Die enge Beziehung zwischen Energie und Chemie macht die Lösung der Energieprobleme zu einer besonderen Herausforderung für die chemische Wissenschaft. „Insbesondere spielt die Chemie eine wichtige Rolle bei der Umwandlung und Speicherung von Sonnenenergie“, betont Klaus Müllen, Vizepräsident der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh), die die Federführung beim Seeoner Treffen hatte. Nach zwei Tagen intensiver Diskussion wurden deren Ergebnisse im Abschlussplenum zusammengefasst und im Konsens aller anwesenden Wissenschaftler verabschiedet. Auf dieser Grundlage wurde das Weißbuch erarbeitet, das die GDCh-Geschäftsstelle in Frankfurt kostenlos abgibt.
Unter dem Begriff künstliche Photosynthese versteht man Prozesse, die die Sonnenenergie in chemische Energie umwandeln. Genau das ist es, was Pflanzen bei der natürlichen Photosynthese machen. Sie nehmen Kohlendioxid (CO2) und Wasser (H2O) auf und produzieren daraus Sauerstoff (O2) und Kohlenhydrate. Dazu müssen sie Wasser spalten und CO2 umwandeln. In der Chemie sind das zwei interessante Prozesse, die zum einen zum Wasserstoff führen, der als künftiger Energieträger in der Diskussion ist, und zum anderen das Treibhausgas CO2 nutzbringend verwerten. So wollen die Chemiker Katalysatoren entwickeln, die zum einen eine photokatalytische Wasserspaltung ermöglichen und zum anderen in der Lage sind, das äußerst stabile CO2 zu reduzieren.
Könnte es gelingen, beide Prozesse zu verknüpfen, hätte man eine Art künstliches Blatt geschaffen.
Sonnenenergie wird in der Natur zu Biomasse umgewandelt. Pflanzen sind also die natürlichen Speicher der Sonnenenergie, aus denen man nun Biokraftstoffe und Rohstoffe für die chemische Industrie gewinnen möchte. Das darf nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion geschehen, weder was die Pflanzen noch die Flächennutzung angeht. Also möchten die Chemiker versuchen, Abfälle aus der Land- und Forstwirtschaft sowie aus der Nahrungsmittelproduktion als Rohstoffbasis für Kraftstoffe und für die chemische Industrie zu nutzen. Da das für den künftigen Bedarf nicht reichen würde, muss natürlich auch andere Biomasse, insbesondere Non-Food Biomasse, beispielsweise Holz, chemisch konvertiert werden. Seit Menschengedenken ist der einfachste Fall einer solchen chemischen Konvertierung bekannt: die Verbrennung, um Wärmeenergie zu erzeugen.
Aber in der Chemie wie in der Gesellschaft wird eher an eine Umwandlung zu Wertstoffen gedacht, zu denen Biokraftstoffe zählen. Dazu Ferdi Schüth vom Max-Planck-Institut für Kohlenforschung (Mülheim an der Ruhr): „Kraftstoffe und Rohstoffe werden sich noch am ehesten aus Biomasse gewinnen lassen. Aber die Behauptung, Biomasse könne die Weltenergieprobleme weitgehend lösen, halte ich für übertrieben.“
Als dringendes von der Forschung zu lösendes Problem sahen die Wissenschaftler die Entwicklung von Materialien für Photovoltaik- Systeme der nächsten Generation an. Diese Systeme sollten deutlich preisgünstiger als die gegenwärtig etablierten Silicium-basierten Solarzellen sein. Die neuen Materialien sollten Elemente und Rohstoffe enthalten, die ausreichend zur Verfügung stehen und die nicht toxisch sind. Während die gegenwärtigen, nur sehr energieaufwändig herstellbaren Silicium-Solarzellen zwar immer noch weiter verbessert werden – so kommen sie heute bei einem Modul-Wirkungsgrad von bis zu 18 Prozent mit etwa 50 Prozent weniger Silicium als noch vor sieben Jahren aus -, wurden mittlerweile Dünnschicht-Solarzellen entweder aus amorphem Silicium oder aus anderen anorganischen Mischhalbleitern wie beispielsweise Kupfer-Indium-Gallium-Selenid oder Cadmiumtellurid entwickelt. Solche Solarzellen mit einem Wirkungsgrad bis zu zwölf Prozent sind kostengünstiger, weil materialsparender, aber das Material ist instabiler gegenüber Licht, zudem wirken Selen, Cadmium oder Tellur toxisch.
Zu den Photovoltaik-Konzepten der nächsten Generation zählen Farbstoff-sensibilisierte Solarzellen, die sichtbares Licht absorbierende (metall)organische Farbstoffe enthalten und auf nanokristallinem, sehr preiswertem Titandioxid als Halbleiter gebunden sind. Im Labor ermittelte Effizienzen liegen derzeit bei über elf Prozent, und erste Prototypen für die sonnengetriebene Beladung von Akkus oder für transparente, photovoltaisch aktive Glasbeschichtungen liegen schon vor.
Große Hoffnungen werden auf organische Solarzellen gesetzt, deren aktive Komponenten entweder aus halbleitfähigen Polymeren oder aus niedermolekularen organischen Halbleitern bestehen. Wie Peter Bäuerle von der Universität Ulm in Seeon ausführte, werden inzwischen schon Wirkungsgrade von sechs bis sieben Prozent erreicht, und die Vision ist, dass man zukünftig großflächige photovoltaische Elemente auf flexiblen Unterlagen in einem kontinuierlichen Prozess wie Zeitungen sehr kostengünstig drucken will. Für diese zukunftsträchtigen Technologien werden aber verbesserte organische Materialien benötigt – eine Herausforderung für die chemische Forschung.
Bleibt noch die Frage der Energiespeicherung. Daniel Nocera vom Massachusetts Institut of Technology wies darauf hin, dass die Natur chemische (Brenn-)Stoffe zur Speicherung von Sonnenenergie gewählt hätte, weil chemische Bindungen die höchsten Energiedichten aufwiesen. Prinzipiell böten sich auch für die künftige Energieversorgung solche chemischen Speichermedien, beispielsweise Methanol, an, sagte Robert Schlögl vom Fritz-Haber- Institut in Berlin. Habe man zunächst nur an Wasserstoff als chemischem Energiespeicher gedacht habe, würde man nun Alternativen durchdenken.
Die Entwicklung neuer Batteriesysteme zur Speicherung elektrischer Energie war lange vernachlässigt worden, jetzt erhofft man sich für die kommenden Jahre den Durchbruch für leistungsfähigere Systeme. Jürgen Janek von der Universität Gießen machte deutlich, dass diese Art der Energiespeicherung aber nicht nur ein Problem der Chemie sei, sondern der Koordination und Organisation. Ein über ein Netz verbundenes Batteriespeichersystem müsse sorgfältig durchdacht, konzipiert und organisiert werden.
Die CS3-Diskussionen wurden bei einem Embassy Networking Dinner im August 2009 im Deutschen Haus in Washington aufgegriffen, zu dem die Deutsche Botschaft, die GDCh, die American Chemical Society (ACS) und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) führende amerikanische und deutsche Wissenschaftler eingeladen hatten, um das Thema Energie und Lösungsansätze aus der Chemie zu diskutieren. Schlögl und Nocera stellten eingangs die Highlights aus CS3 vor. Es wurde ein bilateraler Aktionsplan zur Förderung der Energieforschung für die kommenden drei Jahre angestoßen. Deutlich wurde, dass für die Umstellung auf eine nachhaltige Energieversorgung erhebliche Geldmittel erforderlich sind und dass die Solarenergieforschung hohe Priorität hat. Ein weltweit einheitliches System der nachhaltigen Energieversorgung sei jedoch nicht umsetzbar und auch nicht anzustreben. Wissenschaftler sollten sich verstärkt für die Energiewissenschaften engagieren und der Öffentlichkeit und Politik den wichtigen Beitrag der Chemie zur Energieforschung besser verdeutlichen.
Die Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) ist mit rund 29.000 Mitgliedern eine der größten chemiewissenschaftlichen Gesellschaften weltweit. Sie veranstaltet internationale und nationale Tagungen sowie Fortbildungskurse zu allen Gebieten der Chemie, gibt international renommierte Fachpublikationen sowie allgemein interessierende Informationsbroschüren heraus. 2006 wurden die GDCh-Energieinitiative und der Koordinierungskreis Chemische Energieforschung ins Leben gerufen, die bewusst machen sollen, dass Chemiker in hohem Maße zur Lösung des Energieproblems beitragen können.