch ist, konsequent genug sein kann, gegen uns und unsere Stellung, etwas zu tun.“ Vermutlich denkt sie an ihren Mitstreiter und Freund aus Holland, den Islamkritiker und dortigen Vorsitzenden der Ex-Muslime Ehsan Jami, der am 4. August vergangenen Jahres nach dem Einkaufen brutal auf offener Straße zusammen geschlagen wurde. Auch er steht mittlerweile unter polizeilichem Personenschutz. Für Mina Ahadi ist das kein Grund, sich zurückzuziehen: „Je mehr ich öffentlich arbeite, je mehr ich Menschen erreiche, je mehr ich zeige, wie positiv unsere Arbeit ist, desto mehr Schutz erreiche ich. Wir verlieren, wenn wir nicht über die Probleme reden.“

Ich frage sie, ob sie an eine Zukunft ohne Religion glaubt. „Religion gehört der Vergangenheit und nicht der Zukunft und der erste Schritt in eine solche Zukunft ist die Erkenntnis, dass Religion Privatsache ist“, ist ihre Antwort. Aber gehört dann nicht auch die Abkehr vom Glauben in den Horizont privater, persönlicher Entscheidungen? „Nein, der Verein der Ex-Muslime versteht sich nicht als Opposition zu allen Anhängern des muslimischen Glaubens, sondern als Alternative im Sinne einer gemeinsamen Interessensvertretung für eine umfassendere Integration. Der Verein möchte die Grundsatzbedingungen einer gemeinsamen Repräsentationsmöglichkeit der Immigranten aus muslimisch geprägten Ländern zum Diskurs machen und jegliche religiösen Aspekte dabei ausklammern. Denn Religion ist nicht die Hauptidentität des Menschen.“, so Ahadi. Ebenso sei nicht erst der Zufluchtsort Deutschland für viele Immigranten Brutkasten des Willens zu einer säkularen Gesellschaft. Ihre Erfahrung, jedoch als Muslime empfangen worden zu sein, ist ein weiter Grund für die Gründung des ZdE, welcher einer solchen Wahrnehmung entgegen wirken möchte.

Die rund 400 Mitglieder des deutschen ZdE präsentieren sich auf ihrer Website mit dem Spruch „Wir haben abgeschworen“. Ein Spruch, der bewusst an die Titelschlagzeile des Stern vom 6. Juni 1971 erinnern soll. Durch Alice Schwarzer initiiert, propagierten damals bekannte sowie unbekannte Frauen mit dem Spruch „Wir haben abgetrieben“ das Recht auf Abtreibung. Religion, die ungewollte Schwangerschaft? Ahadi wirft einen Blick zurück in ihre Kindheit und auf die frühen Erfahrungen mit der Religion ihrer Eltern. „Ich habe keine Chance gehabt, meinen Körper kennen zu lernen. Ich habe keine Chance gehabt, Freude kennen zu lernen. Ich habe keine Chance gehabt, Farben kennen zu lernen. Ich habe keine Chance gehabt, konzentriert zu leben und zu genießen. Die Religion hat mir erzählt, dass ich lebe, um alleine Gott und dem Mann zu dienen. Sie hat mein Leben kaputt gemacht.“, so lautet ihre ernüchternde Bilanz.

400 Ex-Muslime. Eine Zahl, deren Süße vom bitteren Kaffeesatz des religiösen Fanatismus begraben wird? Zwar erhält Mina Ahadi Schutz durch die Polizei, welche bekanntermaßen dem Innenministerium angehört, doch die Tatsache, dass eben jenes Innenministerium einen Integrationsgipfel initiiert, bei dem die islamischen Interessensvertreter in der Überzahl sind, verbittert sie. Durch ihr öffentliches Auftreten, durch die zahlreichen Vorträge, die sie bundes- und mittlerweile auch europaweit hält, erhofft sie sich mehr Aufmerksamkeit für das Anliegen ihrer Bürgerrechtsbewegung. Dass dabei ihr Engagement unter Einsatz ihres Lebens für die unveräußerlichen Werte des menschlichen Individuums nur allzu sehr an den humanistischen Anspruch großer Religionen erinnert, ist bemerkenswert. Zurück bleiben mir persönlich ein süß-saurer Nachgeschmack und die Erinnerung an eine Frau, die genauso viel Herzlichkeit, Offenheit und Güte wie Bestimmtheit und Selbstbewusstsein an den Tag legt. Eine Frau, die von der Richtigkeit ihres Weges überzeugt ist und Widerstand und Einschüchterung als Motivation zu verwerten weiß.


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