9. Februar 2007 | Hochschulpolitik

Wie ein Professor gegen Windmühlen kämpft

von Prodosh Aich. Oldenburg


Die Geschichte der Universität in Oldenburg ist ein Hinweis dafür, dass nicht Universitäten einen Beitrag „an der Planung einer zukünftigen Gesellschaft“ leisten, sondern die Wucht der Marktmacht in der Gesellschaft Universitäten verplant.

Lesezeit 7 Minuten

Ich bin Hochschullehrer an der „Carl von Ossietzky Universität Oldenburg“ im Ruhestand, Sozialwissenschaftler, mit dem lebenslangen Recht zu lehren. Ich bin ein Inder und kenne Deutschland länger als die meisten Deutschen. Ich kenne diese Universität schon seit der Gründungsphase.

1974 wird sie gegründet. Sie sollte die aller letzte Gründung einer Reformuniversität in der Bundesrepublik Deutschland bleiben. Wir kämpften dafür, dass unsere Universität den Namen Carl von Ossietzky als verpflichtendes Programm trägt. Die Studierenden der neuen Universität schmückten mehrmals den einzigen Turm in Nacht- und Nebelaktionen mit dem Namenszug Carl von Ossietzky. Polizeiaktionen folgten. Es konnte keine Verurteilungen geben, weil keine Täter identifiziert werden konnten. Während dieser Zeit war sie Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg.

Diese Geschichte und die Grundwerte von damals scheinen den heutigen Hochschullehrern fremd zu sein. Folgerichtig buhlt die „Carl von Ossietzky Universität Oldenburg“ im bundesweiten Wettbewerb um Leuchttürme der Deutschen Universitäten. Sie ist diese Tage schon zum zweiten Mal gescheitert. Was für eine bemerkenswerte Entwicklung!

Was Leuchttürme der Universitäten sind? Nun. Nach „Elfenbeintürme“, nach „Mief unter dem Taler“, nach „Reformuniversitäten“, sind die „Leuchttürme“ dran. Als Ersatz für „Elite-Universität“. Unsere Universität sollte ein Dienstleistungsbetrieb für die Region werden. Regionale Probleme als Schwerpunkte der Lehre und der Forschung, interdisziplinäre Projekte, Einheit von Lehre und Praxis, einphasige Lehrerausbildung, ein Fach Lehrer in allen Schultypen, Integration der Studierenden in der Forschung von Beginn an, Drittelparität in allen Gremien – Wissenschaftler, nichtwissenschaftliche Mitarbeiter, Studierende -, keine Drittmittel ohne Genehmigung durch Gremien, keine Auftragsforschung. Kurz: ein erdenkbares Modell entstanden in den Köpfen jener, die es satt hatten mit dem Ist-Zustand der Universitätslandschaft. Eine Insel in der unwirtlichen Landschaft sollte sie werden. Von Beginn an versagte die sozialdemokratische Landesregierung die Genehmigung für „ein Fach Lehrer in allen Schultypen“. Die Gegner der Gründung nannten die Universität eine linke Kaderschmiede.

Ich habe viel, über vieles nachdenken müssen. Man ist versucht, das Scheitern der Reformabsichten zu beschreiben, Zusammenhänge herzustellen, Wunden zu lecken, Erkenntnisse zu sammeln und in die Sackgasse zu geraten. Ich meine, wir sollten nicht die Zeit und Energie vergeuden. Wir sollten versuchen, unsere eigenen Versäumnisse zu erkennen und diese Bemühungen der Nachwelt zur Diskussion stellen.
Haben wir bei der Konzipierung der Reformziele uns auch alle jene Fragen gestellt, die wir auf Grund unseres Wissens hätten stellen können? Wer sind wir eigentlich, die eine „Carl von Ossietzky Universität“ machen wollen? Wie sind wir das geworden, was wir sind? Was interessiert uns wirklich? Was sind unsere Ziele im Leben? Wie belastbar sind wir? Welche Belastungen würden uns überfordern? Was ist eine Universität? Wer finanziert die Universität? Was passiert in einer Universität. Wie wird das programmiert, was in einer Universität passiert. Wissen wir, was in den Universitäten passiert? Was haben Universitäten mit Wissenschaft zu schaffen? Was ist Wissenschaft? Was ist Forschung? Was ist Lehre?
Gut, wir hatten diese oder ähnlichen Fragen nicht gestellt. Naiv wollten wir eine „Carl von Ossietzky Universität“ machen. Wir bekamen sie nicht. Als wir nach und nach dort angekommen waren, wo Universitäten gemeinhin sind, erhielten wir von der Regierung die Erlaubnis, uns als Angehörige der „Carl von Ossietzky Universität Oldenburg“ zu titulieren. Diese Universität trägt heute den falschen Namen. Aber macht es was aus
Nach der Gründungsphase, 1974/1975 gab es keine Lehrveranstaltung außerhalb eines Projektes. In den Projekten wurden forschend gelernt. Keine Veranstaltung nur mit einem Lehrenden, Natürlich gab es unterschiedliche Konzeptionen über „Projekt“, über Projektgröße, über Interdisziplinarität, über gesellschaftlichen Bezug, über Arbeitsteilung. Im ganzen war es ein zeitraubender heraufordernder Beginn. Unterschiedliche Begrifflichkeiten der Fächer, unterschiedliche Interessengruppen, unterschiedliche Persönlichkeiten. Die Lehrenden verspürten bald Veröffentlichungsdruck. In wie viel Jahren werden Ergebnisse vorliegen? Wo werden sie veröffentlicht? Wer werden die Autoren der Projektergebnisse sein?
Die Projekte begannen zusammenzufallen.

Ich habe mit Naturwissenschaftlern, Raumplanern, Geographen zusammen gearbeitet. Gegenstand: lokale und regionale Veränderungen durch die Gründung der Universität in der Haareniederung. Ein Projekt des forschenden Lernens, d. h. mit offenen Fragen die Suche beginnen und nicht das Lernen üben entlang vorfabrizierter Theorien. Auch die Studierenden des Modellversuchs für einphasige Lehrerausbildung waren im Projekt. Alle Lehrende waren einmal wöchentlich in der Schule. Die Kontaktlehrer der Schule waren wöchentlich einmal im Projekt.
Die Lernende der Naturwissenschaften entdeckten Probleme des Wassers, Abwassers, Klärschlamms, Schwermetallbelastungen, usw. Sie erblickten eine Zeitperspektive von fünf Jahren für Ergebnisse. Die Studierenden brachten einen zweiten Schwerpunkt ein. Maismonokultur im Südoldenburger Raum. Problemkomplex: Industrielle Fleischproduktion, Gülleentsorgung, Maisfelder, Landschaft, Grundwasser. Ich war der einzige Lehrende, der diesen Schwerpunkt voranbrachte. Der dritte Schwerpunkt war Kommunalpolitik.

Der Diskussionsbedarf der Sozialwissenschaftler vergraulte zunächst die lehrenden Raumplaner, dann die lehrenden Geographen und nach und nach die lehrenden Naturwissenschaftler. Nicht die Studierenden. Dann kamen Prüfungsordnungen. Damit auch die Frage der Prüfungsberechtigung der Lehrenden im Projekt, Frage der freien Prüferwahl und Fragen über die Rolle der einzelnen Studiengänge im Projekt. Die Studierenden in den Projekten müssten Farbe bekennen. Die lehrenden Naturwissenschaftler verließen das Projekt und gründeten ein neues, ohne Sozialwissenschaftler.

Der Schwerpunkt Maismonokultur machte Fortschritte auch ohne unmittelbare Beteiligung der Lehrenden der übrigen Disziplinen. Angehörige der Landwirtschaftskammer, der Lebensmittel- und Chemischuntersuchungsämter, erhielten Lehraufträge, zum Teil auch Prüfungsberechtigung, um studierende Naturwissenschaftler fachlich zu begleiten. Junge Landwirte bildeten Arbeitsgruppe mit uns und wollten vieles ihren Tuns wissenschaftlich geklärt wissen. Sie gaben uns jede erwünschte Probe, an welche die Untersuchungsämter und Landwirtschaftskammer nicht dran kamen. Natürlich anonym, weil einige der Proben Belege strafbarer Handlungen gewesen sind.
Der Prüfungsdruck auf die Studierende der Naturwissenschaft im Projekt wuchs. Die Lehraufträge wurden nicht verlängert. Der Schwerpunkt Maismonokultur im Südoldenburger Raum fiel. Die Landwirte unserer Arbeitsgruppe dominieren heute die Politik im Südoldenburger Raum. Naturwissenschaftler vieler Universitäten diskutieren heute Probleme, die wir schon von 25 Jahren entdeckt und beschrieben haben. Zu Beginn der 80er Jahre war das Projekt reduziert auf den Schwerpunkt Kommunalpolitik. Die Arbeitsgruppe der Landwirte nahmen uns für Beratung in Anspruch, immer wenn sie Genehmigungsverfahren zu Gunsten der Monopolisten in diesem Raum bekämpften.

Der Schwerpunkt Kommunalpolitik stützte sich auf Arbeitsgruppen mit Verwaltungsangehörigen, Ratsmitgliedern – vorwiegend Grüne – und freie Architekten. Zentrale Fragestellung war, wer gewinnen durch kommunale Maßnahmen und wer verlieren, wer sind die Strippenzieher und wie machen sie das. Arbeitssitzungen im Projekt waren öffentlich. Termine veröffentlicht im Veranstaltungsverzeichnis. Bauentscheidungen einer Legislaturperiode, 1982 – 1986, durchleuchtet, dokumentiert und unter dem Titel „Rathaus-Plünderer“ in 10.000 Exemplare gedruckt.
Am Tage der Auslieferung wird das Buch mit zehn einstweiligen Verfügungen kassiert, weil die Stadtoberen meinten, ihnen sei Korruptionsvorwurf gemacht worden. Der Präsident der Universität gibt vorauseilend ein Interview in der Nord-West Zeitung. Überschrift: „Aich ist nicht die Universität“. Danach kommen sechs weitere einstweilige Verfügungen. Alle auch gegen die Studierenden im Projekt. Als sie Rechtschutz beantragen, werden sie vom Präsidenten zu einem Gespräch geladen. Die Studierenden sollen gegen mich aussagen, ich hätte sie verführt. Der Präsident hatte keinen Erfolg. Das Gespräch ist immer noch auf Band.Ich habe die sogenannten Prozessfolgekosten im ganzen übernommen. Ca. 150.000 DM. Der renommierte Hamburger Presserechtler, Heinrich Senfft, rät mir, die Finger von der Kommunalpolitik zu lassen. Denn, selbst wenn ich nachweislich über Magdeburg ein Untersuchungsbericht veröffentlichen würde, könnten die Oldenburger Stadtoberen einem willigen Richter glaubhaft machen, der Bericht sei über Oldenburg. Dann sind entweder 7,5 Millionen Euro oder 7 1/2 Jahre Haft fällig.

Die Universität wuchs. Die Verwaltung schneller als der Lehrkörper. Die Arbeitsplätze der nichtwissenschaftlichen Mitarbeiter werden großzügiger ausgestattet als die der Hochschullehrer. Die Leitenden Verwalter kommen in die ministeriellen Besoldungsgruppen. Die Universität Oldenburg ist wohl keine Ausnahme.

Mit dem Wachstum der Universität kamen auch universitätsfremde Forschungsmittel. Die Drittmittelordnung der Reformuniversität wurde mit dem pfiffigen Argument durchlöchert, dass sie Hochschullehrer allemal in der Lage sind, eventuelle forschungsfremde Interessen der Geldgeber zu neutralisieren. Die Drittmittel machten die unvergütete Arbeit der Studierenden in der Forschung überflüssig bzw. sie waren nicht mehr an universitäre Forschung beteiligt. Vertreter der wissenschaftlichen Geräte hofierten die  Naturwissenschaftler. Die Großgeräte ließen ihre Augen leuchten wie Kinder unter dem Weihnachtsbaum. Alles was die Geräte nicht können, fällt natürlich unter dem Tisch. Großgeräte und Drittmittel bestimmen nun die Schwerpunkte der Forschung. Was soll daran falsch sein?

Auch die letzte Reformuniversität der Bundesrepublik Deutschland blieb vom „Bund Freiheit der Wissenschaft“ nicht verschont. So bemerkenswert war die Berufungspolitik der Hochschullehrer in der Wachstumsphase. Die „linken“ Gruppierungen behielten ihre Mehrheit, aber man benötigt Mikroskope, um sie von den „rechten“ Gruppierungen zu unterscheiden. Die Macher aller Weltanschauungen vereinigten sich. Die Hochschullehrer haben qua Gesetz das Entscheidungsmonopol. Die wissenschaftliche Mitarbeiter, die Studierenden und die Verwaltungsmitglieder in den Gremien liefern einerseits die Fassade einer demokratischen Mitbestimmung, anderseits das weite Spielfeld für die vielen „Hartz“ und „Volkert“.
Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass die ersten Abgänge aller Studiengänge sich in der Praxis überdurchschnittlich bewährt haben. Auch die einphasig ausgebildeten Lehrer. Dennoch sind einige Diplomstudiengänge bereits eingemottet. Neue Bachelor- und Magisterstudiengänge sind mit großer Wucht in Anmarsch. Sie sollen zeitlich streng reglementiert berufsnah ausbilden. Auf kalten Weg wird der Rest der Wissenschaft durch findige Hochschullehrer aus der Universität verbannt.

Die Geschichte der Universität in Oldenburg ist eher ein Hinweis dafür, dass nicht Universitäten einen Beitrag „an der Planung einer zukünftigen Gesellschaft“ leisten, sondern die Wucht der Marktmacht in der Gesellschaft Universitäten verplant. Ich meine, dass keine neuzeitliche Universität einen Beitrag „an der Planung einer zukünftigen Gesellschaft“ geleistet hat. Sie haben stets der herrschenden Macht gedient. Obwohl die Wissenschaftler in den Universitäten doch eine Alternative haben: Mit den Wölfen heulen, Magengeschwüre holen, auf die Couch legen, oder sich sperrig quer legen, gut schlafen, keine Veranstaltung oder Sprechstunde ausfallen lassen.
Ich habe mich quergelegt. Ich habe mir zwar zwei Entlassungen von zwei Universitäten eingehandelt, dreimal meinen Arbeitsschwerpunkt wechseln müssen, Disziplinarverfahren und Strafanträge erdulden müssen, Verwaltungsgerichte beansprucht. Doch habe auch neun Bücher gemacht, und auch sonst einiges veröffentlicht. Nur Unikate. Alles ohne Drittmittel. Mich hat keiner glauben machen können, dass Sponsoren Geld ausgeben, um nicht bestellte Musik zu hören.

Wie schon gesagt, ich habe viel, über vieles nachdenken müssen. Ich gehe „Schwanger mit den Fragen, ob nicht moderne Wissenschaft in der Hauptsache nur Technologie ist, Forschung Fummeleien mit fremden Wissen, und die eigentliche Wissenschaft mit der Offenbarung Moses zu Grabe getragen worden ist. Ich wundere mich auch, wie elegant modernen Wissenschaft mit „Entdeckung“ und „Erfindung“ und moderne Philosophie mit „Recht“ und „Gesetz“ umgehen. Oder sind sie doch Synonyme?

© Prodosh Aich, 09.02.2007

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Der Autor

Prodosch Aich wurde 1933 in Kalkutta geboren. Seit 1955 in Deutschland. Studium der Sozialwissenschaften. Seit Ende 1971 bei der Universität in Oldenburg. 1979 emeritiert, aber weiterhin mit Lehr- und Prüfungsberechtigung. Dissertation über „Farbige unter Weissen“. Weitere Publikationen: Obdachlose in der Bundesrepublik „Soziale Arbeit“, „Preis des aufrechten Gangs“, „Lügen mit langen Beinen“.

Weitere Infos: www.uni-oldenburg.de



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