24. September 2008 | Wohnraum und Ernährung

Die Architektur des Essens

von Helmut Theodor. Köln


Ob gesellig oder funktional, repräsentativ oder alltäglich, eines ist die Küche immer: notwendig – für den, der sie benutzt und für den, der sie baut und sein Geld damit verdient. Überlegungen eines Architekten…

Lesezeit 5 Minuten
Architekt Helmut Theodor Helmut Theodor
Helmut Theodor. Foto: privat

Ich sitze in meiner Küche auf dem wilhelminischen Sofa meiner Großmutte und blicke auf ein paar selten benutzter IKEA-Küchenelemente, auf den alten Kühlschrank und eine zu große Spüle für die paar Kaffeetassen und Frühstücksbrettchen.

Küchen waren der Ort in einer Wohnung, der für Nahrung, Wärme, Geselligkeit stand, vielleicht auch ein Ort, um blankgeputzt den monetären Status des Wohnungsinhabers zu belegen: Coquere, cocina, chuchina, seit 10.000 Jahren „ein von der Feuerstelle separierter Bereich zur Umwandlung von Nahrungsmitteln zu Speisen.“ Mesopotamien, Anatolien, Griechenland, Rom kennen Kochstellen, Backöfen für Brotfladen in offenen Patios oder auch separaten Räumen, rauchgetrennt und von Sklaven bewirtschaftet. Seit etwa 1500 Jahren gibt’s Herdöfen in Japan, im europäischen Mittelalter dunkle, verrußte Küchen mit offenem Feuer bis zum Aufkommen des Kaminschornsteins mit Rauchfang, Töpfen, der Stange mit Kesselhaken, Räucherkammern.

Die Küche spiegelt vermehrt den Lebensstil der herrschaftlichen Klassen wider, erst seit 500 Jahren gibt es gemauerte Herde mit gelochter Eisenplatte und Herdringen. Im Barock und im Rokoko entstehen neben den Wirtschaftsküchen Schauküchen mit Porzellan- und Fayencesammlungen, die Prunkküche als Repräsentationsraum. Im 19. Jahrhundert steht die Hausfrau selbst am Herd oder überwacht das Personal; von ihrer Küche hing ihr Renommee ab, ein hoher Wissensstand war Vorbedingung, ohne Strom und Wasser gab es viel Arbeit. Zentrum dieser Küche war der festeingebaute Feuerherd, dessen Funktionalität ihr „Schicksal“ war. Gas und Elektrizität anstelle des Feuers wurden nur zögerlich akzeptiert; 40 Jahre lagen zwischen der Erfindung des elektrischen Herdes und dessen größerer Verbreitung in den Küchen der 30iger Jahre des 20. Jahrhunderts. Nach dem 2. Weltkrieg begint der Siegeszug der optimiert funktionalisierten „Frankfurter Küche“, von der Wiener Architekin Schütte-Lihotzky bereits 1926 zur Erleichterung der Küchenarbeit erfunden. Ich selber habe als spätergeborener Architektenkollege während der letzten Jahrzehnte hunderte dieser Küchen entsprechend den Förderungsrichtlinien des sozialen Wohnungsbaus geplant.

Ich schließe die Augen.
Warte auf die Bilder „meiner Küche, meiner Küchen“, die meiner Großmutter mit dem freistehenden wachstuchbedeckten Tisch, auf dem in den letzten Kriegsjahren der 7jährige bäuchlings lag und sich wie ein Propeller im Kreise drehen konnte, – „ich mache uns einen Buchweizenpfannkuchen“ – nie mehr aß ich etwas Köstlicheres, – und wenn die Kälte spürbar wurde, saßen wir vor dem Herd, mit den Füßen am warmen Backofen. Das Herdfeuer flackerte, der Küchenwecker tickte. Auch später, wenn der berufsgestresste Freund meiner Schwester kam, waren seine ersten Worte: „Ich muß einen Augenblick bei Eurer Großmutter in der Küche sitzen, nur da komme ich zur Ruhe…“ Ruhe, nie Langeweile, eigentlich spielte sich dort nichts ab, trotzdem war ihre Küche die Mitte des Hauses.

Meine Familie saß auch um den Küchentisch herum, aber bei uns brannte kein Herdfeuer mehr, ein moderner Elektroherd, direkt nach dem Krieg angeschafft, war ein gewaltiges Symbol der modernen Zeit, er war Vaters Anschaffung, – meine Mutter war eher zögerlich und benutzte als „zweite“ Kochstelle immer noch einen Ofen mit „richtigem Feuer.“ In meiner Berliner Zeit, den Studenten- und frühen Berufsjahren, begegnete ich dann immer wieder in den großen Gründerzeitwohnungen den gemauerten und gußeisernen Riesenherden, Zeugen einer bürgerlichen Vergangenheit des 19. Jahrhunderts, nicht mehr in Betrieb, aber immer noch standen sie wie riesige Bollwerke in den Küchen, wurden als Ablage benutzt, ihr Betrieb ohne Personal war nicht denkbar. Töpfe, Pfannen, Kannen, – das ganze Zubehör funktionslose Dekoration für den Trödelmarkt.

Wie gesagt, längst zeichnete ich als angehender Architekt Wohnungen mit der „Frankfurter Küche“ optimierte Funktionalität auf engstem Raum, 4,4 lfdm Stellfläche, Raumbreite 2,4 m, glatte Materialien, damit die nunmehr auch berufstätige Hausfrau nicht mehr so viel wischen musste. Wo sollte in einer Stadt auch ein verrußter Topfboden im Sand gescheuert werden? In den 70ziger Jahren versuchten wir Bauherren dann – um Lebensqualität zurückzugewinnen – die „offene, in den Wohnraum integrierte Küche“ schmackhaft zu machen, damit die „Hausfrau“ beim Kochen nicht vom geselligen Besuch abgeschnitten und isoliert in ihrer Funktionsküche die Speisen zubereiten musste, – zögerliche Annahme, skeptisch, wenige Jahre später als Planungsidee meistens abgelehnt. Bis heute ist Standard: Küche mit Essplatz mit möglicher Abtrennung zum Wohnen, Küche mit Frühstücksecke oder schicker Theke, der „große Essplatz“ im Wohnraum oder im separaten Esszimmer. Die Stellflächen für Kochen und Essen sind neben den Stellflächen für Betten und Kleiderschränke in den Planungen nachzuweisen. Wegen der Knappheit der Grundrisse ist kaum individuelle Abweichung möglich. Kochen, Essen, Schlafen sind reduziert auf ihre nackten Funktionen. Ein „Juppi“ isst im Restaurant, eine Junggesellenküche misst 60 x 60 cm. Die Wärme des Feuers ersetzt sich durch die Wärme des Alkohols.

In diese Verarmung trompeten Industrie und Werbung: „Die Küche ist der wahre Raum des Lebens“ „Wir planen und verwirklichen die ganz persönliche Einrichtung und Ausstattung Ihrer Küche, die weit über den Arbeitsbereich hinausgeht….“ Beschwört sie die atavistische Erinnerung an steinzeitliche Feuerstellen, an denen sich in ihrem Wärmeradius das gesamte Leben , Essen und Schlafen abspielte? Auch wir erinnern uns, dass es in den Küchen meistens gemütlicher ist, als an steifen Tischen. Kündigt sich eine Renaissance der Küche als Ort des Zusammenlebens an? Vielleicht mit Feuerstellen für Holz-, Torf- und Steinkohle, Koks- und Brikettfeuer, Kaminen und Rauchabzügen?

An mittigen Küchenblocks können die Kochshows der Fernsehprogramme nachgespielt werden. Immer raffiniertere Kochrezepte, edelste Materialien für die ganz persönliche Lebensführung? Vielleicht bringt es Spaß, auf jeden Fall setzt es Geld in Bewegung.
Ich lehne mich in mein wilhelminisches Sofa zurück. Soviel Kulturpessimismus? Auch ich sitze in meiner Küche und mache mir eine Flasche Rotwein auf. Mir fällt ein Gedicht ein von einem Barockdichter, dessen Name mir nicht präsent ist, der aber sehrwohl vom Geschmack der Einfachheit überzeugt war:

Zuviel Pastet und Leckerbrot
verdirbt nur Blut und Magen
die Köche kochen lauter Not
sie kochen uns viel eher tot
Ihr Herren, laßt´s Euch sagen
schön rötlich die Kartoffeln sind
und weiß wie Alabaster
sie käun sich lieblich und geschwind
und sind für Mann und Frau und Kind
ein rechtes Magenpflaster.

© Cultura21, 24.9.2008

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Der Autor

Helmut Theodor ist Architekt und Künstler und lebt in Köln.


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