24. September 2008 | Harte Zeiten

Wie Hartz IV schmeckt

von Rosemarie Wenzel. Heidelberg


Gesunde Ernährung? Das ist keine Frage, die sich arme Menschen stellen. Hartz IV Empfänger vermeiden die zahlreichen exquisiten Kochsendungen. Warum? Ganz einfach: Als appetitt- gesteuerter Zuschauer meint man drei Mahlzeiten pro Tag seien normal. Doch sie sind und bleiben: Luxus vergangener Tage.

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Ganz grob lassen sich unsere deutschen Hartz IV Empfänger in zwei Gruppen einteilen: Die einen sind, zum Teil in zweiter Generation, mit Sozialhilfe bzw. jetzt teilweise mit Hartz IV aufgewachsen bzw. hinein geboren. Die anderen haben lange Zeit gearbeitet, studiert, Erfolge gelebt, Familie genossen, Ambitionen realisiert, Weiter- und Fortbildungen als „Sicherheitsmassnahme“ zur Fortsetzung des Lebensstandards absolviert. Die letzteren sind nach allen Versuchen, mitten in der Gesellschaft zubleiben, besonders frustriert, Hartz IV zu empfangen. Solch einer ist und isst frustriert.

Wer 24 Stunden unfreiwillig Zeit hat, um mit sich und der Tages- und Nachtzeit klar zu kommen, muss neben seiner spezifischen geistigen Befriedigung auch der körperlichen einen Nährboden geben. Die monetäre Situation zeigt spätestens bis Mitte des Monats, dass drei Mahlzeiten pro Tag Luxus vergangener Tage war. Schlemmen, genießen, vitamin- und kräuterreich kochen, gezielt lustvoll einkaufen und mit Freude garniert auftischen, wird zur geträumten Vergangenheit. Die Wirklichkeit ist für jeden Tag eine Herausforderung. Wer alleine lebt, hat zumindest die Chance sich ein eigenes quantitatives und qualitatives Mindest- oder Höchstmaß zu setzen. Zum Beispiel kein Privatfernsehen, da die Werbung soviel Appetitliches zur „Hungerszeit“ serviert. Dann lieber die Dritten oder Phoenix und Arte (keine Werbung). Historische und aktuelle Dokumentationen relativieren das Hungergefühl. Millionen Menschen hungerten und tun es heute noch. Was soll dann das Jammern?

Einmal am Tage ist eine warme Mahlzeit immerhin möglich. Man darf nur keine der vielen Kochsendungen ansehen. Kurz, wer mit Bewusstsein am Rande der Gesellschaft lebt, kann sich, je nach Grad der intellektuellen Fähigkeiten, sehr bewusst und gezielt so ernähren, dass dem Körper das Wesentliche „zugeführt“ wird. Genuss allerdings seltener. Essenseinladungen, wie früher, bleiben aus, man kann sich ja nicht revanchieren. Daraus folgt: Wer allein von Hartz IV lebt, dessen Körper kann überleben, solange die Seele die sozialen Mangelerscheinungen, die mit jedem Monat stärker werden, verkraftet. Prosit.

Wer Hartz IV nicht verkraftet, weil ungesund, weil hungrig nach allem, was fit und fröhlich macht, ist jedes Kind, jeder Jugendliche. In meinem Stadtteil leben Menschen, vor allem Familien, aus etwa 114 Nationen. Hartz IV und Sozialhilfeempfänger sind aber zum größten Teil Deutsche Staatsbürger. Die Migrantenküche ist nach meinen Beobachtungen noch etwas traditioneller, in diesem Fall etwas variationsreicher. Polnische oder türkische Muttis tragen schon eher mal ein par Kilo Kartoffeln oder Kohl zum heimischen Kühlschrank.

Aber trotzdem: Wenn ich im Einkaufszentrum an der Kasse sehe, was auf dem Rollband liegt, weiß ich wer von der Familie, was zu Essen bzw. zu Trinken bekommt. Die billigsten bunten Getränke und Süßigkeiten – die gesundheitsschädlichen Inhaltsstoffe sind eigentlich hinlänglich bekannt. Aber in diesem Fall egal, weil billig? Für die Kinder, Brot, Tiefkühl-Pizza und Nudeln, Zigaretten und Bier für die Großen. Kein Salat. Kein frisches Gemüse. Auch, wenn im Sonderangebot.

Stattdessen hauptsächlich Tiefkühlware in allen Variationen. Die wird auch immer preiswerter. Kosten keinen Arbeitsaufwand in der Küche. Die täglich konsumierten Werbebotschaften aus den alltäglichen Mittagssendungen diverser TV- Sender werden damit befriedigt. Man gehört dazu. Gesunde Küche ist das nicht. Die kann sich eine Hartz IV Familie, auch wenn sie es wollte, nicht bezahlen. Warum nicht statt „Das perfekte Promidinner“ das „Perfekte Hatz-IV-Menü“?
Ich würde mir nur eines wünschen, Ganztagsschule mit Essen für jeden. Ab der Grundschule statt Technik oder Handarbeit „Gemüse- und Obstkunde“ mit Einkauf und Verarbeitungsvariationen. Diese Form der gesunden Ernährungs-Vermittlung muss nicht erst bei Kuren für adipöse (fettleibige) Kinder in Angriff genommen werden. Kochen mit Spaß erleben. Eigene Kreationen probieren. Kurz Koch- bzw. Esskultur als Bestandteil des Lehrplans. Da könnten vielleicht auch manche Mütter von ihren Kindern lernen. Nur ein frommer Wunsch? Sind die Kinder satt und froh, sind`s die Großen ebenso. Guten Appetit !

Featured Image: Alexander Dreher, / PIXELIO



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