24. Juni 2006 | Ghana

Die Marktfrauen von Accra

von Hans Hübner. Köln


Auf dem zentralen Markt von Accra, der Hauptstadt von Ghana haben Männer nichts zu suchen. Eine Marktkönigin regiert, die Marktfrauen kümmern sich um Organisation, Sicherheit, soziale Absicherung und Rechtsprechung: Ein Beispiel dafür, dass die afrikanischen Frauen fähig sind, ihr eigenes Überleben erfolgreich und effizient zu organisieren, wenn man sie nur lässt.

Lesezeit 4 Minuten
Marktfrau
Foto: Hans Hübner

„Bist du emanzipiert?“ Patience versteht die Frage nicht. Und wie immer, wenn sie nicht weiß, was sie sagen soll, kichert sie. 

An Selbstbewusstsein fehlt es ihr nicht. Sie verkauft Gemüse auf dem zentralen Markt von Accra, der Hauptstadt Ghanas. Ich lernte sie kennen, weil ich von den Marktfrauen gehört hatte. Ihre Kraft, ihr Durchsetzungsvermögen gilt als legendär. Nichts scheint sie mit den armen geschlagenen  Kreaturen zu verbinden, die üblicherweise zum Bild des afrikanischen Elends gehören. Ihre erfolgreichsten Vertreterinnen werden „Mama Benz“ genannt, weil sie es zu beträchtlichem Reichtum und Ansehen gebracht haben. 

Patience ist verheiratet, hat zwei Kinder. Ihr Mann findet gelegentlich einen Job und verdient ein paar Cedi. Von einer festen Anstellung kann er nur träumen. Die gibt es in Ghana nur für eine sehr kleine Minderheit. Einen großen Teil des Tages verbringt John  mit seinen Freunden vor Kiosken oder Bars, trinkt Bier und diskutiert endlos über Politik und Frauen, über die ungerechte Welt. 

Am Stand seiner Frau hat er nichts zu suchen. Ehemänner sind auf dem Markt unerwünscht. Allenfalls werden männliche Wesen als Träger oder für zweitrangige Tätigkeiten eingesetzt. Sie wirken klein und schmächtig neben den mächtigen Frauen, irgendwie verloren. Stehen sie herum oder tratschen sie, werden sie weitergescheucht. 

Frauen beherrschen den Markt. Um mit Patience sprechen zu können, musste ich die Marktkönigin um Erlaubnis bitten. Sie empfing mich umgeben von ihrem Hofstaat und unterzog mich einem intensiven Verhör. Sie wollte jeden Zweifel ausräumen, dass ich Unruhe stiften oder einen Mangel an Respekt zeigen könnte.

Die Marktkönigin wird von den Marktfrauen gewählt. Ihr zur Seite stehen Stellvertreterinnen und die Verantwortlichen für die verschiedenen Sektoren, die Fisch- und Fleisch-, die Gemüse- oder Obstabteilung. Selbst der Präsident von Ghana muss sich bei der Königin anmelden, wenn er den Markt besuchen will. Die Polizei tut gut daran, sie zu kontaktieren, wenn sie auf dem Markt aktiv werden will. 

Ohne die Erlaubnis der Marktkönigin hätte ich meine Recherche nicht durchführen können. Wir einigten uns darauf, dass ich eine der üblichen Auseinandersetzungen zwischen zwei Marktfrauen und die daraus entstehenden Folgen beobachten könnte. Und so lernte ich Patience kennen, eine große massige Frau, die alles andere als die Ruhe und Geduld ausstrahlt, die ihr Name nahe legt. 

Wie ihre Kolleginnen bekommt sie eine kleine Fläche für ihren Stand zugewiesen.Direkt neben ihr sitzt Sara, die sich ebenfalls auf nur sehr engem Raum einrichten muss. Ein nicht abreißender Strom von Käuferinnen und Käufern schiebt sich durch die engen Marktgassen, mit lautstarken Stimmen preisen die Marktfrauen ihre Waren an, die Luft ist gesättigt mit ohrenbetäubendem Lärm, mit Gerüchen von Fleisch und Gemüse, von Moder und Schweiß. Und über allem liegt die schwüle tropische Hitze Westafrikas. 

In diesem wuselnden Chaos geschieht es, dass  ein Teil der Auslage von Patience in den Bereich ihrer Nachbarin gerät. Sara protestiert laut schreiend, Patience verwahrt sich gegen den Vorwurf der Absicht. Wir erkennen nur an der Gestik, worum es geht – wir verstehen kein Fang, ihre  Sprache. Der Streit wird immer lauter. Sara zieht Patience an den Haaren. Patience schlägt zurück. Ein Tisch bricht zusammen. Das Gemüse ergießt sich auf den Boden. Immer mehr andere Marktfrauen beteiligen sich lautstark an der Auseinandersetzung. In kurzer Zeit verwandelt sich die Szene in ein Schlachtfeld. Bis sich eine Gruppe der – natürlich weiblichen –  Marktordner durch die Menge drängt und die beiden trennt.

Die beiden werden aufgefordert, sofort vor Gericht zu erscheinen, einer festen Institution auf dem Markt. Zum Stab der Königin gehören Frauen, die auf solche Fälle vorbereitet sind. Streitigkeiten und Auseinandersetzungen werden nicht nach außen getragen, sondern intern geregelt. Eine Frau übernimmt das Präsidium, die anderen dienen als Schöffinnen. Vor zahlreichen Zuschauerinnen beginnt ein Spektakel.

Die beiden Streithennen haben Zeit, sich ihre Wut von der Seele zu reden, aufeinander einzuschimpfen. Erst wenn sie allmählich abschlaffen, wenn ihnen die Argumente ausgehen, greift das Gericht ein. Sie werden aufgefordert, sich zu einigen, sich darüber zu verständigen, wie der Schaden gut gemacht werden kann. Es geht nicht darum, einen Schuldigen zu benennen. Ziel ist die Versöhnung in beiderseitigem Einverständnis. Das kann Stunden dauern. Doch am Schluss stimmen dann beide zu, einen Schluck aus der Flasche Fanta, einen Friedenstrunk zu nehmen – keinen Alkohol natürlich. Wenig später sitzen die Frauen dann wieder an ihren Ständen und plaudern friedlich, als wäre nichts geschehen. 

Patience muss sich tagtäglich immer von neuem durchsetzen, für ihr Überleben kämpfen. Immerhin verwaltet sie ihr eigenes Geld. Wenn ihr Mann trinken will, muss er sich die Mittel dafür woanders besorgen. Sie hat sich mit anderen Frauen zu einer Art Sparkasse zusammengeschlossen. Dort kann sie einen kleinen Kredit aufnehmen, wenn sie es braucht. Der Markt ist eine in sich geschlossene Frauen-Wirtschaftswelt. 

Draußen herrschen nach wie vor die Männer. Bisher wurde in Ghana keine Präsidentin gewählt. Und befragte man Patience dazu, würde sie vermutlich wieder kichern. Um dann etwas verschämt hinzufügen, dass es vielleicht doch besser wäre, wenn die Frauen mehr Einfluss hätten.

In der Entwicklungswissenschaft gehört es inzwischen zu den Gemeinplätzen, dass man dazu beitragen sollte, den Frauen insgesamt einen größeren Einfluss in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu gewähren. Erste Ansätze sind erkennbar. Im vom Bürgerkrieg geschüttelten Nachbarland Liberia hat sich vor kurzem eine Frau gegen einen Fussbaldhelden im Wahlkampf durchgesetzt. Das heißt natürlich nicht, dass die Frauen es in jedem Fall besser machen würden. Schlechter als die männlichen Politiker können sie es allerdings kaum machen. 

„Bist du emanzipiert?“ Mit irgendwelchen Theorien können Patience und ihre Freundinnen wenig anfangen.Sie „stehen ihren Mann“ und zeigen, dass sie ihr Leben selbst organisieren und ohne Männer bewältigen können. Und vor allem: Anders als die Männer regeln sie ihre Konflikte und Probleme friedlich.

Profil: Hans Hübner


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