25. Mai 2008 | Interkulturalität

Lachen über Differenzen

von Thomas Schmeckpeper. Köln


Welche Rolle spielt der Humor, wenn Kulturen aufeinander treffen? Offenbart, verschärft oder beseitigt er Differenzen? Ist er autonom oder durch religiöse Tabus einschränkbar?

Lesezeit 7 Minuten

Er vergnügt, unterhält, lockert auf. Er durchbricht Grenzen, beseitigt Schweigen, löst Verlegenheit. Aber er kränkt auch, polarisiert, provoziert, entlädt, bemächtigt, schwächt, setzt Argumente außer Kraft, tötet zuweilen. Ja, er hat Macht. Und trotzdem wissen wir wenig über seine Herkunft und Bedeutung. Zu klein und flink ist dieser Fisch namens „Humor“ für das grobmaschige Fangnetz unserer Wissenschaften. Ähnlich der Ästhetik entzieht er sich unserer Ratio, obwohl er sie tagtäglich beansprucht und fordert. Gerade im Umgang mit dem anderen… 

Als ambivalent lässt sich das Verhältnis des Abendlandes zum Humor beschreiben. „Selig, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen“, heißt es in der Bibel (Lk 6,17) und die Botschaft ist unmissverständlich. Lachen und die mit ihr verbundene Lust sind Teil der menschlichen Erlösung und die findet bekanntermaßen erst mit dem Eintritt in das Jenseits statt. Ja, Geschichten wie die der Sinnflut, von Sodom und Gomorrha und natürlich der Geißelung und Kreuzigung Jesu Christi lassen nicht viel Platz für Humor. Aber ist Humor nicht doch, wenn man trotzdem drüber lacht?

In Umberto Ecos Buch „Der Name der Rose“ gerät der Mönch Jorge von Burgos in Panik als er herausfindet, dass das einzige Exemplar der aristotelischen „Poetik“ sich in der Bibliothek befindet, die er zu verwalten hat. Seine Panik begründet sich in dem Glauben, eine mögliche Veröffentlichung von Aristoteles Rechtfertigung und Lob des Lachens führe den Menschen vom gottgefälligen Leben ab. Es bagatellisiere die Sündhaftigkeit und Beschränktheit menschlichen Lebens und verringere die Furcht vor dem Teufel. Es ist fraglich, ob der Mönch tatsächlich so sehr von seinem Glauben behaftet war oder ob er nicht doch erkannt hat, dass nicht die göttliche, sondern gerade die menschliche Autorität sich vor dem Lachen fürchten muss.

Auch das Eingeständnis der katholischen Kirche, den Karneval in den Festtagskalender zu integrieren, erinnert mehr an Bismarcks Worte von „Zuckerbrot und Peitsche“ als an eine göttliche Absegnung des Humors. Nachdem auch die Aufklärung den Humor als Widersacher der logischen Argumentation und Ernsthaftigkeit brandmarkte – Lachen in der französischen Nationalversammlung war verboten! -, rehabilitierte er sich zunehmend in Form eines gesellschaftspolitischen Werkzeuges für die Liberalisierung und Demokratisierung des Staates. Kabaret und Karikaturen sind Ausdrucksformen der demokratischen Basis und aus dem heutigen politischen Leben nicht mehr wegzudenken. 

Und wie sieht’s in der muslimischen Welt aus? Überwiegt dort tatsächlich das humoristische Unvermögen, das viele in den Reaktionen auf den Karikaturenstreit im Jahre 2005 erkannt haben wollen? Auf jeden Fall bekannt ist eine besondere Form des Spaßes, von der wir bereits hörten. Gemeint ist der „Heidenspaß“. So heißt es im Koran, dass das Lachen der Ungläubigen, die im Diesseits sich ihrer materiellen Güter erfreuen, ihnen im Jenseits vergehen werde (Sure 83, 29-35). Ist das Nadelöhr der Ungläubigen tatsächlich so klein, als dass es das Zwerchfell nicht weiter kontrahieren lassen könnte? Auch hier wird dem Lachen eine recht eigene Konnotation zu Teil. Zum einen ist es Ausdruck des Kräfteverhältnisses. Der mächtige Ungläubige spottet gegenüber dem Gläubigen, welcher seine Macht und sein Glück erst im  Jenseits erhalten kann. Zum anderen wird materieller Luxus als von Gott gehasst suggeriert. Die Lustigkeit des Ungläubigen als Narrheit.  

Laut Georges Tamer, Professor für Arabistik an der Ohio State University, finden in der Hadith-Literatur, einer Sammlung von Sprüchen und Verhaltensweisen des Propheten Mohammed, „humoristische Formen breitere Beachtung als im Koran“. Widersprüchlich seien die Angaben über den Propheten und seinem Verhältnis zur Lustigkeit. So gäbe es zum einen den ernsthaften Menschen Mohammed, dessen Vorbild sich vor allem asketische Bewegungen, welche das Lachen kritisieren und zur Affektbeherrschung aufrufen, bedienen. Ebenso werden aber auch Geschichten erzählt, „in denen der Prophet Witze machte, mit seinen Enkelkindern spielte, das Singen zuließ und Gläubigen an Festtagen in der Moschee zu spielen erlaubte.“ Ein Problem, das auch die Christenheit kennt: Hat Jesus gelacht? War er humorvoll? Hat er Witze erzählt? Und überhaupt, ist Gott eigentlich lustig? Findet er es nicht auch komisch, wenn ich über ihn lachen kann?

Witze in der muslimischen Welt, in denen Aspekte des religiösen Lebens so wie das Fasten oder das Pilgern humorvoll beleuchtet werden, sind durchaus gängig. Auch Witze über unfromme Suffis und Lügenpropheten seien durchaus keine Seltenheit, so Tamer. Selbst der Koran ist des Öfteren Gegenstand von Witzen, wird jedoch nie zum eigentlichen Ziele des Spotts. Selbiges gilt für den Propheten Mohammed als auch für Allah selbst. Witze über religiöse Normen des Islams präsentieren eine gewisse Toleranz, indem sie auf übertriebene Provokation und Aggressivität verzichten. Aber auch sie finden ihre absolute Tabugrenze an den eben genannten Punkten.

Nun, unabhängig davon, ob Mohammed und Jesus nun lustig waren oder nicht,  liegt die Entscheidung beim Gläubigen alleine, ob und inwiefern er seine transzendentalen Vorstellungen und Beziehungen mit Humor schmücken möchte. Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber behauptete hierzu: „Glaube alleine führt zur Bigotterie, Humor alleine zum Zynismus. Erst die Mischung aus beidem gibt dem Menschen das richtige Gleichgewicht, mit dem das Leben zu bestehen ist.“ Ein konfuzianisch anmutender Vorschlag, dessen Konsequenzen nicht deutlich genug abgesteckt sind. Wie hat diese Mischung auszusehen? Welches Maß an Humor brauche ich, damit der Glaube zu seinem Gleichgewicht findet? Wie weit darf der Humor es mit dem Glauben treiben bzw. wie weit darf mein Humor es vor allem mit dem Glauben des anderen treiben? Ist mir mein Gott böse, wenn ich über einen anderen Gott lache, vor ihm drohend meine Zähne fletsche, mir auf seine Kosten einen „Heidenspaß“ mache?

Humor hat Macht. Er wird schnell zu einer Waffe, die, je nachdem wohin der Lauf gerichtet wird, erhebliche Differenzen schaffen kann. Aber kann er auch zu einer Waffe werden, die Differenzen beseitigt?

Genau genommen bedarf er sogar der Differenzen. Denn er ist nicht nur kontextabhängig, sondern auch von mindestens zwei beteiligten Seiten abhängig. Und verschiedene Seiten unterscheiden sich durch Differenzen. Oft schützt Humor vor Differenzen bzw. hilft, mit ihnen umzugehen. Tamer berichtet von Witzen, in denen Libanesen syrische Soldaten während der Zeit der syrischen Militärpräsenz zu Witzfiguren machten. Auch ist die Rede von Witzen der Palästinenser über ihre Situation; Humor als Instrument der Verteidigung. Zwar kann der abstrakte, zugespitzte, offensiv verstandene, doch eigentlich defensive Charakter eines Witzes Resignation ausdrücken, was ihn aber vor allem ausmacht, ist Ehrlichkeit. Ehrlichkeit, die ihr Ventil im Humor sucht. Und genau hier liegt die Chance des Humors im Bezug auf das Zusammenleben von Menschen verschiedener kultureller Prägung, denn das unabdingbare Verständnis der Kultur des anderen braucht gegenseitige Ehrlichkeit. Hier kann der Humor ein Refugium der Ehrlichkeit bieten, das darauf angewiesen ist, von jeglicher Form der politischen Instrumentalisierung rein gehalten zu werden. So war auch der Karikaturenstreit kein Zeichen von Humorfeindlichkeit, sondern ein reines Politikum, das zu einem gezielt geförderten Forum für Protestfreudige und nicht für Humorfeindliche wurde.

Wagen wir einen kleinen Blick über den Großen Teich. Dort, im gebeutelten New York, hat sich eine junge Standup-Comedienne etabliert, die sich ihrem Publikum gerne mit dem Spruch „Hi, ich bin eine muslimisch-palästinensische Jungfrau aus New Jersey mit Kinderlähmung“ vorstellt. Die Rede ist von Maysoon Zayid. Die 30jährige spielt mit sich selbst, mit ihren Problemen – die Vorstellung ist durchaus ernst gemeint – und aber vor allem mit den Ängsten ihres Publikums, denn auch, was den 11. September angeht, nimmt sie durchaus kein Blatt vor den Mund. Sie berichtet von den Konsequenzen ihrer Kinderlähmung und ihren Problemen beim Check-In am Flughafen. „Ich hasse Fliegen. Wenn die mich an der Sicherheitskontrolle sehen, sehen sie nur eine zitternde Araberin und denken sofort: Die hat eine Bombe im Koffer.“ Ausflüge in die amerikanische Politik sind gewollt und erlaubt. Ihre Meinung zur First Lady Laura Bush: „Ich möchte die Pillen kriegen, die die kriegt. Die ist immer so ein happy motherfucker!“ Und auch der eigene Vater muss mal herhalten: „Mein Vater sieht aus wie Saddam Hussein. Aber er heißt Moses. Ein Araber namens Moses. Das bringt Juden zur Weißglut.“ Das Publikum, überwiegend Araber und Juden, ist begeistert. Ein Vorbild für Deutschland?

Auch bei uns wächst ein Forum heran, das sich der interkulturellen darstellenden Kunst widmet und dem Humor dabei genügend Spielraum lässt bzw. ihm als den Pinsel, der das Bild der Interkulturalität malt, freien Lauf lässt. Die Kabarettisten Kaya Yanar und Bülent Ceylan sind nur einige Beispiele. Sie bieten mit ihren Performances eben jenes Refugium der Ehrlichkeit, das dem Zwerchfell erlaubt, Wahrheit(en) auszutauschen. Ihre Erfahrungen aus verschiedenen Kulturkreisen erlauben ihnen das Einschlüpfen in multiple Persönlichkeiten, die sich wiederum nicht auf ein Klischee beschränken, sondern ein größeres Sortiment an Ängsten, Vorurteilen und Kategorisierungen karikieren.

Es war Aristoteles, der das Drama in seiner „Poetik“ in die Tragödie und die Komödie unterteilte. Das zum Staatskult erklärte Drama hatte in der griechisch-antiken Welt drei maßgebliche Funktionen. Es sollte das Bedürfnis der Gesellschaft nach Kritik, Rausch und Reinigung befriedigen. Die gesellschaftliche Kritik wurde in Form von Dialogen von den Autoren formuliert. Die Festspiele fanden im Zuge des Dionysos-Kults statt. Dem Fruchtbarkeitsgott zu Ehren fanden Trinkgelage statt, frei nach dem Motto „Was schluckst Du?“. Für uns aber von besonderem Interesse und einer näheren Erläuterung bedürftig, ist der kathartische, reinigende Charakter des Dramas. Die Protagonisten der Bühne dienten als Identifikationspotenzial. Ihre Handlungen wurden so überspitzt dargestellt, dass der Zuschauer animiert wurde, mit den Darstellern über ihr Schicksal zu weinen oder eben über ihr Schicksal zu lachen. Durch dieses emotionale Miterleben, sollte der Zuschauer von genau diesen Gefühlen gereinigt werden. Er hat sie im Theater ausgelebt und nimmt sie nicht mit nach Hause, wo der Nachbar Ziel nicht ausgelebter Emotionen werden könnte.

Weinen und Lachen sind in den meisten Fällen Affekthandlungen. Sie kommen spontan und ehrlich und vermitteln auf eine unmissverständliche Art und Weise Mitgefühl oder Unverständnis. Kulturen, die aufeinander treffen und einander verstehen wollen, brauchen diese Art der vermittelnden und zugleich entladenden Kommunikation. Und der größte Fehler ist, sie zu verteufeln. Denn, so muss auch der Mönch William von Buskervilles im Disput mit Jorge von Burgos feststellen, „der Teufel ist nicht der Fürst der Materie, der Teufel ist die Anmaßung des Geistes, der Glaube ohne ein Lächeln, die Wahrheit, die niemals vom Zweifel erfasst wird.“


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