Unmittelbar nach meinem Magisterabschluss vor dreizehn Jahren sprach mich der Betreuer meiner Magisterarbeit an, ob ich promovieren möchte. Meine Arbeit habe ihm gefallen und er würde im Rahmen einer Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter schon für mich sorgen. Dieses ehrliche Angebot meines Doktorvaters war verführerisch. Nach einem durchaus fesselnden geisteswissenschaftlichen Studium der Romanistik, Soziologie und Philosophie hatte ich mich auf ein Dasein als Taxifahrer eingestellt. Nun würde ich mich als Promovierender und wissenschaftlicher Mitarbeiter an Lehre und Forschung aktiv beteiligen können und interessanten fachwissenschaftlichen Fragestellungen nachgehen können: Wie entstehen Kreolsprachen? Wie funktioniert Grammatikalisierung? etc.
Nun sind dreizehn Jahre vergangen. Inzwischen bin ich als festangestellter wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hochschule mit Verwaltungsaufgaben in der Studienberatung und im Prüfungsamt betraut. Doch was ist nach all den Jahren aus dieser ursprünglichen Begeisterung geblieben? Wie sieht heute der Alltag eines wissenschaftlichen Mitarbeiters an einer Massenuniversität aus?
Vorweg bleibt festzuhalten, dass es unterschiedliche Formen der wissenschaftlichen Mitarbeit an einer Hochschule gibt: Vom akademischen Rat über den Assistenten des Lehrstuhlinhabers mit einer vollen, halben (oder inzwischen gar viertel) Stelle (d.h. ca. 38-12 Std.) bis hin zur wissenschaftlichen Hilfskraft oder zu Lehrbeauftragten gibt es verschiedene Abstufungen. Der akademische Rat ist verbeamtet und verdient in der Regel gut, wohingegen der wissenschaftliche Assistent oder die wissenschaftliche Hilfskraft für die Dauer des Promotionsvorhabens – nicht selten häppchenweise – befristet eingestellt wird. Er hat also eine ungewisse Zukunft und – je nach vertraglich festgelegter Arbeitsstundenzahl und Tarifgruppe – ist das Einkommen recht ordentlich oder es reicht nur schwer zum Lebensunterhalt. Ein „halber“ wissenschaftlicher Mitarbeiter (19 Wochenstunden) oder eine wissenschaftliche Hilfskraft muss nicht selten durch andere Erwerbstätigkeiten etwas hinzuverdienen, so dass er sich nicht ausschließlich auf die Forschung und Lehre konzentrieren kann.
Das kann er aber auch während seiner bezahlten Dienstzeit nicht immer – unabhängig von einer vollen oder halben Stelle –weil er auch viele Aufgaben in der akademischen Selbstverwaltung übernehmen muss, die unter den wissenschaftlichen Mitarbeitern im Institut aufgeteilt werden: Der eine ist für die Prüfungsorganisation und Klausurkorrektur verantwortlich, der andere für die Studienberatung und die Anerkennung auswärtiger Studienleistungen, der dritte für die Lehrplanung und die Pflege der Kontakte zu ausländischen Partnerinstituten, der vierte für die Organisation des nächsten Fachkongresses, der fünfte für die Herausgabe der Institutszeitschrift und der weitere für die Bibliotheksverwaltung, Bücherbestellung und Katalogisierung. Außerdem müssen wissenschaftliche Mitarbeiter gelegentlich bei Arbeitsbesprechungen, Prüfungsbeisitz und Bibliotheksaufsicht mitwirken oder gar für Schreibarbeiten bereitstehen. Viele dieser Aufgaben könnten von Sekretärinnen, Bibliothekaren und anderen Sachbearbeitern bzw. Fachpersonal kostengünstiger durchgeführt werden, doch im Zuge der Einsparungen der letzten zwei Jahrzehnte sind diese nicht-wissenschaftlichen Stellen in den Instituten weggefallen, um die wissenschaftlichen Mitarbeiterstellen und Professuren erhalten zu können. Aber auch wissenschaftliche Mitarbeiterstellen wurden eingespart. Für gleiche oder im Rahmen der neuen Anforderungen zunehmende Aufgaben werden wenige Mitarbeiter eingesetzt. Zusätzlich belasten immer knapper gehaltenen Zeitverträge das Arbeitsvolumen. Ohne Rücksicht darauf werden Verwaltungsaufgaben ausgeweitet. Sei es, dass im Rahmen des Bologna-Prozesses Bachelor und Master-Studiengänge eingeführt werden, sei es, dass als Folge des jüngsten Hochschulfreiheitsgesetzes zentrale Verwaltungsaufgaben (Budgetverwaltung, Teile der Personalverwaltung) an die Fachbereiche, Fakultäten und Institute abgewälzt werden: Häufig endet die Mehrbelastung beim Mittelbau.
Ach so, fast hätte ich es vergessen: wir sind ja – zusammen mit den Professoren und Studierenden – Mitglieder der Universität und nicht nur Angestellte. Also wirken einige von uns engagiert in der Gremienarbeit (Senat, Fakultät, Prüfungsausschüsse, Kommissionen für Lehre, Studium und Studienreform) mit, obwohl unser Stimmrecht bescheiden ist, weil wir – auch wenn wir uns mit den Studierenden verbünden würden – nie eine Stimmenmehrheit zustande bekämen. Anzumerken ist, dass auch in größeren Instituten, mit mehreren wissenschaftlichen Mitarbeitern die Aufgaben nicht immer gleichmäßig verteilt werden. Da der wissenschaftliche Mitarbeiter selbstverständlich auch zuhause Forschen darf und während der Dienstzeit nicht immer anwesend sein muss, hat sich nach meinen Beobachtungen folgendes kollegiales Arbeitsverteilungsprinzip durchgesetzt: Mitarbeiter, die sich im Institut engagieren und durch ihre Arbeit den Betrieb aufrecht erhalten oder erst ermöglichen werden ausgenutzt, Kollegen, die sich diesem Stress entziehen, gehen zu hause ihren Forschungen und Seminarvorbereitungen nach und werden dafür noch belohnt. Es lassen sich also zwei Typen von wissenschaftlichen Mitarbeitern unterscheiden: die „Forscher“ und die „Verwalter“.
Die tüchtigen Forscher werden schnell promoviert, habilitieren sich und machen eine erfolgreiche Karriere. Die tüchtigen Verwalter bleiben – wenn sie Glück haben und eine Festanstellung nach der Promotion möglich ist – am Institut hängen. Viele schaffen es nicht einmal zur Promotion, weil sie mit Verwaltungsaufgaben verschlissen werden. Die Selektion im Hochschulsystem funktioniert also perfekt. Wer sich mit akademischer Selbstverwaltung im Interesse der Gemeinschaft aufhält, bleibt auf der Strecke und wer sich egoistisch und geschickt davon abgrenzt, erklimmt zügig die akademische Leiter. Der wissenschaftliche Nachwuchs rekrutiert sich also nicht selten aus dem Typ Forscher, der wenn er nach der Habilitation einen Ruf annimmt und eine Lehrstuhl inne hat, kaum Erfahrungen in der akademischen Verwaltung nachweisen kann und deshalb seinerseits einen tüchtigen Verwalter als Assistent einstellt…
Aber wo bleibt schließlich die Forschung und Lehre? Wann beschäftigt man sich als der Typ Verwalter mit den wissenschaftlichen Fragestellungen, die uns dazu bewegt haben, diesen Job anzunehmen und eine wissenschaftlichen Laufbahn einzuschlagen? In der Freizeit! Es gibt ja bei halben Stellen noch die nicht bezahlte andere Wochenhälfte, bei vollen Stellen den Feierabend oder das Wochenende, an denen man die Seminare oder Kongressbeiträge, die Dissertation oder andere Publikationen vorbereiten kann. Man sollte allerdings nicht auf die Idee kommen, eine Familie zu gründen. Dann bleibt einem nur, jeden akademischen Ehrgeiz aufzugeben, oder die Familie aufs Spiel zu setzen.
Die wissenschaftliche Bilanz nach dreizehn Jahren: Eine Dissertation, einige wenige Aufsätze und Kongressbeiträge; in der Lehre viele bereichernde Seminare und Übungen mit interessierten Kommilitonen, aber auch zigmal das gleiche Einführungsseminar mit immer wieder dem gleichen Stoff. Würde man es nochmal annehmen das Angebot zur Promotion und zum Einstieg in eine wissenschaftliche Laufbahn? Ja! Aber man würde versuchen die Weichen anders zu stellen. Oder ist man dafür doch nicht egoistisch genug?
© Sebastiao Iken, 04.02.2007
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Der Autor
Sebastiao Iken wurde 1964 als Sohn deutscher Eltern in Portugal geboren. Studium der Romanistik, Soziologie und Philosophie. Heute wissenschaftlicher Mitarbeiter der philologischen Fakultät in Köln. Schwerpunkt: portugiesische Sprachwissenschaft. Publikationen zu Sprachkontakt und Lexikographie.