23. Oktober 2007 | Kunstaktion

Die Hoffnung aus der Dose

von Hans Dieter Rühmann. Hamburg


Mich beschäftigt seit Jahren der Gedanke an ein Kunstwerk, das so groß und umfassend ist, dass es nur im Dialog und in der Diskussion mit der Öffentlichkeit entwickelt und realisiert werden kann. „Büchse der Pandora“ ist ein solches Projekt.

Lesezeit 4 Minuten

In der Regel übergibt der Künstler sein Kunstwerk der Öffentlichkeit als fertiges Kunstprodukt und Ergebnis seiner künstlerischen Auseinandersetzung und überlässt es dann der Öffentlichkeit zur Diskussion. Dies ist nicht nur vom Künstler so gewollt, sondern auch von den Betrachtern – sie erwarten wesentliche Botschaften und ganze Berufsgruppen, wie zum Beispiel die der Kunsthistoriker, leben davon, indem sie der Allgemeinheit den Zauber der Botschaft entschlüsselt.

Meine Projekte sind inhaltlich und real so umfassend, dass ich allein sie gar nicht verwirklichen kann. Ein einzelner Mensch kann auch kein Raumschiff konstruieren und bauen. Als Konzept- und Aktionskünstler bin ich ein öffentlicher Künstler. Wenn ich von „meinem“ Projekt spreche, verstehe ich mich im wesentlichen als Initiator und Impulsgeber des Projekts.

In geistigen Dingen ist dies erstaunlicherweise für die Öffentlichkeit nicht immer offensichtlich. Dabei ist der Geist doch Allgemeinbesitz. Nach diesem allgemeinen Credo entwickeln sich „meine“ Kunstprojekte. In dem aktuellen Kunstprojekt „Büchse der Pandora“ will ich diesen Weg noch bewusster und radikaler gehen. Es ist gleichermaßen sowohl als geistige als auch als technische Herausforderung unserer Zeit konzipiert. Real geht es um die Planung und den Bau einer städtebaulichen, überdimensionalen Skulptur, eines Turms, auf dessen Spitze das überdimensionale Abbild einer gewöhnlichen Konservendose balanciert, die Büchse der Pandora. Geistig geht es um die Entwicklung eines Bildes unserer Zukunft, in künstlerischer Auseinandersetzung mit Philosophie, Ethik und Spiritualität.

Oft erscheint es mir, als hätten wir in der technologischen Entwicklung unseren Geist zurückgelassen, als hätten wir ihn in der Euphorie einfach vergessen. Gemäß unserer aufrechten Gangart denken wir von unten nach oben. Wir denken von der Erde weg, bis wir uns selbst nicht mehr erreichen. Selbst, wenn wir an Gott denken, schauen wir nach oben, auf der Suche nach dem Göttlichen oder dort auch nach uns selbst. Aus diesem Denken entstand unser „Pyramidendenken“: Höher, schneller, weiter. Eine Steigerung, die sich immer wieder zuspitzt und selbst übertrifft, wie die Flüge in den Weltraum als Vorzeigeprojekte unserer Technologie. Dabei sind diese Flüge, deren Strecken in abmessbaren Entfernungen unternommen werden, geistig gesehen Flüge im Vakuum der verlängerten Pyramide, von und mit der Erde. Nach geistigen Gesichtspunkten wurde die Erde nie verlassen. Wesentlichere Dimensionen blieben uns weiterhin verschlossen. Die geistige und technologische Entwicklung unserer Gesellschaft gehen getrennt voneinander einher.

Die sinnbildliche Darstellung der Leistungspyramide habe ich für meine künstlerische Arbeit als fremdbestimmte, widersinnige Eingrenzung empfunden. Deshalb tat ich eines Tages etwas, was mich in seiner Einfachheit faszinierte, weil es in meiner geistigen Vorstellung eine große Wirkung erzielte: Ich drehte die Pyramide einfach um. Ich stellte sie nicht auf den Kopf, sondern drehte sie um. Bildlich war die Pyramide nun ein sich nach oben öffnender Trichter und geistig wurde sie für mich das Sinnbild einer anderen Dimension des Denkens.

Büchse der Pandora
Grafik: Hans Dieter Rühmann

Während die uns bekannte Leistungspyramide den gewaltsamen Vorstoß auf Eroberung nach oben versinnbildlicht, weist die umgedrehte Pyramide zu uns herab in die Tiefe. Sich nach oben öffnend versinnbildlicht sie den Empfang des Weltraums als Symbol des Geistes. Eine Eroberung des Weltraums wird plötzlich absurd und unvorstellbar.

Das Sinnbild der umgekehrten Pyramide ist das geistige Leitbild meiner künstlerischen Arbeit geworden.

Im Zuge der Globalisierung haben wir uns verstärkt auch mit den nicht die Wirtschaft optimierenden Höher-schneller-weiter-Seiten von ihr auseinander setzen müssen, die wir heraufbeschworen haben, mit denen wir eigentlich aber gar nicht so viel zu tun haben möchten. Sei es das Aufeinanderprallen der Kulturen z. B. mit seiner insbesondere seit dem 11. September eskalierenden Auseinandersetzung zwischen den islamischen und den westlichen Kulturen und Religionen oder sei es der so harmlos titulierte „Klimawandel“, der uns dazu zwingt, auch dafür Verantwortung zu übernehmen, was heute in China geschieht.

Unsere üblichen Mittel, mal hier und mal dort ein wenig die Stellschrauben zu drehen, versagen. Auch die Politik scheint ihren eigentlichen Aufgaben unserer Zeit nicht mehr gewachsen. Kaum jemand glaubt heute ernsthaft daran, dass mit den herkömmlichen Wegen eine Neuorientierung des Geistes in der Gesellschaft wachsen könnte. Insgeheim aber warten wir alle auf Impulse, die uns Mut machen, unsere eingefahrenen Wege zu verlassen und über unsere Grenzen hinaus zu denken.

In der griechischen Mythologie des Prometheus heißt es: Als die Büchse der Pandora geöffnet war, entwich aus ihr alles Übel und kam so über die Menschheit. Schnell wieder verschlossen blieb einzig die Hoffnung in ihr zurück. Die Hoffnung ist also noch in der Dose.


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Foto im Artikel gelöscht wegen fehlender Copyright-Angabe. 4.4.24


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