3. Juni 2010 | Erdöl

Das Stöffchen für Kriege, Katastrophen – und Komfort

von Maria Rossbauer (taz). Berlin


Mit Öl kann man mehr als nur heizen: Wir laufen drauf rum, waschen uns damit die Haare und essen es auf. Ein Rohstoff, besser als sein mieser Ruf.

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taz - die Tageszeitung

Öl ist schmierig, schwarz und stinkt. Länder führen Kriege wegen Öl, wer es hat, hat die Macht. Öl kann reich machen, kann das Überleben sichern – und töten. Wie im Moment im Golf von Mexiko. Schätzungsweise 23.000 Tonnen Rohöl sind seit der Explosion der Öhlbohrinsel „Deepwater Horizon“ ins Meer geströmt. Das Öl verschmutzt seither enorme Wassermengen, tötet Fische und Vögel, stürzt Menschen in Existenzängste. Kein so angenehmer Zeitgenosse, das Öl. Also so wenig wie möglich damit zu tun haben, nicht mehr zur Tankstelle, keine Heizung anmachen? So einfach ist das gar nicht: Wir sind umgeben von Öl.

108.055.708 Tonnen Rohöl haben wir letztes Jahr insgesamt in Deutschland verbraucht. Das entspricht einem Gewicht von 22 Millionen Elefanten. Das meiste davon, etwa 90 Prozent, blasen wir einfach in die Luft: als Autotreibstoff, zum Heizen und um Maschinen in den Industrien anzutreiben.

Doch Öl kann noch viel mehr: zum Beispiel unsere Haare waschen, Musik speichern und uns kleiden. Und das geht so:

Erdöl ist eigentlich ein Sammelsurium aus vielen unterschiedlichen Bestandteilen. Mindestens fünfhundert verschiedene Verbindungen, hauptsächlich aus Kohlenstoff und Wasserstoff, sind darin enthalten. In Rohform können wir das Öl für gar nichts gebrauchen. Um die Stoffe also alle auseinanderzupflücken, verwenden die Menschen in der Raffinerie, der Erdölfirma, einen Trick: Alle Verbindungen im Erdöl kochen nämlich bei unterschiedlichen Temperaturen. So kann man in einem hohen Turm die Einzelbausteine aus dem erhitzten Öl der Reihe nach abfangen: Benzin und Diesel für die Autos, Heizöl, Petroleum für die Lampen und Kerosin, den Flugzeugsprit. Fraktionierte Destillation nennt sich dieses Verfahren.

Dabei wird noch ein besonderer Stoff abgetrennt: Naphtha, das Leichtbenzin. „Naphtha ist der Grundstoff für fast alle chemischen Produkte“, sagt Manfred Ritz vom Verband der Chemischen Industrie, VCI.

Ritz beschäftigt sich nahezu täglich mit dem Rohstoff, denn 90 Prozent von allem, was in Deutschland in Firmen chemisch hergestellt wird, hat Erdöl zur Grundlage. Jede Firma will es haben: zum Erhitzen, Pressen, Zerstückeln und Wiederzusammensetzen, um es mit Wasser zu bedampfen oder zu Ringen zu formen. Erst so kommen all die Bausteine heraus, die sich später in unseren Wohnungen wiederfinden.

Zum Beispiel in der Plastikflasche im Kühlschrank. Sie ist aus Polyethylenterephthalat (PET) geblasen, einem der robustesten aller Kunststoffe. Erdölanteil: annähernd 100 Prozent. Die CDs im Regal sind aus Polycarbonat. Erdölanteil: mindestens 80 Prozent. So weit ja noch in Ordnung – nun aber auch noch die Kleidung. Auf dem Etikett eines H&M-Pullovers steht 80 Prozent Baumwolle, 18 Prozent Polyamid, 2 Prozent Elastan. Baumwolle hat nichts mit Öl zu tun, die beiden anderen Stoffe sind jedoch Kunstfasern, die auch aus Ölbausteinen gemacht sind. Erdölanteil des Pullovers: immer noch 20 Prozent.

Schließlich sogar die Aspirin-Tablette. Deren Wirkstoff ist die Acetylsalicylsäure, und selbst darin ist ein aus Öl gewonnener Baustein enthalten, das Benzol. Erdölanteil pro Aspirin-Tablette: 35 Prozent. Ganz exakt kann man den Ölanteil in all diesen Dingen nicht berechnen: Hunderte von chemischen Reaktionen mit Hilfsstoffen und Zusätzen ergeben schließlich eine Aspirin-Tablette.

Und damit immer noch nicht genug: Shampoo, Waschmittel, Seife, Haarspray, Zahnbürste, Autositz, PVC-Fußboden, Eimer, Folien, Matratzen, Kreditkarte, Computergehäuse, Display, Farben, Tüten, Fensterrahmen, Vaseline – die Liste ist endlos. Es ist wahr: Wir sind umgeben von Öl.

Was vor Millionen Jahren unter enormem Druck und mithilfe von Bakterien entstand, ist heute aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Und wir wollen immer mehr davon: Täglich werden weltweit mehr als 10 Millionen Tonnen Erdöl aus dem Boden geholt.

Und weil immer mehr Menschen billig heizen und Auto fahren wollen, laufen die Förderanlagen auf Hochtouren. Weil das aber trotzdem noch nicht genug ist, suchen wir Erdöl an immer abgelegeneren Orten: im Eis, in der Wüste oder tief unter der Meeresoberfläche.

„Ein Produkt, das in solchem Überfluss vorhanden ist, schätzt man einfach nicht so“, meint Ritz. Das sei, als solle man einen einzelnen Grashalm im Rasen vor dem Haus würdigen. Doch irgendwann ist die Ressource erschöpft. Das Erdöl wird bald knapp. Wenn es so weit ist, werden auch die CD und das Aspirin zum Luxusgut. Für Autos und Heizungen gibt es schon Alternativen, für Plastik nicht: Materialien aus nachwachsenden Rohstoffen sind nicht so robust, sie zersetzen sich früher oder später.

Kaum ein Rohstoff hat unser Leben so verändert. Ohne Öl gäbe es keine Computer, schon gar keine Laptops. All die neuen Techniken – Computergehäuse, LCD-Bildschirme und mobile Spielkonsolen – basieren letztlich auf Bausteinen aus Rohöl. Also ist Öl eigentlich doch nicht nur böse. Es kann glitzern und säubern, Menschen kleiden, Musik speichern und Kopfschmerzen heilen. Vielleicht sollten wir es einfach ein wenig mehr schätzen. Nur zum Verheizen ist Öl eigentlich viel zu schade.

Nicht mehr zur Tankstelle, keine Heizung anmachen? So einfach ist das gar nicht: Wir sind umgeben von Öl

„Ein Produkt, das in solchem Überfluss vorhanden ist, schätzt man einfach nicht so“

Manfred Ritz, Rohstoffexperte

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