Die zweite Runde der Exzellinitiative läuft. Endlich steht fest, welche acht deutschen Universitäten beim Wettstreit um den Titel „Eliteuniversität“ an diesem Finale teilnehmen werden. Im Oktober wird dann die Entscheidung fallen. Schon jetzt zeichnet sich in Deutschland eine Kluft ab zwischen einer akademischen Elite, deren Forschung überaus großzügig gefördert wird, und WissensarbeiterInnen, die ihre Projekte neben der Lehre mit geringen finanziellen Mitteln und viel Idealismus betreiben.
Wer mehr Zeit und Arbeit in die Vorbereitung von Lehrveranstaltungen steckt, dem bleibt weniger Zeit für andere Forschungsarbeiten. An staatlichen Universitäten lässt sich ein Phänomen beobachten: Engagierten ProfessorInnen stehen einige schwarze Schafe gegenüber, die sich aus der Lehre in exklusive Forschungsfelder zurückziehen. Die Studierenden sehen diese oft hochkarätigen WissenschaftlerInnen nur selten in den Seminaren – zumindest in den Anfängerkursen. ForscherInnen, die sich nur nachrangig auch als Lehrende verstehen, kommen ihrer vertraglich festgelegten Lehrverpflichtung bevorzugt in Form von Veranstaltungen für fortgeschrittene Studierende nach und delegieren die Lehre oft an ihre AssistentInnen. Dies bringt zwar nicht automatisch einen Qualitätsverlust von den Vorlesungen und Seminaren mit sich, entspricht aber sicherlich nicht den Erwartungen der Politik, der Universitäten oder der Studierenden.
Wer in der Wissenschaft Karriere machen will, muss vor allem relevante Forschungsergebnisse liefern und Kontakte knüpfen. Das Engagement in der Lehre ist demgegenüber weniger wichtig – dies suggeriert die Entwicklung der Hochschulpolitik. Diese Bewertung hat fatale Folgen: Es kommt zur Spaltung von Forschung und Lehre, während deren Verbindung doch bisher ein Kennzeichen der deutschen Wissenschaftslandschaft bildete. Die Lehrdeputate der immer weniger werdenden hochbezahlten ProfessorInnen verringern sich insgesamt. Gleichzeitig steigen vielerorts die Lehrverpflichtungen für den Einzelnen, und für den laufenden Betrieb der Studierendenausbildung werden zunehmend Lehrbeauftragte eingestellt.
Deren Bezahlung liegt trotz Vollzeittätigkeit oft auf Hartz-IV-Niveau: An niedersächsischen Universitäten erhalten promovierte Lehrbeauftragte einen Stundensatz von 28,22 Euro. Bezahlt werden aber nur die gehaltenen Stunden. Bei 28 Stunden pro Semester beläuft sich die Vergütung auf 790,16 Euro brutto für sechs Monate, das sind rund 131 Euro pro Monat. Acht Lehraufträge wären also nötig, um den Lebensunterhalt zu bestreiten und wenigstens die wichtigsten Versicherungen zu bezahlen – für eine die Altersvorsorge reicht es schon nicht mehr. Der Arbeits- und Zeitaufwand für Vorbereitung, Sprechstunden, Hausarbeitenkorrektur, Prüfungen sowie An- und Abreise bleibt unbezahlt, füllt bei acht Lehraufträgen aber leicht mehr als eine 40-Stunden Woche.
Es werden auch feste Stellen nur für die Lehre ausgeschrieben, um das Angebot zu erweitern: Von einer „Lehrkraft für besondere Aufgaben“ werden durchaus auch schon mal 18 Semesterwochenstunden gefordert. Die Vorteile einer festen Anstellung liegen auf der Hand, aber im Unterschied zu wissenschaftlichen MitarbeiterInnen, die dasselbe Gehalt beziehen, bestehen kaum Möglichkeiten zur Weiterqualifikation oder zur Vernetzung innerhalb der Universitätsstrukturen, abgesehen von Tätigkeiten im Bereich von Verwaltung und Organisation. Für Forschung bleibt keine Zeit. Zudem sind die Stellen von wissenschaftlichen MitarbeiterInnen in der Regel befristet. Selbst die Habilitation bringt keine Planungssicherheit: PrivatdozentInnen sind sogar dazu verpflichtet, zu unterrichten, um ihre Lehrberechtigung nicht zu verlieren. Viele reisen deshalb täglich quer durch das Land von Uni zu Uni, um unbezahlt Veranstaltungen abzuhalten.
Das akademische Prekariat in Deutschland wächst. Auch wenn die Arbeitslosigkeit von HochschulabsolventInnen mit fünf Prozent sehr viel niedriger ist als im Bevölkerungsdurchschnitt, so garantiert ein Universitätsabschluss längst kein höheres Einkommen mehr. Dies gilt zumindest für GeisteswissenschaftlerInnen: Wie Lehrbeauftragte sind beispielsweise auch viele LektorInnen und ÜbersetzerInnen von einem Mindestlohn von 7,50 Euro für Geringverdienende, wie er von den Gewerkschaften gefordert wird, weit entfernt.
Der Bologna-Prozess befördert eine Entwicklung, in der die Lehre an Reputation verliert – auch bei Studierenden, wie eine Anekdote aus dem Universitätsalltag zeigt: Per E-Mail meldete eine Studentin sich bei Ihrer Dozentin: Sie wolle gerne einen Schein erwerben, könne leider wegen eines Praktikums bei einer Fernsehanstalt aber nur an der letzten Sitzung des Semesters teilnehmen. In dieser Anfrage offenbart sich der Wert, den die Studentin dem Studium im Allgemeinen und der Lehre im Besonderen gegenüber dem Praktikum zumisst. Und die Realität scheint sie zu bestätigen: Vitamin B ist ein wichtiger Faktor beim Berufseinstieg.
Der Ansehensverlust der Lehre erscheint paradox angesichts der staatlichen Bildungsinitiativen, die die Politik seit dem Schock der PISA-Studien propagiert. In der Schule wie in der Universität geht es nicht nur um Wissensvermittlung, sondern auch um das Üben von kritischer Distanz, Reflexions- und Urteilsvermögen. Doch das Bildungsideal von Wilhelm von Humboldt, das eine Ausbildung der Persönlichkeit umfasst, rückt an den Universitäten gegenüber dem ökonomischen Zweck der Ausbildung immer weiter in den Hintergrund, während es in der Schule gestärkt werden soll. Es erscheint als überflüssiger Luxus.
Von Nachhaltigkeit lässt sich angesichts dieser Entwicklung kaum sprechen. Studierende, die für ihre akademische Ausbildung bezahlen, werden Qualität in der Lehre einfordern. Die aktuelle Entwicklung gibt jedoch Anlass zu der Befürchtung, dass die Qualität wegen der mangelnden gesellschaftlichen Wertschätzung, die sich auch ökonomisch äußert, sinken wird. Darunter werden auch innovative wissenschaftliche Felder leiden, die wie die Gender Studies noch nicht als Kernkompetenzen fest an den Universitäten verankert sind.
Die Attraktivität des Berufsfelds „Wissenschaft“ beschränkt sich immer mehr auf ein elitäres Segment. Ob dieses System kollabiert, ist dennoch fraglich. Denkbar ist vielmehr, dass sich die Kluft zwischen sogenannter „Elite“ und Prekariat verbreitert – in der Wissenschaft wie in der Gesellschaft insgesamt.
© Margret Karsch, 14.02.2007