27. November 2007 | Psychologie und Kriegsberichterstattung

Seelische Kollateralschaden

von Fee Rojas. Hannover


Journalisten, die aus Kriegs- und Krisengebieten berichten, gehen oft ein lebensgefährliches Risiko ein. Doch dass eine verletzliche Seele oder Psyche Teil des verwundbaren ´Reporterköpers´ ist, wurde von vielen Medienschaffenden bislang wenig beachtet.

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Trauma kann anstecken. Journalist-Sein ist kein wirksamer Impfschutz.

Es ist inzwischen bekannt, dass Journalisten, die aus Kriegs- und Krisengebieten berichten, oft ein lebensgefährliches Risiko eingehen. Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ veröffentlicht regelmäßig die Zahl der Journalisten, die bei der Ausübung ihres Berufes getötet wurden. Im Jahr 2007 waren es bis Ende Oktober 90 Medienmitarbeiter. Doch dass eine verletzliche Seele oder Psyche Teil des verwundbaren ´Reporterköpers´ ist, wurde von vielen Medienschaffenden bislang wenig beachtet.

Seit einigen Jahren gibt es zumindest für die meisten europäischen und nordamerikanischen Journalisten, die in Kriegs- und Krisengebieten reisen, Trainings rund um die körperliche Sicherheit [1]. In diesen Trainings, wie sie z.B. bei der Bundeswehr in Hammelburg stattfinden, lernen die Teilnehmer Tretminen zu erkennen, Gewehr- und Artilleriefeuer zu unterscheiden. Weiter wird das Verhalten an legalen und illegalen Checkpoints geprobt sowie ein Rollenspiel durchgeführt, bei dem die Teilnehmer entführt werden. Natürlich fehlt auch eine Auffrischung der Erste-Hilfe-Kenntnisse nicht. Nicht auf dem Lehrplan zu finden sind jedoch folgende Aspekte:

  • Wie verarbeitet man es psychisch, wenn in einer Krankenstation recherchiert wurde, in der Hunderte von Minen verletzter Kinder über den Boden robben?
  • Was ist dienlich für die Psychohygiene des Teams, wenn man tagelang die Eindrücke an Massengräbern dreht?
  • Oder was macht man, wenn man immer wieder von dem sterbenden, im Arm seiner Mutter liegenden, Kleinkind im Sudan träumt?

Eindrücke der First Responder

Dass die Konfrontation mit dem massiven Elend anderer Menschen Spuren auf der Seele der Berichterstatter hinterlässt, ist eine Tatsache, der sich viele Journalisten noch verschließen. Während Rettungskräfte und Polizisten nach Großschadensereignissen oft psychologisch nachbetreut werden, besteht ein derartiges Angebot für Journalisten derzeit noch nicht. Journalisten verhalten sich genauso, wie Feuerwehrleute, Polizisten und Sanitäter – sie rennen zu einem Unglück hin, im Gegensatz zu den meisten anderen Menschen, die weglaufen, um ihre Haut zu retten . Es ist also fast so etwas wie ein Berufsreflex, erst einmal nah ran zu gehen, um Eindrücke zu sammeln.
„If the picture is not good it is because you are not close enough”, sagte der Kriegsfotograf Robert Capra. Wenn man so nah an ein Extremgeschehen herangeht, bekommt jeder seelisch Gesunde eine persönliche Beziehung zu dem, was da vor ihm oder um ihn herum geschieht. Dies ist eine vitale menschliche Reaktion und spricht für die Empathiefähigkeit des Menschen. Doch gerade dieser gesunde menschliche Impuls und die Fähigkeit sich emotional berühren zu lassen, scheint häufig für die journalistische Arbeit hinderlich zu sein. Rasch müssen Beiträge über das Geschehen angefertigt werden, es bleibt also keine Zeit für eigene Gefühle. Journalisten sind oft Meister darin zu verdrängen, wie es ihnen selbst ergangen ist, als sie die schockierende Wirklichkeit in Worte oder Bilder fassten. Manch einer mag nun sagen: „Wunderbar, Gefühle der Hilflosigkeit und des Entsetzen, die man nicht wahrgenommen hat, hat man nicht gehabt“. Doch unsere Psyche funktioniert anders. Wenn man nah an Menschen herangegangen ist, die durch ein Extremerlebnis – sei es ein Krieg, ein Unfall oder eine Naturkatastrophe – erschüttert worden sind, dann kann diese existenzielle Not abfärben. Oder ganz plastisch gesagt: Trauma kann ansteckend sein.

Natürlich sind wir Menschen von Natur aus in der Lage, eigene traumatische Erlebnisse zu verarbeiten und auch seelisch gesund zu bleiben, wenn wir erleben, wie Menschen in unserer Umgebung oder auch wir selbst in existenzielle Not geraten. Hätten wir diese Traumabewältigungskompetenz nicht, hätte die menschliche Spezies nicht so lange überlebt.

Problematisch für den innerpsychischen Verarbeitungsprozess wird es erst, wenn sich ein Stresserleben an das andere reiht und keine Zeit bleibt, die Extremerlebnisse, die man als Zeuge miterlebt hat, zu verarbeiten, wie beispielsweise als Journalist im Krisengebiet.

Anzeichen für eine weniger gute Verarbeitung von Extremerlebnissen

Wenn man um nichts in der Welt an das Schlimme, das man erlebt oder gesehen hat denken mag und alles meidet, was die Erinnerung wieder hochkommen lässt, so kann dies dafür sprechen, dass das Erlebnis nicht in die eigene Lebensgeschichte integriert, sondern traumatisch verarbeitet wurde. Eine sehr unangenehme Ausprägung dieses Vermeidungsbemühens ist, dass man oft auch in anderen Lebensbereichen kaum Gefühle mehr spürt. Die Fähigkeit sich über Dinge, wie einen farbintensiven Sonnenuntergang, zu freuen – oder traurig zu sein, über den Tod der Katze, ist wie wegblasen. Manche Menschen beschreiben dies als „ es fühlt sich an wie abgeschaltet“. Für das Zusammenleben mit anderen Menschen ist dies enorm hinderlich. Ebenso hat es nachteilige Effekte auf die journalistische Arbeit. Ein weiteres möglich Anzeichen für eine ungünstige Verarbeitung sind sogenannte Flashbacks, d. h. auf einmal sieht oder hört oder riecht man das Extremereignis wieder, so als würde man es grad wieder erleben. So berichtete z.B. eine Journalistin, die vor vielen Jahren über einen VW-Bus mit sechs verbrannten Kindern einen Beitrag machte, dass sie noch heute vor ihrem inneren Auge diese toten Kinderkörper sieht, wenn sie auf einen VW-Bus auf dem Seitenstreifen trifft. In diesem Fall ist jeder beliebige abgestellte VW-Bus ein so genannter Trigger (engl. Abzug, Auslöser) für dieses Extremerlebnis. Diese nicht bewusst gesteuerten Wiedererinnerungen können sich auch in Albträumen bemerkbar machen.

Die dritte Gruppe von Anzeichen für eine unvollständige Verarbeitung fassen die Trauma-Experten unter Hyperarousal oder erhöhtes Erregungsniveau zusammen. Dazu gezählt werden neben einer gesteigerten Schreckhaftigkeit, Konzentrationsstörungen auch körperliche Symptome, wie Schlafstörungen, Magenschmerzen, Schweißausbrüche, Kreislaufbeschwerden etc.

Wichtig ist es darauf hinzuweisen, dass es in den ersten Wochen nach einem extremen Erlebnis, völlig normal ist, wenn man von dem belastenden Erlebnis träumt, dass man schreckhafter ist als sonst und dass man zunächst versucht, eine Wiedererinnerung zu vermeiden. Von einer Traumafolgestörung sprechen die Experten erst dann, wenn die Symptome länger als vier Wochen andauern oder wenn die Symptomatik erst später, nach einem symptomfreien Intervall, auftaucht. Eine bekannte Traumafolgestörung ist die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)

Hilfreich für eine gute Verarbeitung von Extremerlebnissen

Die Frage, was genau die Menschen machen, die nicht an einer Traumafolgestörung erkranken, wird in der traumatherapeutsichen Forschung rege untersucht und diskutiert. Resilienzforschung [2] wird diese Forschungsrichtung genannt, die untersucht, wie es manche Menschen schaffen, resilient oder widerstandsfähig zu bleiben, obwohl sie Schlimmes erlebt oder gar erlitten haben.

Wesentlicher ist ein guter Kontakt zu Kollegen, Freunden oder der Familie. Wer die Möglichkeit hat, in einem funktionierenden Team zu arbeiten oder sich im Kreise von Freunden oder der eigenen Familie aufgehoben fühlt, hat viel mehr Ressourcen, um Extremerlebnisse zu integrieren. Es kann sehr hilfreich sein, unter Kollegen noch einmal zu besprechen, wie es war, als man diese oder jenen schrecklichen Ereignisse gedreht hat. Wichtig ist jedoch, dass dieses darüber Sprechen absolut freiwillig ist. Inzwischen hat die Forschung belegt, dass die von außen angeordneten Debriefings, die Verarbeitung von Extremerlebnissen nicht positiv beeinflussen und manchmal sogar schaden [3].

Hilfreich für eine guter Verarbeitung ist auch, dass elementare Grundbedürfnisse erfüllt sind, wie ausreichend Essen, viel Flüssigkeit, wenig Alkohol oder andere Suchtmittel, Schlaf und ausreichend Bewegung. Wichtig ist auch, dass zwischen den Einsätzen genügend Zeit liegt, um die Geschehen zu verarbeiten. Dies ist im journalistischen Alltag eine meist unrealistische Forderung, um so wichtiger sind dann natürlich Urlaubs- oder Freizeiten, in denen sich der Journalist mit erfreulichen und erbaulichen Dingen beschäftigen kann.

Ein weiterer wesentlicher Schutzfaktor besteht darin, Berichte oder Beiträge über die Erlebnisse anzufertigen. Die Experten nennen dies das Erzeugen von Narrativa. Ein solches Narrativum ordnet die Bilder und Gefühle im Kopf und hilft bei der Verarbeitung der Erlebnisse bei denen es einem zuerst vielleicht die Sprache verschlagen hat.

Warum fällt es Journalisten so schwer anzuerkennen, dass auch sie verwundbar sind?

Viele Journalisten reagieren zunächst mit Ablehnung oder Desinteresse, wenn sie davon hören oder lesen, dass es möglich ist, durch die Konfrontation mit extremem Leid, wie beispielsweise in der Kriegsberichterstattung selbst Schaden nehmen zu können. Ein Zugang zum Thema Trauma und Journalismus findet für die meisten Journalisten zunächst meist darüber statt, dass sie sich damit auseinander setzen, wie man mit Opfern von Katastrophen Interviews macht. Zwei Ereignisse, die das Interesse der Medienschaffenden am Thema Trauma und Journalismus kurzzeitig geweckt haben, waren das ZDF-Interview von Marietta Slomka mit der befreiten Geisel Susanne Osthoff im Dezember 2005 und das Interview im ORF von Christoph Feurstein mit der acht Jahre lang entführten Natascha Kampusch im September 2006. Plötzlich wurde diskutiert, was der Journalist über die Gesetzmäßigkeiten eines Traumas wissen sollte und ob und wie man erkennen kann, ob Interviewpartner traumatisiert sind.

Natürlich verbessert es die Qualität der Berichterstattung, wenn Journalisten wissen, wie die Psyche ihrer Interviewpartner in Extremsituation funktioniert. Es wäre allerdings noch ein weiterer erstrebenswerter Qualitätssprung, wenn Journalisten ein Gespür für sich und ihre eigenen Reaktionen auf Extremerlebnisse bekommen würden. Ferner muss bedacht werden, dass ein unsensibel durchgeführtes Interview mit einem traumatisierten Menschen durch unbedacht eingesetzte Interviewtechniken dazu führen kann, dass dieser Mensch durch den Journalisten retraumatisiert wird. Bei einem so emotionalisierten Thema, wie dem Traumathema, ist es durchaus vorstellbar, dass es zu zivilrechtlichen Problemen für den Journalisten kommen kann. Denn eines ist klar. Das Wissen um die Phänomene sekundäre Traumatisierung und Retraumatisierung ist mittlerweile jedermann zugänglich und somit haben Journalisten eine Sorgfaltspflicht, wenn sie mit Traumaopfern Interviews führen. Der hippokratische Kodex „nil nocere“ (keinen Schaden zufügen) zählt ja im Grunde auch für Journalisten.

Es spricht also Vieles für eine durchgreifende Kulturveränderung im Umgang mit Trauma und traumatisierten Menschen. Natürlich geschieht eine solche nachhaltige Kulturveränderung nicht ohne Einbeziehung der Führungsebene, also top down. Solange es noch Chefredakteure gibt, die kein Mitgefühl und keine Anerkennung für die emotionalen Leistungen ihrer Autoren in Extremsituationen haben, egal ob diese nun im Sudan oder beim Zugunglück in Eschede sind, solange ist es noch schwer für den einzelnen Reporter zuzugeben, dass ihm manche Erlebnisse nicht in den Kleidern hängen bleiben, sondern tief unter die Haut gehen.

Unterstützung auf diesem Weg bietet die internationale Stiftung „Dart Center for journalism and trauma“ Ihr Vertreter in London Mark Brayne sagte auf einem Treffen mit Journalisten am 24.10.07 in Berlin:

„Wenn wir abstumpfen, wenn wir zu hart werden, können wir auch nicht effektiv als Journalisten arbeiten. Es geht darum, eine neue Kultur des Journalismus aufzubauen, die besser versteht, besser ausgebildet ist in Sachen Trauma, ohne sanft und therapeutisch zu werden, sondern um richtig effektiv berichten zu können.“  (Mark Brayne, Direktor des Europäisches Dartcenters in London).

© Fee Rojas, 27.11.2007

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Über die Autorin

aus Hannover, Journalistin, Psychotherapeutin und Trainerin u.a. für Dartcenter und ARD/ZDF-Medienakademie (s. weiteren Artikel)

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Fusszeile

[1] Diese Trainings gibt es bisher kaum für einheimische Journalisten, die in Krisengebieten arbeiten und die häufig auch den europäischen Journalisten zu arbeiten. Erste Versuche, auch für die lokalen Journalisten Sicherheitstrainings anzubieten unternimmt unter anderem das „International News Saftey Institute“.

[2] Ein spanndendes Buch zu diesem Thema: Resilienz – Gedeihen trotz widriger Umstände. Gedeihen trotz widriger Umstände von Rosmarie Welter-Enderlin u.a.

[3] Es ist aber noch einmal mit allem Nachdruck darauf hinzuweisen, dass mit kollegialem Austausch nicht die von außen geforderten und institutionalisierten Debriefings gemeint sind, Siehe zu den negativen Auswirkungen von Debriefings



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