Die britische Justiz will Anklage gegen folternde Vernehmungsoffiziere erheben – vielleicht. In drei Fällen wurden der Staatsanwaltschaft jetzt Beweise übergeben. Sie muss nun entscheiden, ob diese Beweise für eine Anklage wegen Kriegsverbrechen ausreichen. Gegen mehrere weitere Offiziere wird noch ermittelt.
Die Beweise wurden von der Militärpolizei vorgelegt, die eine Kommission mit dem Namen „Iraq historical allegations team“ (IHAT) gebildet hat. Diese „historischen Anschuldigungen“, die eine Untersuchung der Militärpolizei ergeben hat, gehen aus einer Klage des Anwalts Phil Shiner hervor. Shiner vertritt 222 ehemalige irakische Gefangene, die nach eigenen Angaben im britischen Gewahrsam gefoltert worden sind.
Shiner verlangt eine öffentliche Untersuchung. Die lehnt das Verteidigungsministerium ab. Es sei reine Geldverschwendung, denn erstens seien die Vorwürfe nicht bewiesen, und zweitens stelle man ja seine eigenen Untersuchungen an, sagte ein Sprecher des Ministeriums. Die Tatsache, dass drei Offiziere aufgrund dieser Untersuchungen möglicherweise angeklagt werden, sei Indiz genug, dass nichts vertuscht würde. Allerdings sei zu befürchten, dass im Falle einer Anklage die Moral der Truppe Schaden nehmen würde, sagte der Sprecher.
Für Shiner ist es ein Unding, dass die Untersuchung dem Kommandeur der Militärpolizei unterstellt wird. Schließlich sei eben dieser Kommandeur für die Verhaftung, wenn auch nicht für die Verhöre, seiner 222 Mandanten verantwortlich gewesen. „Eine Untersuchung des Militärs durch das Militär verstößt gegen die Europäische Menschenrechtskonvention“, sagt er.
Die ehemaligen Gefangenen gaben an, dass sie ausgehungert und mit Schlafentzug bestraft wurden, dass sie sich vor Soldatinnen nackt ausziehen und sich pornografische Filme ansehen mussten, dass sie von den Verhöroffizieren mit Exekution bedroht und mit Holzknüppeln verprügelt wurden, während ihnen die Augen verbunden waren, und dass sie regelmäßig sensorischer Deprivation durch Ohrenstöpsel und geschwärzte Taucherbrillen ausgesetzt waren.
Eine Videoaufnahme zeigt das Verhör eines 30-jährigen Mechanikers namens Hanif im berüchtigten britischen Militärstützpunkt Shaiba südwestlich von Basra im April 2007. Die Soldaten versuchen, ihn zum Geständnis eines Mörserangriffs auf den Stützpunkt wenige Tage zuvor zu bewegen. Hanif bestreitet das. Auf die Frage, warum er nicht stillstehe, antwortet Hanif, dass er krank sei und Rückenschmerzen habe.
Der vernehmende Offizier sagt: „Gut, das freut mich. Ich hoffe, du stirbst an Krebs. Ich hoffe, deine Kinder sterben.“ In einem weiteren Verhör sagt der Offizier: „Wenn du nicht gestehst, verhaften wir alle deine Brüder, und sie wandern für immer ins Gefängnis. Du wirst sie nie wiedersehen. Deine Mutter und deine Frau werden vergewaltigt.“ Nach sieben Monaten entließ man Hanif ohne Anklage.
Die Beweismittel haben die Soldaten selbst geliefert: Sie haben sich offenbar gegenseitig beim Foltern gefilmt. Die Militärpolizei hat insgesamt 1.253 Film- und Tonaufzeichnungen beschlagnahmt. Warum die Soldaten die Aufnahmen gemacht haben, konnte das Verteidigungsministerium nicht erklären. Viele Exgefangene sagen, dass die Kamera bei den schlimmsten Folterungen gar nicht eingeschaltet war.
Aber haben die Offiziere überhaupt gegen die Richtlinien verstoßen? Im Oktober ist ein Video veröffentlicht worden, dass zur Ausbildung des Vernehmungspersonals in einer Kaserne im englischen Bedfordshire eingesetzt wird. Dort wurden dem Militär die Verhörmethoden für den Einsatz im Irak beigebracht: Ziel sei es, die mutmaßlichen Terroristen in Angst und Unsicherheit zu versetzen und sie zu desorientieren. Die Mittel dazu seien Drohungen, sensorische Deprivation, Demütigung. In einem Ausbildungslehrbuch heißt es, sensorische Deprivation sei rechtmäßig, wenn es dafür stichhaltige operative Gründe gebe.
„Lasst sie sich ausziehen. Lasst sie nackt stehen, falls sie keine Anordnungen befolgen“, steht in dem Buch. In einer älteren Ausgabe von 2008 wird dem Militär empfohlen, für „physische Unannehmlichkeiten“ zu sorgen – durch Einschüchtern, Schreien, Fluchen, Drohen und Auf-kurze-Distanz-in-die-Augen-Starren. Das Verteidigungsministerium hat also nicht nur Techniken entwickelt, die gegen internationale Gesetze verstoßen, sondern auch eine Menge Geld ausgegeben, um die Leute auszubilden, eben das zu tun.
Für das Ministerium könnte eine öffentliche Untersuchung deshalb recht ungemütlich werden. Will man nun drei Offiziere anklagen in der Hoffnung, dass das Thema dann vom Tisch ist? Eine Verurteilung wegen Kriegsverbrechen wäre allerdings nahezu beispiellos. Lediglich im Fall Baha Mousa gab es einen Schuldspruch. Der 26-jährige Hotelangestellte war 2003 von Soldaten des Lancashire-Regiments in Basra verhaftet und verhört worden. Wenige Tage später war er tot. Die Autopsie stellte 93 Verletzungen fest.
Sechs Soldaten wurden 2007 vom Vorwurf der Gefangenenmisshandlung freigesprochen, lediglich beim 35-jährigen Unteroffizier Donald Payne lautete das Urteil auf schuldig, weil er die Misshandlungen gestanden hatte. Er ist der erste britische Soldat, der wegen Kriegsverbrechen verurteilt wurde. 2007 erhielt er eine Gefängnisstrafe von einem Jahr und wurde aus der Armee entlassen.
Die meisten Foltertechniken, die von den irakischen Exgefangenen beschrieben werden, hat das britische Militär bereits in den 1970er Jahren in Nordirland angewandt. Die Europäische Menschenrechtskommission fand Großbritannien damals der Folter und der erniedrigenden Behandlung von Gefangenen schuldig. Auch „Waterboarding“, die Foltermethode des simulierten Ertränkens, gab es damals schon.
Liam Holden aus Belfast war der letzte Angeklagte in Großbritannien, der 1973 wegen Mordes an einem Soldaten zum Tode verurteilt wurde. Das Urteil wurde später in „lebenslänglich“ umgewandelt, Holden saß 17 Jahre ab. Er beteuerte stets, dass er das Geständnis nur wegen des „Waterboardings“ abgelegt habe. Weil dafür inzwischen auch Aussagen anderer Opfer vorliegen, ist der Fall ans Berufungsgericht zurückverwiesen worden.