taz: Das Unglück in der chilenischen Mine San José in Copiapó zeigte der Welt, dass die Arbeit im Bergbau nach wie vor mit extremen Risiken verbunden ist. Nichtsdestotrotz spricht man in Lateinamerika derzeit von einem „Bergbau-Boom“. Worauf basiert der?
Maristella Svampa: Länder wie Chile, Peru, Bolivien und Mexiko haben tatsächlich eine bedeutende Bergbautradition. In den letzten Jahren boomte aber auch der Bergbau in Argentinien, Ecuador, Venezuela, Honduras oder Guatemala. Dieser „Boom“ bezieht sich weniger auf die traditionelle Form des Bergbaus unter Tage, der größere Rohstoffadern aus den Stollen förderte. Aufgrund weltweit knapper werdender Vorkommen versucht man heute auch Metalle, die in kleineren Mengen in den Gesteinsmassen zu finden sind, über Tage abzubauen.
Wie geschieht das?
Die dafür notwendige Technologie ist für die Umwelt extrem schädlich. Üblich ist ein Mega-Tagebau. Felsmassen werden abgesprengt, und um die Metalle dann aus den Gesteinen zu lösen, verwendet man Zyanid, Quecksilber und andere toxische Stoffe. Die dafür benötigten Mengen von Wasser und Energie stehen in keinerlei Verhältnis zum Ertrag.
Welche Konsequenzen hat dieser Mega-Übertagebergbau für die betroffenen Regionen?
In Bajo La Alumbrera im Nordwesten Argentiniens in der Provinz Catamarca agiert eines der größten Bergbauunternehmen Lateinamerikas. Hier werden 1.200 Liter Wasser pro Sekunde verbraucht. Und das in einer Wüstenregion. Das Unternehmen verschlingt 25 Prozent des gesamten Energiebedarfs aller vier Nordwest-Provinzen des Landes. Ausschachtungen mit einer Fläche von hundert Hektar und einer Tiefe von hundert Metern verändern das Gesicht der Region nachhaltig. Wo früher ein Hügel war, bleibt am Ende ein tiefes Loch übrig.
Aber es gibt doch Umweltauflagen?
Giftige Rückstände werden zwar aufgefangen, gelangen dennoch oftmals in den Wasserkreislauf. Boden und Luft werden kontaminiert. Wirtschaftlich schafft dieser Typ des Bergbaus reine Export-Enklaven. Wasser und Land werden zuungunsten der Agrarökonomie zerstört. Die Gewinne der in der Regel transnationalen Betreiberfirmen wandern ins Ausland. Im Falle Argentiniens sind Minen entlang der gesamten Länge der Kordilleren vom Norden bis nach Patagonien geplant. Es sind mehr als vierhundert dieser Megaprojekte in der Entwicklung. Argentinien gilt als das Land mit der weltweit sechstgrößten Reserve an Bodenschätzen. Die wirtschaftlichen Interessen, um die es hier geht, sind enorm.
Sie beschreiben den Kampf um gerechte Verteilung der Ressourcen und den Umweltschutz. Ergeben sich daraus auch neue Allianzen?
Die neue Entwicklung führt zu einer Verstärkung und Popularisierung der alten, von indigenen Gruppen geführten Kämpfe um Land und Ressourcen. Die neuen Bürgerbewegungen haben sich Schutz und Verteidigung von Allgemeingütern, Biodiversität und Umwelt zum Ziel gesetzt. In Argentinien existieren hunderte solcher Zusammenschlüsse. Sie mobilisieren an den unterschiedlichsten Orten für einen Stopp des räuberischen Abbaus.
Können Sie das näher beschreiben?
Es hat sich ein Netz gebildet, das militante Umweltschützer, bäuerliche Organisationen, indigene und kulturelle Kollektive umfasst. In den Jahren 2003 bis 2008 ist es dank regionaler Widerstände in sieben Provinzen gelungen, Gesetze zu verabschieden, die diesen Typ des Bergbaus zumindest in einigen Aspekten verbieten und kontrollieren. Dennoch bleibt die Allianz von großen Konzernen und Provinzregierungen in der Regel sehr eng, so dass es den Unternehmen immer wieder gelingt, große Flächen Land zu erwerben.
Vor welchen Widersprüchen steht da die Mitte-links-Regierung von Frau Kirchner in Argentinien? Wie bewegt sie sich in dem Konflikt zwischen Bergbaukonzernen und sozialen Bewegungen?
Die Kirchners vermeiden es, über den Bergbau zu sprechen. Ein „progressiver Diskurs“, den sie gerne für sich reklamieren, ist bei diesem Thema schwer zu führen. Zu Diskussionen kam es aber, als Präsidentin Christina Fernández de Kirchner die Verabschiedung eines Gesetzes zum Schutze der Gletscher durch ihr Veto blockierte. Das war eine klare Intervention zu Gunsten der transnationalen Minenkonzerne – in diesem Fall insbesondere für Barrick Gold, der Gold- und Silberförderung in der Gletscherregion der Kordilleren plant.
Seit Jahren ist Argentinien neben Brasilien auch einer der größten Produzenten für genetisch veränderte Soja. Wer produziert hier? Gibt es kein öffentliches Bewusstsein für die damit verbundenen Risiken?
Das Soja-Modell ist sehr viel komplexer als das der Minen. Daran sind sehr viel mehr soziale und wirtschaftliche Akteure beteiligt – nicht nur große (trans)nationale Konzerne, sondern auch viele mittelgroße und kleine Produzenten. Argentinien ist ein traditionelles Agrarland, in dem es nur schwer gelingt, eine Diskussion über Abholzung, Monokultur oder die Folgen des Einsatzes von Herbiziden in Gang zu bringen.
Im September verabschiedete der argentinische Senat dann trotz der massiven Interventionen der Bergbaulobby das Gesetz zum Schutze der Gletscher. Ein sehr positives Signal des Senats für die Zukunft?
Die Entscheidung fiel am 30. September mit 35 gegen 33 Stimmen sehr knapp aus. Aber das Gesetz zum Schutz der Gletscher wurde vom Senat verabschiedet. Es ist dem kulturellen Wandel und einem wachsenden Umweltbewusstsein geschuldet. Zahlreiche Abgeordnete sind zu der Einsicht gelangt, dass man den umstrittenen Bergbau nicht ohne gesellschaftlichen Konsens und nicht ohne staatliche Kontrolle ausweiten darf. Viele von uns, die jetzt nach Berlin zu der Konferenz dieses Wochenende kommen, haben sich dafür eingesetzt, dass dieses Gesetz verabschiedet werden konnte.
Sie klingen sehr zufrieden.
Es ist ein erster Sieg auf nationaler Ebene. Aber wir sind nicht naiv optimistisch. Die Umsetzung des Gesetzes werden wir aus der Nähe begleiten, damit dieser erste Schritt zum Schutz der Allgemeingüter auch Realität wird.
Kann es aus Ihrer Sicht überhaupt einen ökologisch vertretbaren Bergbau in Lateinamerika geben?
Schwer zu sagen: Mangelnde Sicherheitsbestimmungen wie in Chile oder der räuberische Mega-Übertagebergbau sind jedoch unvertretbar.