27. Januar 2015 | Klimawandel und Theater 1

Wenn das Meer an der Heimat nagt

von Natalie Driemeyer.


Im indonesischen Pulau Panggang ist Theater identitätstiftendes Mittel, um über die Beziehung zur Natur zu berichten.
Im Rahmen einer WELT-KLIMA-THEATER-RECHERCHE-REISE untersucht Natalie Driemeyer, wie Künstler, insbesondere Theaterschaffende, auf den verschiedenen Kontinenten die drastischen klimatischen Veränderungen in ihren Produktionen reflektieren, welche Möglichkeiten sie in ihren unterschiedlichen Kulturen, Religionen und politischen Systemen haben, die Menschen vor Ort zu erreichen. Die erste Station ist Indonesien. Die Veränderungen zeigen sich auf dem sich in west-östlicher Ausdehnung über 5000 Kilometer erstreckenden Archipel auf vielfältigste Weise. Sprechen wir von den klimatischen Veränderungen, müssen wir darüber sprechen, wie sie Menschen treffen. Das Theater ist weltweit aufgrund seiner Tradition Experte darin, vom Leben der Menschen zu erzählen und sie auf verschiedenste Weise zu berühren. Der Klimawandel findet statt. Die Frage ist, wie wir damit gemeinsam umgehen, wie wir ihn verlangsamen können und es schaffen, eine zivilisierte, gerechte Weltgesellschaft zu kreieren.

Lesezeit 3 Minuten

Jakarta, 35 Grad, die Regenzeit hat mit großer Verspätung endlich begonnen, die Luftfeuchtigkeit liegt bei 95 Prozent. Ich richte den Blick auf die Stadt, eine Smoghülle überstülpt sie, produziert von der Industrie und den über 20 Millionen Motorrollern und Autos.

Seit mehr als zwei Monaten bin ich unterwegs auf einer Welt-Klima-Theater-Recherchereise. Nach mehrfacher Zusammenarbeit mit Klimawissenschaftlern des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung und dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung werde ich untersuchen, wie Künstler, insbesondere Theaterschaffende, auf den verschiedenen Kontinenten die drastischen klimatischen Veränderungen in ihren Produktionen reflektieren, welche Möglichkeiten sie in ihren unterschiedlichen Kulturen, Religionen und politischen Systemen haben, die Menschen vor Ort zu erreichen.

Nach Aussage des Verhaltensphysiologen Prof. Dr. Gerhard Roth gibt es im Gehirn keine direkte Verbindung zwischen dem Sitz von Verstand/Intelligenz und den verhaltenssteuernden Zentren. Um Verhaltensänderungen zu erreichen, muss die Auseinandersetzung mit Klimawandel und Klimaschutz emotionalisiert werden. Hier ist das Theater gefragt.

Meine erste Station ist Indonesien. Die Veränderungen zeigen sich auf dem sich in west-östlicher Ausdehnung über 5000 Kilometer erstreckenden Archipel auf vielfältigste Weise. Auf Pulau Panggang, einer der tausend Inseln vor Jakarta, treffe ich Pak Lupus, einen hageren, lebensfrohen Mann. Er sagt: „Früher konnten wir gut vom Fischfang leben, jetzt fangen wir pro Stunde nur einen Fisch“, und: „Das Wasser auf der Insel war trinkbar, nun ist es versalzen.“ Die Korallen können aufgrund des Meeresspiegelanstiegs nicht mehr als natürlicher Filter dienen. Die Haut der Bewohner ist durch die schlechte Wasserqualität verschorft, ihre Zähne brechen ab, unentwegt nagt das Meer an ihrer Heimat. Sie spüren den anthropogenen Klimawandel physisch. Seit Jahrhunderten nutzen die Bewohner Pulau Panggangs das Theater als Ausdrucksmittel, um über ihre Beziehung mit der Natur zu berichten. Nach wochenlangem Aufenthalt auf dem Meer gehen die Fischer zur Theaterprobe. Ihre traditionelle Performance Lenong Pulo ist eine Mischung aus Silat (einer Art Kampfkunst), dem Gesang eines Erzählers und Gambang Kromong, einer Musik, flirrend wie die sie umgebende heiße Luft.

Die Gruppe Lab Teater Ciputat aus Jakarta hat langjährige Erfahrungen in der theatralen Erarbeitung urbaner und Naturthemen. Spiritualität spielt für sie eine wichtige Rolle: „Wir sind Natur; wenn wir die Natur verletzen, verletzen wir auch uns selbst.“ In einigen ihrer Produktionen arbeiten sie ausschließlich mit Schauspielern, in anderen mit den Bewohnern einer bestimmten Gegend. Ihr Ziel ist es, die Bewohner Pulau Panggangs in ihrer eigenen Identität zu stärken, damit sie eine Stimme entwickeln, um gegenüber der Regierung ihre Rechte für den Schutz ihrer Heimat einfordern zu können. Sie gründeten eine weitere Theatergruppe mit Schülern, die im Gegensatz zu vielen anderen auf der Insel bleiben wollen. Die Produktionen handeln vom Kampf der Jugendlichen um ihre Zukunft auf der Insel, erzählt werden die Geschichten mit traditionellen Theatermitteln. Die generationsübergreifende Arbeit wuchs zu einem dreitägigen Festival heran, zu dem Leiter großer Institutionen aus der drei Bootsstunden entfernten Innenstadt Jakartas eingeladen wurden. Plötzlich war die Insel nicht allein unter dem Aspekt der Gewinnung fossiler Brennstoffe und als Tourismusort bekannt, sie ist emotional ins Stadtzentrum gerückt.

Sprechen wir von den klimatischen Veränderungen, müssen wir darüber sprechen, wie sie Menschen treffen. Das Theater ist weltweit aufgrund seiner Tradition Experte darin, vom Leben der Menschen zu erzählen und sie auf verschiedenste Weise zu berühren. Der Klimawandel findet statt. Die Frage ist, wie wir damit gemeinsam umgehen, wie wir ihn verlangsamen können und es schaffen, eine zivilisierte, gerechte Weltgesellschaft zu kreieren. //

Natalie Driemeyer

Die Dramaturgin und Kuratorin Natalie Driemeyer war künstlerische Leiterin des Festivals Odyssee : Klima, das im Juni 2013 am Stadttheater Bremerhaven in Kooperation mit dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und dem Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung stattfand. Im Rahmen einer WELT-KLIMA-THEATER-RECHERCHE-REISE untersucht sie nun, wie Theaterschaffende weltweit die Themen Klimawandel und Nachhaltigkeit sowie das Verhältnis Natur – Mensch in ihren Produktionen erarbeiten.

(zuerst veröffentlicht in „Theater der Zeit“, Januar 2013)

Featured Image: Natalie Driemeyer


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