17. August 2010 | Afghanistan

Der postdemokratische Krieg

von Robert Zion. Gelsenkirchen


Der Bundestag sollte dem Beispiel Kanadas folgen und den Abzug aus Afghanistan durchsetzen. Sonst droht die Entmachtung des Parlaments.

Lesezeit 4 Minuten

Vom Militärtheoretiker Carl von Clausewitz wird gern der Satz zitiert, Krieg sei die Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln. Für Afghanistan scheint jedoch dessen Umkehrung zu gelten, wie sie einst der französische Philosoph Michel Foucault formulierte: „Politik ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln.“ – im Sinne einer gewaltfreieren und zivilisierteren Austragung von Konflikten. Wenn das stimmt, dann ist es jetzt an der Zeit für Politik in Afghanistan.

Das bedeutet: Es ist an der Zeit, diesen Krieg, der im nördlichen Verantwortungsbereich der Bundeswehr mit voller Wucht und in seiner ganzen Widersprüchlichkeit angekommen ist, zu beenden.

Die Bundesregierung besteht derzeit noch darauf, zunächst einmal eine gründliche Evaluierung des Einsatzes vorzunehmen. Doch das hätte bestenfalls nur eine aufschiebende Wirkung. Denn was soll eigentlich bei dieser für Deutschland anderes herauskommen als für die Kanadier? Die Regierung in Ottawa hatte die Rolle ihrer Soldaten in Afghanistan bereits 2006 durch eine unabhängige Kommission untersuchen lassen. Das Ergebnis: „Kanada befindet sich im Krieg, und Kanadier sind Kombattanten.“ Daraufhin begrenzte das Parlament das Mandat für die Truppen bis 2011. Nächstes Jahr beginnen die Kanadier also mit dem Abzug.

Die Bundeswehr hat diesen Kombattantenstatus ebenso inne, das heißt, sie sind Teilnehmer eines Krieges, unabhängig von dessen Rechtmäßigkeit. Deren militärische Führung hat sogar „offiziell“ das Kommando über die im Norden stationierten, Menschen jagenden US-Truppen. Über deren untragbares Vorgehen haben die kürzlich durch die Internetseite Wikileaks veröffentlichten Protokolle zwar nicht unbedingt Neues, aber doch dadurch jetzt eindeutig Belegbares zu Tage gefördert: Es ist ein schmutziger Krieg, der mittlerweile eine prozedurale Form angenommen hat. Er ist nicht, wie herkömmliche Kriege, durch rechtliche Strukturen geregelt, sondern längst selbst regelnd geworden, indem er sein eigenes Rechtsgefüge ein- und durchsetzt. Der Krieg in Afghanistan ist als eine Art dauerhafter Ausnahmezustand selbst Souverän geworden. Und es kann in der Tat beunruhigen, wie sehr sich hier Carl Schmitts Diktum bewahrheitet, der Souverän sei derjenige, der über den Ausnahmezustand entscheide.

Mangelnde Parlamentskontrolle

Die Bundeswehr ist eigentlich ihrem Charakter nach eine Parlamentsarmee. Die Abgeordneten und nicht die Regierung sollen über sie verfügen. Doch die parlamentarische Kontrolle dieses Einsatzes der Bundeswehr ist so gut wie nicht gegeben. Die Informationsverweigerungspolitik der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag – teils aus Angst vor den politischen Folgen, teils aus Sorge um die Sicherheit der Soldaten – ist für unsere Demokratie untragbar geworden.

Darum ist es jetzt an der Zeit, die Frage nach der Demokratie bezüglich des Afghanistan-Einsatzes anders zu stellen als bisher. Es kann nicht mehr darum gehen, wie denn Afghanistan „demokratisiert“ werden könne. Dieses Problem müsste seit den geschobenen Wahlen und der gewaltsamen Eskalation des Konflikts ohnehin anders als bisher betrachtet werden. Es geht darum, was dieser Krieg aus unserer Demokratie denn genau macht. Wir sollten diese Frage in dem Bewusstsein darüber stellen, dass das Gewohnheitsrecht seit jeher einer der Hauptquellen der Rechtsetzung gewesen ist, vor allem im internationalen Recht.

Was die Wikileaks-Dokumente nun deutlicher als bisher vor Augen führen, ist der moralisch höchst zweifelhafte Charakter dieses Einsatzes – und dies, wo doch die Moral in den öffentlichen Diskursen stets einen so hohen Stellenwert bei dessen Rechtfertigung eingenommen hat.

Wie ein Italowestern

Um ein Bild aus der Populärkultur zu verwenden: Der Krieg in Afghanistan entspricht nicht dem klassischen amerikanischen Western, in dem die Charaktere klar definiert und in die „Guten“ und die „Bösen“ geschieden sind. Dieser Krieg entspricht eher der Entzauberung dieses Mythos durch den Italowestern, in dem die Charaktere ambivalent sind, die Motive zumeist schmutzig und das Ende der Geschichte oft unerfreulich. Der Afghanistankrieg ist nicht wie „High Noon“*, er ist vielmehr wie „The Good, the Bad and the Ugly“.**

Was folgt nun aus alledem? Wenn es jetzt an der Zeit für Politik ist, also für eine zivilisiertere Austragung des Konflikts, dann heißt das zunächst, sich der postdemokratischen Souveränität dieses Krieges zu entziehen und das Parlament hierzulande wieder in sein Recht einzusetzen. Zumindest die Opposition sollte sich daher jetzt zusammenraufen und die Mandate für den Einsatz bei der kommenden alljährlichen Mandatsverlängerung geschlossen ablehnen und einen Initiativantrag zur Beendigung des Afghanistan-Einsatzes einbringen.

Für Die Linke hieße dies natürlich, das von ihr zu erwartende „Wir werden schon immer Recht gehabt haben“ nun zugunsten konstruktiver Lösungen zur möglichst schnellen Beendigung dieses Krieges hinten anzustellen. Für die Grünen bedeutet das, das moralische Wollen weit nüchterner als bisher am tatsächlichen Können zu messen. Und für die SPD, sich ihrem historischen Anspruch als Friedenspartei auch mit einer beginnenden Aufarbeitung eigener Fehler endlich wieder bewusst zu werden. Hierbei stehen insbesondere die Parteien gegenüber ihren Fraktionen jetzt in der Pflicht.

In der Bundesregierung und in Washington würde man darüber sicher wenig erfreut sein – zumindest offiziell. In Wahrheit suchen alle bereits nach einem Ausweg. Was nur noch fehlt, ist der erste Schritt – der Mut zur Politik.

* „Zwölf Uhr Mittags“, 1952, Regie: Fred Zinnemann
** „Zwei glorreiche Halunken“, 1966, Regie: Sergio Leone

© Der Artikel erschien zuerst in der Druckausgabe der Financial Times Deutschland vom 13.08.2010 unter dem Titel ‚Die Afghanisierung der deutschen Demokratie‘.

————————-

Zum Autor

ROBERT ZION ist Grünen-Politiker in Nordrhein-Westfalen und Mitglied des globalisierungskritischen Attac-Bündnisses.



Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert