27. Januar 2015 | Klimawandel und Theater 2

Das Gesicht des Klimawandels

von Natalie Driemeyer. Bremerhaven


Wie Theater auf den Philippinen hilft, denjenigen eine Stimme zurückzugeben, die ihre eigene angesichts der Zerstörung durch den Taifun Haiyan verloren haben.

Die Philippinen sind eines der vulnerabelsten Länder der Erde – auch aufgrund der Folgen des Klimawandels. Diese werden in vielfältigster Form theatral erarbeitet: in kommerziellen Musicals, in Kinder- und Jugendtheaterproduktionen, im traditionellen Tanztheater, im Sprechtheater; das Cultural Center of the Philippines (CCP) in Manila produzierte hierzu ein ganzes Festival. Im Alltag sind neben dem Christentum das Wissen und die Rituale der Schamanen präsent. Häufig greifen die Theaterschaffenden das Traditionelle in ihren Produktionen auf, um damit an den sensiblen Umgang der Menschen mit der Natur anzuknüpfen und diesen zu reaktivieren. Das Theater sieht seine Aufgabe auch darin, die Zuschauer auf die klimatischen Veränderungen vorzubereiten, mit ihren Folgen leben zu lernen und den weltgesellschaftlichen Dialog über das Thema auf lokaler Ebene anzuregen.

Lesezeit 4 Minuten

„3, 2, 1 … ich komme!“ May Hope sucht nach ihren Eltern und Geschwistern. Das sechsjährige Mädchen glaubt fest daran, dass ihre Familie bald auftauchen wird – wie so oft zuvor beim gemeinsamen Versteckspiel. Sie hat ein Trauma und kann nicht verstehen, dass sie als Einzige ihrer Familie den Taifun Haiyan im vergangenen Jahr überlebt hat.

In Jakarta habe ich im November 2013 in den Medien die Bilder der Zerstörung auf den Philippinen gesehen. Vier Wochen später treffe ich in Manila einige Mitglieder von PETA, der Philippines Educational Theater Association. Seit Ende der Diktatur 1986 beschäftigt sich die Gruppe verstärkt mit den Themen Natur und Klima, in der Hauptstadt und in den Provinzen. Gemeinsam mit Traumapsychologen haben sie eine Methode erarbeitet, wie sie den Opfern in Krisengebieten mit Mitteln des Theaters helfen können, die physischen und psychischen Fesseln des kollektiven, aber individuell empfundenen Traumas zu durchbrechen.

Mit ausreichend Wasser und Brot im Rucksack reise ich in das Taifungebiet, arbeite dort bei einem Trauma-Theater-Workshop in Bohol mit und schaue mir auf anderen Inseln die Theaterproduktionen des PETA-Netzwerkes an. Eric Divinagracia, künstlerischer Leiter des Little Theater an der Universität San Agustin in Iloilo, lädt mich ein, die Arbeit seiner Gruppe kennenzulernen. Die Universitätsstadt im Süden der Insel Panay ist vom Taifun verschont geblieben, doch der Norden ist stark zerstört. Sobald es möglich war, die abgelegenen Orte zu erreichen, hat das Little Theater Carepakete gepackt, Workshops sowie Theateraufführungen angeboten und sich die Geschichten der Betroffenen angehört.

Auf den nur zum Teil wiederhergestellten Straßen sehe ich während meiner vierstündigen Busfahrt in den Norden die Zufälligkeit des Weges, den der Taifun nahm, und wie sie über Leben und Tod entschied. Im Dorf Sigma treffe ich die Theatergruppe Dagway Sigmahanon. Sie war bis zur Katastrophe aktiv, politisch und sozial, und hat mithilfe ihrer Produktionen in Zusammenarbeit mit der Politik eine Antiplastikkampagne durchgebracht, die vom philippinischen Präsidenten als Vorzeigeprojekt ausgezeichnet wurde. Auf meine Frage, mit welchem Geräusch die Mitglieder Haiyan beschreiben würden, berichten sie von einem alles durchdringenden, angsteinflößenden Zischen, das jede Art von Kommunikation unmöglich machte: „Der Klimawandel hat nun ein Gesicht, und es ist kein freundliches.“ Taifune treffen diese Gegend immer wieder. Doch keiner war je so verheerend wie Haiyan. Er bezog seine Kraft aus der Erwärmung der Oberfläche und Abkühlung der oberen Atmosphäre, hervorgerufen durch den Ozonschwund, so der US-amerikanische Tropensturmforscher Kerry Emanuel. Sigma war einige Tage aufgrund der zerstörten Straßen von der Außenwelt abgeschnitten. Nicht alle Bewohner haben überlebt. Die Theatermitglieder beschreiben, wie sie ihre künstlerische Sprache verloren haben, sie können (noch) nicht über das Erlebte theatral berichten.

Die Arbeit des Little Theater setzt genau hier an. Die Theaterleute geben denjenigen eine Stimme, die sprachlos geworden sind, die im Angesicht des Unaussprechbaren verstummten. In ihrer Produktion „image | a | nation“ gehen sie der Frage nach, wie sich Gesellschaft nach einer Katastrophe neu definieren kann. Die Gruppe dramatisierte und inszenierte die Erlebnisse der Überlebenden, wie die von May Hope und den Mitgliedern von Dagway Sigmahanon. Verbunden sind alle Geschichten durch ein auf der Bühne angedeutetes Dach, Symbol des Schutzes, dessen sich die Opfer nicht mehr sicher sein können.

Die Philippinen sind eines der vulnerabelsten Länder der Erde – auch aufgrund der Folgen des Klimawandels. Diese werden in vielfältigster Form theatral erarbeitet: in kommerziellen Musicals, in Kinder- und Jugendtheaterproduktionen, im traditionellen Tanztheater, im Sprechtheater; das Cultural Center of the Philippines (CCP) in Manila produzierte hierzu ein ganzes Festival. Im Alltag sind neben dem Christentum das Wissen und die Rituale der Schamanen präsent. Häufig greifen die Theaterschaffenden das Traditionelle in ihren Produktionen auf, um damit an den sensiblen Umgang der Menschen mit der Natur anzuknüpfen und diesen zu reaktivieren. Das Theater sieht seine Aufgabe auch darin, die Zuschauer auf die klimatischen Veränderungen vorzubereiten, mit ihren Folgen leben zu lernen und den weltgesellschaftlichen Dialog über das Thema auf lokaler Ebene anzuregen. //

(Natalie Driemeyer)

Die Dramaturgin und Kuratorin Natalie Driemeyer war künstlerische Leiterin des Festivals Odyssee : Klima, das im Juni 2013 am Stadttheater Bremerhaven in Kooperation mit dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und dem Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung stattfand. Im Rahmen einer WELT-KLIMA-THEATER-RECHERCHE-REISE untersucht sie nun, wie Theaterschaffende weltweit die Themen Klimawandel und Nachhaltigkeit sowie das Verhältnis Natur – Mensch in ihren Produktionen erarbeiten.

(zuerst veröffentlicht in „Theater der Zeit“, März 2013)

Foto: Natalie Driemeyer

Featured Image: Natalie Driemeyer


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