Ich kam völlig unbelastet in die Moschee. Ich kannte keine Muslime näher. Aber ich war mir sicher, dass ich Moslem werden wollte. Ich hatte auch schon gelesen, wie das funktioniert: Man muss bloß bezeugen, dass es keinen Gott gibt außer Allah, und dass Mohammed der Gesandte Gottes ist. Das tat ich dann auch vor zwei Zeugen. Und dann war ich drin…“ (Barino B.)
Barino B. wächst auf als ein „ganz normaler“ deutscher Jugendlicher: Mitte der achtziger Jahre wird er in Köln geboren, als Sohn einer deutschen Alt-68erin und eines ägyptischen Einwanderers. Er ist ein guter Schüler, interessiert sich für Naturwissenschaften, aber auch für Literatur und Philosophie. Mit 18 Jahren entscheidet er sich, zum Islam zu konvertieren.
Barino fühlt sich angezogen vom Islam. Diese Faszination kann er zunächst kaum in Worte fassen:
„Ich spüre einen Drang in den Islam, eine wirklich spürbare Faszination. Der Islam ist eine starke Religion. Der Islam weiß, was er will und was er von seinen Mitgliedern zu verlangen hat. Ich bin nicht der einzige, der das empfindet. Viele andere Leute, vor allem die Jugend, spricht das extrem an. Es gibt keine andere Religion, keine andere Ideologie, keine andere Bewegung, die so attraktiv ist für junge Menschen, wie der Islam.“
Der Islam ist eine starke und vor allem einfache Religion: Ein Gott, eindeutige Regeln, eine Wahrheit, keine Zweifel… Genau das Gegenteil von dem, was in seiner Kindheit und Jugend von seinen Eltern und Lehrern propagiert worden war: Dialektik, freier Wettbewerb von verschiedenen Ideen, Akzeptanz unterschiedlicher Werte und Lebensformen, Individualismus…
Karola, seine Mutter: Eine linke Pädagogin, bei den Grünen engagiert, unreligiös, katholisch nur auf dem Papier. Sie hat etwas dagegen, Kinder taufen zu lassen. „Meine Kinder sollten frei aufwachsen, ‚Spiritualität’ vermittelte ich ihnen über gemeinsame Erlebnisse in der Natur, Waldspaziergänge, oder ähnliches…“, erinnert sie sich. An der Universität hatte sie in den späten siebziger Jahren einen Ägypter kennen gelernt. Barino, das mittlere von drei Kindern…
Morris, Barinos Vater: Der studierte Mathematiker, entstammte einer koptisch-orthodoxen Familie – gehörte also der christlichen Minderheit in seinem Heimtatland an – war aber ebenfalls nicht gläubig. Ein Agnostiker vielmehr…
Wie nahmen seine Eltern seine Hinwendung zum Islam auf? Barino erinnert sich:
„Mein Vater war immer ein offener Mensch, der die Einstellung hatte: Mein Sohn soll sich selber seine Religion suchen, oder auch nicht, und damit glücklich werden. Als ich allerdings zum Islam übertrat war er schockiert: Er ließ es sich zwar nicht anmerken, aber er empfand es als eine Katastrophe. Als Ägypter kennt er den Islam und weiß, was der Islam bedeutet. Und nun musste er mit ansehen, wie sein eigener Sohn derselben Ideologie folgt, unter der seine Familie gelitten hatte. Ich kann mir vorstellen, dass das nicht einfach für ihn war…
(…)Auch meine Mutter hatte mir immer gesagt: Ich will Dir keine Religion vorschreiben. Als ich im Islam landete hat sie es zunächst akzeptiert. Später, allerdings, bekam sie Zweifel und die wurden immer größer, als sie sah, in welche Richtung ich mich entwickelte. Und das ging so weit, dass sie mir gesagt hat: Du setzt keinen Fuß mehr in meine Tür…“
Barino war inzwischen 21. Die Kölner Abu Bakr Moschee, die von Kölner Muslimen selbst immer wieder als „Hort der verbotenen Muslimbrüderschaft“ bezeichnet wurde, war zu Barinos geistigem Zuhause geworden: Dort hatte man ihm gesagt, der Koran sei das unverfälschte Wort Gottes. Dort hatte er erfahren, dass er als Muslim keine Sure, keinen Vers, kein Wort weglassen oder filtern dürfe…
Barino hatte sich vertieft in die heiligen Schriften des Islam: in den Koran, in die Hadithen-Sammlung, in die Sunnah, die authentische Tradition des Propheten Mohammed. Er hatte inzwischen arabisch gelernt und konnte fast den gesamten Koran auswendig rezitieren. Nichtislamische Literatur oder Musik verbannte er nach und nach aus seinem Leben. Mit 22 ist sein Prozeß der Radikalisierung abgeschlossen:
„Mein Leben bestimmt der Koran, 24 Stunden am Tag. Ich gehe mit dem Koran schlafen, ich träume vom Koran, ich wache mit dem Koran auf. Wenn ich zur Arbeit fahre (Barino hatte inzwischen eine Ausbildung bei einer Versicherung angefangen; Anm. des Verf.) höre ich Koranrezitationen im Auto…“
Barino lässt sich in allen Lebensbereichen von den islamischen Geboten und Verboten leiten. Er betet fünf Mal am Tag in der vorgeschriebenen Weise, pünktlich zur vorgeschriebenen Zeit in die vorgeschriebene Richtung. Er fastet zu den vorgeschriebenen Anlässen. Er trinkt keinen Alkohol und isst kein Schweinefleisch… Alle Handlungen, in allen Bereichen des Lebens, teilt er inzwischen ein – in „haram“ (verboten) oder „halal“ (erlaubt). Die Anleitungen dazu sucht und findet er in den Quellen des Islam.
Barino empfindet das als beruhigend. Es erspart ihm Auseinandersetzungen mit sich selbst: In den Quellen findet er eindeutige Antworten auf Fragen wie: Ist es einem Moslem erlaubt, eine Ungläubige zu heiraten? Wie begrüßt man als Moslem einen Ungläubigen? Mit ‚salam aleikum’, etwa? Ist das Tragen eines Barts schön? Wann und wie sollten sich Schwestern verschleiern? Muss der Djihad unter Umständen mit Waffengewalt geführt werden? Sind Freundschaften zu Nichtmoslems haram? Oder etwa halal?
Sein Studium der heiligen Bücher führt ihn zu folgendem Schluss: Als Moslem sollten man den Umgang mit Andersgläubigen meiden:
„Wenn ich mich auf den Koran beziehe, dann befürchte ich, dass ich Sünden begehe, wenn ich mit Nichtmoslems Freundschaften pflege. Das ist begründbar durch viele Stellen aus dem Koran, zum Beispiel Vers 51 in der fünften Sure. „Oh, die ihr glaubt! Nehmt nicht Juden und Christen zu Freunden…“
Und so reduziert Barino seine Kontakte und Beziehungen zu Ungläubigen „auf ein Mindestmaß“…
In den Quellen findet er Vorschriften, die den Gläubigen befehlen, auf die Einführung des islamischen Rechts hinzuwirken:
„Das Händeabhacken von einem Dieb, das Steinigen von Ehebrechern, das Auspeitschen von Homosexuellen – das sind alles Gesetze, die festgeschrieben sind in der Sharia, da gibt es nichts dran zu rütteln, aber in der Gesellschaft, wie sie heute – noch – in Deutschland ist, kann die Sharia noch nicht ausgeführt werden. Aber das ist eigentlich mein Ziel als Moslem, das zu verändern…“
Barinos Studium der Sunnah und des Korans führen Barino zu folgendem Schluß: Gewalt schließen sich nicht aus. Im Gegenteil:
„Der Kampf ist allen echten Moslems vorgeschrieben. Das ist begründbar durch Koranverse wie 2.216 ‚vorgeschrieben ist euch der Kampf’. Also, dass für Allah zu sterben das Schönste ist, was einem Moslem passieren kann, darüber gibt es überhaupt keinen Zweifel. Diejenigen, die auf Allahs Weg töten oder getötet werden nehmen die höchste Stellung im Paradies ein!“
————————————–
Hintergrund
2008: Barino ist 23. Ein Jahr zuvor war eine Fernsehdokumentation über Barinos Weg in den radikalen Islam veröffentlicht worden („Koran im Kopf“, WDR-Fernsehen, Ein Film von Antonio Cascais; Erstausstrahlung 6.8.2007). Die Staatsanwaltschaft Köln hatte darauf hin ein Ermittlungsverfahren gegen Barino eröffnet, wegen eines möglichen Verstoßes gegen § 140 StGB (öffentliches Gutheißen von Gewalttaten). Barino hatte im Fernsehen die Tat der sogenannten Kofferbombenattentäter von Köln, junge Männer aus dem Umfeld seiner Abu Bakr Moschee, mit den folgenden Worten kommentiert: „Was die Kofferbomber angeht, (…) die tun mir ein bisschen Leid, weil sie versuchen einfach, ihre Religion so auszuleben, wie sie die Religion verstanden haben und fürchten eben nicht die Ungläubigen…“
Das Verfahren wurde eingestellt.