25. Mai 2009 | Ernährung und Fortschritt

Die Manipulation des Kulinarischen

von Michael Krawinkel (taz). Gießen


Entwicklung als Deckmantel für Martkterschließung. Der Aufstieg der Gentechnologie nützt vor allem den Saatgutkonzernen.

Lesezeit 4 Minuten

Ein Argument, das in keiner Gentechnikdebatte fehlt, ist der Hinweis auf den Nutzen der Gentechnik für die Welternährung. Mit Agrogentechnik könne Saatgut entwickelt werden, das den Hunger in der Welt besiege, weil die Ernteerträge steigen, Nährstoffe in der Pflanze angereichert würden und diese resistent gegen Schädlinge, Trockenheit und salzhaltige Böden werde.

Was die gentechnische Veränderung von Baumwolle und Soja damit zu tun hat, erschließt sich nur über den Umweg erhöhter Einkommen für die Farmer. Der kürzlich erschienene Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung des Bundestags formuliert es so: „Seriöse wissenschaftliche Übersichtsstudien verweisen auf das grundsätzliche Problem, dass der tatsächliche bzw. mögliche Nutzen und Gewinn aus der Verwendung transgenen Saatguts in vielfacher Weise durch regionale und betriebliche Faktoren beeinflusst wird […].“ Das bedeutet: Neben den erwünschten Eigenschaften der gentechnisch veränderten Sorten gibt es ein erhebliches Risiko mangelhafter Anpassung der Pflanzen an Böden, Klima und Schädlinge der Entwicklungsländer. Nicht nur die möglichen, sondern auch die bereits eingetretenen Ernteausfälle, die den wirtschaftlichen Ruin und das Zusammenbrechen der Nahrungssicherheit der Bauern zur Folge haben, stehen im krassen Gegensatz zur versprochenen Verbesserung. Man denke nur daran, dass zahlreiche indische Bauern im Jahr 2007 Selbstmord verübten, weil sie ihre Kredite für das Saatgut von der Firma Monsanto nicht zurückzahlen konnten.

Zudem muss man sich fragen, welchen Anreiz es für Bauern in Entwicklungsländern überhaupt gibt, ihre landwirtschaftliche Produktion – mit welcher Technologie auch immer – zu steigern, wenn gleichzeitig auf den ihnen zugänglichen Märkten die Überschüsse der hoch subventionierten Landwirtschaft aus der nördlichen Hemisphäre verramscht werden. Die unselige Politik des Freihandels, die es sogenannten Entwicklungsländern verbietet, zum Schutz ihrer eigenen Bauern ordentliche Zölle auf Agrarimporte zu erheben, und gleichzeitig Agrarsubventionen hier erlaubt, verdirbt dort die Preise ohne Ende.

Aber zurück zur Agrogentechnik. Als Beispiel für eine gelungene gentechnische Veränderung von Nahrungspflanzen wird immer wieder der „Golden Rice“ genannt. Ich setze ihn in Gänsefüßchen, weil es sich bei dem Namen um einen bislang unbegründeten Euphemismus handelt. Die Entwicklung dieser Reissorte war eine züchtungstechnische Großtat gentechnischer Veränderung von Pflanzen; sie ist biotechnologisch beeindruckend und respektabel. Im Jahr 2000 war zwar zunächst so wenig Betakarotin, eine Vorstufe des Vitamin A, in den Körnern, dass nachgebessert werden musste, aber dann gab es den „Golden Rice 2“, in dem 23-mal so viel Betakarotin vorhanden ist und in dem auf das Antibiotika-Resistenz-Gen verzichtet wurde. So weit, so gut.

Der Erfinder behauptete nun öffentlich, dass Gentechnikkritiker aus Europa die Verantwortung für Todesfälle und die Erblindung von Millionen Kindern in aller Welt zu tragen hätten. Eine These, die wissenschaftlich durch nichts belegt ist. Allerdings wurden seit 2004 und 2005 Humanstudien durchgeführt und teilweise abgeschlossen. Diese sollten nachweisen, wie gut der Körper das im „Golden Rice“ vorhandene Betakarotin nutzen kann. Aber Ergebnisse zur sogenannten Bioverfügbarkeit wurden nie veröffentlicht. Selbst die Projektwebsite (www.goldenrice.org) verweist nicht auf eine entsprechende wissenschaftliche Publikation und berichtet bisher nur über die „erfolgreiche“ Durchführung eines „human feeding trial“ – ohne konkrete Ergebnisse zu nennen. Nun haben dreißig Wissenschaftler der Bostoner Tufts University kürzlich dagegen protestiert, dass bei diesen Studien gegen den Nürnberger Ethikcode als grundlegende Regel guter wissenschaftlicher Praxis verstoßen wurde: Kinder einer Grundschule in China wurden als Studienobjekte eingesetzt. Auf Druck der Regierung musste der Versuch abgebrochen werden.

Auch im Bereich der Biomedizin regt sich Kritik am „Golden Rice“-Konzept der Vitamin-A-Versorgung. Im Dezember 2008 wies Dave Schubert vom bekannten Salk Institute in La Jolla, Kalifornien, darauf hin, dass neuartige biologisch aktive Pflanzeninhaltsstoffe wie das Betakarotin im Reis völlig unerwartete und unerwünschte Stoffwechseleffekte auslösen können. Ein Teil des Betakarotins wird nämlich in Retinsäure umgewandelt, die als Regulator für Zellwachstum und -differenzierung wirkt. Völlig gefahrlos erscheint dagegen die Bekämpfung des Vitamin-A-Mangels durch eine vielfältige Ernährung, etwa den Verzehr von betakarotinhaltigen Pflanzen und Früchten sowie tierischen Nahrungsmitteln – das ist nachhaltig, fördert die lokale Landwirtschaft und hat auch nicht nur einen Nährstoff, sondern eine insgesamt gesundheitsfördernde Ernährung im Blick.

Schließlich muss man sich fragen, wo wir endlich anfangen wollen, den Hunger in der Welt effektiv zu bekämpfen. Wenn wir nicht methodenverliebt und mit dem vorrangigen Ziel der Förderung der Agrochemie- und Saatgutkonzerne an das Problem herangehen, geht es um Produktionssteigerung und -sicherung kleinbäuerlicher Landwirtschaft in den Entwicklungsländern selbst. Die steigende Zahl von Menschen, die in Nahrungsunsicherheit leben, zeigt, dass die bisherigen Ansätze dort komplett versagen. Verbesserung lokalen Saatguts, Verminderung der Verluste, die nach der Ernte entstehen, Verzicht auf subventionierte Agrarexporte und Förderung ländlicher Entwicklung sind echte Ansatzpunkte.

Das klingt nicht nach Innovation, aber es ist zielführend – was man von dem Missbrauch des Arguments, Grüne Gentechnik leiste einen Beitrag zur Hungerbekämpfung, nicht sagen kann. Dessen Protagonisten leisten der Entwicklung Vorschub, dass die Saatgut- und Agrochemiekonzerne des Nordens die Märkte hier und im Süden erobern und die dortige kleinbäuerliche Landwirtschaft verdrängen.

© Der Artikel wurde in der Taz vom Prof. 25.5.2009 veröffentlicht.


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