25. November 2007 | Rezeption der Kriegsberichterstattung

Der mediale Kriegskonsum

von Rosemarie Wenzel. Heidelberg


Der Zuschauer mag die täglichen Schreckensbilder von Krieg, Blut und Elend nicht mehr sehen. Er schaltet irgendwann ab.

Lesezeit 3 Minuten

Meine ersten Kriegserfahrungen machte ich per Fernsehen. Meine ersten Schreckensbilder kamen aus Vietnam. Im Nachkriegsdeutschland 1947 geboren, wusste ich erst etwa 1964 was Krieg wirklich ist, was er mit Menschen – Schuldigen und Unschuldigen – macht. Ich sah es nah im Fernsehen.

Meine Eltern und alle, die den zweiten Weltkrieg in jeglicher Form miterlebten, hatten zuvor auf all meine diesbezügliche Fragen immer geschwiegen. Gemeinsam erlebten wir jetzt im Fernsehsessel Bilder, Kommentare, Interviews und Fragen nach Hintergründen dieses Schlachtkampfes. Auch hier nur knappe Kommentare meiner Eltern zu diesem und dem 2. Weltkrieg. In meiner Heimatstadt waren die Kriegsführenden Amerikaner mit 40.000 Soldaten und Familien längst Mitbürger und Gesprächspartner in Sachen Krieg, Frieden und Demokratie geworden. Befriedigende Antworten auf das Wieso, Weshalb, Warum erhielten wir, die Fragenstellenden jugendlichen Zeitgenossen, wenn überhaupt von kritischen und ausführlichen Stellungnahmen einiger weniger Journalisten. Übrigens in sehr gut verständlichem Klartext, mit Verzicht auf heute übliche Fremdwörter, unerklärten Abkürzungen und intellektuellen Insidergehabe, wie heute ganz schön üb(e)lich.

Seit über 40 Jahren habe ich viele Kriege und blutige Konflikte mit ansehen müssen. Müssen, weil als täglich Nachrichten und Politiksendungen konsumierender Zeitgeist, mich alles interessierte, was die Welt so bewegt. Und dabei erlebte ich allein etwa fünf kriegerische Aktionen in und um Israel: u.a. die Eroberungen der Golan-Höhen und des Gaza-Streifens. Letzterer ist seit dem Sechstagekrieg 1967 als Zeichen von Blut, Schweiß und Tränen für von Menschen gemachtes Leid, eingebrannt in meinem Hirn. Bis heute kommen die Bilder von Gewalt Jahr für Jahr zu mir ins Wohnzimmer: Wer auf wen, warum Steine geworfen oder geschossen hat tritt in den Hintergrund. Immer wiederkehrende Bilder, mit unterschiedlichen Angaben über die Zahl der Toten und Verletzten. Immer ähnlich schwankende Kameraeinstellungen, die mir vermitteln wie unmittelbar der Kameramann, Reporter und letztendlich ich als Fernsehzuschauer im Geschehen sind. Immer wiederkehrend die Trauer der Angehörigen der Opfer. Betroffenheit, Wut und Trauer machen sich dann auch bei mir breit. Nach jahrelangen, täglichen Variationen dieser Kriegsbilder, aus Bagdad, Kabul, Kongo, Tschetschenien und immer wieder Israel und Palästina oder anderswo auf diesem Planeten – überkommt es mich, und ich weiß es geht Tausenden von kriegsmüden Fernsehzuschauern genauso, und ich schalte den Krieg aus.

Und so manches Mal sitze ich im Sessel und Georg Büchners Parole „Frieden den Hütten, Krieg den Palästen“ spukt durch mein Hirn. Stimmt doch so? Oder nicht? Wer startet den ein oder anderen militärischen Einsatz? Bitte versuchen Sie zu antworten, Herr Reporter. Was sind die genannten Gründe für den Kampf? Welche wirklichen Interessen, welche geheim gehaltenen Hintergründe sind die wahren Ursachen des blutigen Konflikts? Welche politischen und wirtschaftlichen Mächte und Machtstrukturen kennzeichnen die Kriegsherren? Dies Fragen und Antworten erwarte ich von jedem Reporter und Journalisten in wiederkehrender Form. Schätze aber, dass auch die Freiheit der Presse hier in Deutschland und gerade an jedem Kriegsschauplatz zur Marionette bzw. zum Opfer der strategischen Kriegsführung manipuliert wird. Stattdessen: schwankende Kameraeinstellungen, Opfer, Krieg, Blut. Ich mag nicht mehr immer nur tote Menschen sehen, die Anzahl der Opfer vernehmen. An einem Tag sind es 10 Opfer eines Anschlages, am nächsten Tag 12 Opfer. Ich mag nicht mehr Panzer und bewaffnete Soldaten im Einsatz betrachten müssen. Ich mag nicht mehr das Schreien der Betroffenen, Schüsse oder Detonationen live mit anhören müssen. Die immer wieder gefühlte Ohnmacht und Betroffenheit härtet mich ab.

Stattdessen: Für jeden Kriegs-Toten wünsche ich mir bei Fernsehberichten ein tonloses Schwarzbild für eine Sekunde, dann wird es immer öfter dunkel im Wohnzimmer, in der Seele der Fernsehzuschauer. Dann entsteht vielleicht wieder die Betroffenheit, die man als abgebrühter Fernsehzuschauer schon gar nicht mehr spürt. Dann entsteht vielleicht die Betroffenheit, die sich mit den politischen Weltwahrheiten auseinander setzt, die ein Bewusstsein für einen politisch engagierten Alltag in nicht nur intellektuellen Kreisen ermöglicht. Ein politisches Bewusstsein als tägliche Diskussions- und Handlungsgrundlage eines jeden Menschen. Weltweit. Ideologiefrei. Solche Menschen gibt es auch in jedem Kriegsgebiet. Lasst sie uns sehen und sie zu Worte kommen.

Der Wille zum Frieden ist mehrheitsfähig. Aber erst dann wenn die Menschen wieder Betroffenheit angesichts der Kriege spüren können.

© Rosemarie Wenzel, 25.11.2007

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Die Autorin

Rosemarie Wenzel, früher Redakteurin Heidelberger Tageblatt und Mannheimer Morgen.
Redakteurin der Stunde Null des Ersten Privatfernsehens in Deutschland (1984), freie Journalistin u.a. für den SWR.



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