6. August 2007 | Hauptstadtentwürfe

Kapitale Träume

von Hans Hübner. Köln


Was haben lateinamerikanische Despoten und die deutsche Bundesregierung gemeinsam? Kapitale Träume. Welchen unterschied die Realität hingegen mauert, lesen Sie selbst….

Lesezeit 5 Minuten

Wenn ich sehe, wie in Berlin eine Baugrube nach der anderen aufgerissen wird, wie weiterhin mehr und mehr Geld verpulvert wird und das ganze immer noch einen seltsam unfertigen Eindruck macht, dann frage ich mich: Wird das eines Tages wirklich die definitive Kapitale? Und ich komme ins Träumen.
Was wäre, wenn ich mir eine eigene Stadt bauen könnte? Das ist natürlich etwas anderes, als sich ein Haus zu bauen. Das müsste wohnlich sein, denn ich will mich wohl fühlen. Es sollte meinen Bedürfnissen entsprechen, genügend Platz bieten und natürlich auch die mindesten ästhetischen und ökologischen Ansprüche befriedigen

Aber es soll eine Stadt sein, kein Haus. Ich versetze mich an die Stelle eines Pharaonen, eines Sonnenkönigs, eines brasilianischen oder nigerianischen Präsidenten. Oder ich stelle mir vor, ich wäre der Bundestag. Aus welchen Gründen auch immer will ich mir die Hauptstadt meines Traumreichs bauen Und ich beginne ganz nüchtern: Was erwarte ich von einer solchen Metropole?
Es muss genügend Platz geschaffen werden für die Regierung meines Traumreiches und ihren Bürokraten-Apparat. Und ein bisschen repräsentativ dürfte es auch sein. Die Infrastruktur muss funktionieren, Strassen, Stromversorgung, Telefon, Kanalisierung, öffentlicher Nahverkehr, etc. Und schließlich muss die Stadt an den Rest des Landes angebunden werden, mit Strassen, Flug- und Bahnverbindungen. Das kostet natürlich einen Haufen Geld.

Wenn ich mein Häuschen baue, überlege ich mir von vorneherein, wieviel Geld ich habe, wieviel ich ausgeben und was ich mir dafür leisten kann. Wenn ich mich verkalkuliert habe, ist der Traum vom eigenen Heim bald zu Ende. Dem Staat sind diese Grenzen in der Regel nicht gesetzt. Da die meisten Planer keine Erfahrung haben mit solch grossen oder gar gigantischen Projekten, schätzen sie die Kosten über den Daumen. Und es gibt wohl kein derartiges Vorhaben, das nicht am Ende doppelt, dreifach so teuer oder vielfach teurer war als am Anfang angenommen. Doch den Traum von der neuen Stadt hat wohl nur Papa Doc in Haiti aufgegeben und die Arbeit an Duvalierville irgendwann abbrechen lassen. Übrig geblieben ist eine Ansammlung verfallener, vom Urwald überwachsener Gebäude, die an Tarzan-Filme oder Berichte über versunkene Reiche erinnern. Selbst den Namen haben seine Nachfolger geändert.

Der brasilianische Präsident Juscelino Kubitschek gab in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts seinen Planern Lucio Costa und Oscar Niemeyer freie Hand, ihre Träume von einer idealen neuen Hauptstadt des Riesenlandes auf dem Reissbrett umzusetzen. Und sie nahmen sich vor, ein Gesamtkunstwerk zu schaffen, das sowohl ästehtisch schön wie auch sozial und praktisch sein sollte. Eine vernünftige und rationale Stadt für die Verwaltung und Regierung des Staates. Fernab von dem unvernünftigen chaotischen Gewusel der schönsten Stadt der Welt, Rio de Janeiro.

Den Deutschen stellten sich andere Probleme. Da gab es zum einen die gemütliche provinzielle Hauptstadt der guten alten Bundesrepublik, Bonn, ein Provisorium, an das sich alle gewöhnt hatten. Und dann kam auf einmal die Wiedervereinigung, Sollte man sich mit der bisher praktizierten Bescheidenheit zufrieden gaben und in Bonn bleiben? Oder sollte man sich dem größer gewordenen Raum anpassen, sich darauf einlassen, dass das Deutsche Reich zurückgekehrt war? Die Entscheidung des Bundestages für Berlin war eine Entscheidung für die historische Kontinuität, für einen neuen politischen Anspruch eines neuen alten Staates. Das Zwischenspiel zweier deutscher Staaten wurde abgehakt.

Die Deutschen konnten allerdings keine neue Hauptstadt auf dem Reißbrett entwerfen, Berlin existierte. Ein Umbau war nötig. So als ob ich mir ein altes Gebäude kaufe, dass ich dann meinen Bedürfnissen anpasse. Jede Planung muss das Bestehende berücksichtigen. Nur dass das zukünftige Domizil leer ist, wenn ich es übernehme. Berlin aber hörte nicht auf, als Stadt weiterzuleben, mit dem zusätzlichen Problem, dass zwei Teile der Stadt zusammengeführt werden mussten, die sich in den vergangenen 40 Jahren auseinander entwickelt hatten. In einen ohnehin gestörten gesellschaftlichen Organismus sollte mit aller Gewalt eine neue Funktion implantiert werden.

Ein ganz anderes Abenteuer also als das, auf das sich die Brasilianer eingelassen hatten. Der Kompromiss zwischen der älteren und der jüngeren Geschichte, zwischen auseinander- und gegeneinander strebenden sozialen Vorstellungen und bestehenden Infrastrukturen auf der einen Seite und neuen Ideen für eine neue Hauptstadt auf der anderen Seite war zwangsläufiges Planungsprinzip. Die Berliner, zumal die Bewohner der Stadtmitte mussten sich darauf einrichten, am Rande einer oder in einer Baugrube zu leben.

Doch ganz so, wie sie es sich vorstellten, konnten auch die Brasilianer nicht am Punkt Null beginnen. Es waren Menschen, die das von Oscar Niemeyer und Lucio Costa imaginierte Gesamtkunstwerk bauten, Brasilianer, arme Landarbeiter aus der Elendsregion des Landes, aus dem Nordosten in ihrer grossen Mehrheit. Sie bevölkerten zunächst das Baugelände und richteten sich dort ein. Und sie gingen nicht weg, als die erste Stufe der Bewohnbarkeit erreicht und die Stadt schliesslich fertig geworden war, als die Politiker und Bürokraten eintrafen, für die die Stadt ja eigentlich vorgesehen war. Sie siedelten sich am Rande der schönen neuen Welt an, in mehr oder weniger provisorischen Hütten. Das Regierungsviertel, ein architektonisches Prachtstück in der Mitte, in sich autonome Wohnviertel mit ihren Geschäfts-, Freizeitbereichen, Kindergärten, Schulen, Kranken- und Sozialstationen, mit den Strassen, die so konzipiert waren, als gäbe es keine Fussgänger, als seien ein, zwei oder gar drei Autos selbstverständlicher Bestandteil jeden Haushalts: all das entstand, wie es sich die Planer vorgestellt hatten. Doch drum herum bildete sich ein Gürtel von Ausgeschlossenen, die sich allenfalls als Dienstboten oder Hilfskräfte verdingen konnten. Die soziale Realität Brasiliens hat das utopische Projekt Brasilia eingeholt. Unfreiwillig wirkt es heute fast wie ein Symbol für die brutale soziale Spaltung des Landes.

Wenn ich mir ein neues Haus baue oder ein altes umbaue, dann kann ich im Rahmen meiner finanziellen Möglichkeiten verwirklichen, was ich mir vorstelle, es zu einer ästhetisch anspruchsvollen, wohnlichen, sozialen und umweltfreundlichen Heimstätte machen. Das garantiert allerdings durchaus nicht mein familiäres oder privates Wohlbefinden.

Wenn ich mir einer Stadt baue …. Dann muss ich eine neue Gesellschaft planen, damit mich die alte Realität nicht immer wieder einholt. Vielleicht macht es Sinn, wenn sich Staaten wie Brasilien, Nigeria oder Kasachstan eine neue Hauptstadt errichten, um die Regierbarkeit, das geographische Gleichgewicht oder die Logistik ihrer Länder zu verbessern; vielleicht ist es vernünftig, von Bonn nach Berlin umzuziehen, um den neuen historischen Ansprüchen gerecht zu werden.

Aber welchen Sinn macht es für mich? Schon die finanziellen Aufwendungen überschreiten mein Vorstellungsvermögen. Von der Organisation der Arbeit gar nicht zu reden. Trotzdem denke ich mir ein wirklich schönes Modell aus, mit dem eigentlich alle zufrieden sein müssten. Ich schaffe sogar, es in die Realität umzusetzen. Und dann reagieren die Bewohner nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe. Sie nehmen sich sogar das Recht, unzufrieden mit mir und unglücklich zu sein.

Ich glaube, ich eigne mich nicht zum Utopisten. Ich gebe meinen kapitalen Traum auf. Mein Traumreich muss ohne eine Hauptstadt auskommen Ich kann mir nicht einmal ein eigenes Häuschen leisten.

© Hans Hübner, 06.08.2007

Profil: Hans Hübner



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