29. Dezember 2010 | Julian Assange ist nicht Bin Laden

Im Zweifel für die Aufklärung

von Christian Ströbele (taz). Berlin


Hätten die Hacker ein Komplott gegen die USA aufgedeckt, sie wären Helden. Die Hetze gegen sie erinnert verdammt an die Zeiten unter McCarthy.

Lesezeit 4 Minuten

Ich hab auf die Wikileaks-Veröffentlichungen nur gewartet. Natürlich ist nicht alles neu: Dass Korruption auch in der Karsai-Regierung blüht, weiß jeder, der sich mit Afghanistan beschäftigt. Auch, dass von Regierungsmitgliedern kofferweise Dollars halblegal und in bar ins Ausland verbracht werden, stand schon in der Zeitung.

Aber dass eine US-Botschaft unter Berufung auf die US-amerikanische Drogenbekämpfungsbehörde vertraulich an das Foreign Office meldet, der Exvizepräsident von Afghanistan habe bei einer Reise nach Arabien 52 Millionen Dollar Bargeld außer Landes geschleust, das ist doch eine wichtige Information. Und dass nach US-Botschaftsberichten arabische Potentaten die USA regelrecht zum Krieg gegen den Iran und zum Angriff auf dessen Präsidenten, den sie doch gerade erst mit großen Ehren empfangen und umarmt hatten, gedrängt haben, auch das ist neu und durchaus von Interesse.

Es geht schlicht um Aufklärung

Die Bevölkerung dieser Länder hat ein Recht zu erfahren, wie sie systematisch von ihren Regierungen belogen wurde und wie der Vizestaatschef von Afghanistan an so viel Geld kam. Die Veröffentlichung solcher Dokumente dient der Unterrichtung und Meinungsbildung in der arabischen Welt oder in Afghanistan, aber auch hier bei uns. Schließlich sind wir in diesen Ländern nicht nur finanziell stark engagiert.

Es mag sein, dass die, die in den Botschaftsmeldungen genannt werden, jetzt Probleme haben, sich zu erklären. Aber dass alles falsch ist, was gemeldet wurde, habe ich weder aus den US-Botschaften oder von der US-Regierung noch von irgendwelchen Präsidenten oder Scheichs gehört. Und niemand bei uns oder in den USA käme auf die Idee, den Bruch diplomatischer Geheimhaltung zu geißeln, wenn öffentlich würde, wie andere Regierungen heimlich gegen die USA und deren Präsidenten hetzten und zum Krieg aufriefen. Die, die solche Informationen für alle Welt offenlegen, würden vermutlich als mutige Aufklärer geehrt, die mit ihren Enthüllungen dazu beitragen, einen Krieg zu verhindern oder Korruption zu bekämpfen.

Die undiplomatischen Kommentare zu Politikern, Abgeordneten und Regierenden vieler Länder mögen manchmal entbehrlich oder gar ärgerlich sein. Aber die Prinzessin von Monaco oder der Prinz aus dem Buckingham Palace müssen sich noch ganz anderes gefallen lassen, sogar Berichte ihres Liebesgeflüsters am Telefon. Die Veröffentlichung von Personalien ist der Preis der Pressefreiheit. Viele Leser lesen so etwas zuerst. Wikileaks und sein Chef Assange können sich in Deutschland auf den Schutz der Meinungs- und Pressefreiheit berufen. Das Internet gehört zu den modernen Medien. Sie genießen den Schutz des Grundgesetzes wie jedes Lokalblatt. Das ist eigentlich selbstverständlich.

Wikileaks handelt legal

In der Diskussion darüber, wer eigentlich Journalist ist und wer sich im Strafprozess auf den Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Presse und privaten Informanten berufen darf, gibt es seit 2002 eine neue Definition, die die neuen Instrumente und neuen Medien einbezieht: „Personen, die bei der Vorbereitung, Herstellung und Verbreitung von Druckwerken, Rundfunksendungen, Filmberichten oder der Unterrichtung und Meinungsbildung dienenden Informations- und Kommunikationsdiensten berufsmäßig mitwirken, sind zur Zeugnisverweigerung berechtigt. Dies gilt, soweit es sich um Beiträge, Unterlagen, Mitteilungen und Materialien für den redaktionellen Teil oder redaktionell aufbereitete Informations- und Kommunikationsdienste handelt.“ So haben wir es der durch Artikel 5 des Grundgesetzes verbürgten Pressefreiheit entnommen und ins Gesetz geschrieben.

Wikileaks arbeitet Dokumente zur Veröffentlichung auf. Manche bleiben unveröffentlicht, manchmal werden Klarnamen und Gesichter verpixelt. Ich kenne keinen Fall, bei dem der Kernbereich der privaten Lebensführung verletzt oder Personen akut gefährdet wurden. Wikileaks trägt damit die gleiche Verantwortung wie Bild, Spiegel und Süddeutsche, wenn diese Interna der deutschen Geheimdienste oder aus dem geheimen Nato-Bericht zur Bombardierung im afghanischen Kundus veröffentlichten.

Was wir noch wissen müssen

In der öffentlichen Diskussion wird oft gefragt, wer denn Wikileaks bei der Auswahl kontrolliere. Natürlich niemand. Es sind die Mitarbeitenden selbst, die abwägen müssen zwischen Informationsinteresse und etwa dem Schutz der Privatsphäre oder Gefahren für Personen durch Aufdeckung eines Skandals. Und sie müssen verantworten, was sie tun, wie andere Journalisten auch. Zwar nicht vor dem Presserat, jedenfalls noch nicht. Aber das Gesetz setzt auch diesem Teil der Vierten Gewalt seine Grenzen. Dessen Einhaltung kontrollieren auf Antrag Gerichte, wie bei jeder Zeitung, Illustrierten oder TV-Sendung auch.

Die aktuelle Verfolgungshysterie in den USA gegen Assange und jeden, der Wikileaks gutheißt, verteidigt oder auch nur liest, erinnert verdammt an den Vorwurf unamerikanischer Umtriebe unter McCarthy, dem Meister des Rufmords, in den Fünfzigerjahren zu Hochzeiten des Kalten Kriegs. Frau Palin will sie jagen wie al-Qaida. Wer so redet wie sie oder Senator Liebermann, ist nicht mehr ernst zu nehmen. Denn Julian Assange ist nicht Bin Laden, und Wikileaks gehört nicht zur Achse des Bösen. Wenn die ganze US-Regierung, unterstützt von zahlreichen Anwaltskanzleien, wochenlang vergeblich nach einem Gesetz sucht, gegen das Assange verstoßen haben könnte, dann gibt es wohl keines.

Deutsche Politiker – vor allem diejenigen, die in den Botschaftsmeldungen der US-Diplomatie nicht erwähnt werden – und leider auch viele Medienvertreter üben sich jedoch schon wieder in jenem Konformismus, wie er aus den USA vorgegeben wird.

Nach Wikileaks-Dokumenten übte die US-Diplomatie 2007 Druck aus, um die Vollstreckung der Haftbefehle gegen CIA-Agenten zu verhindern, die den Deutschen El Masri entführt hatten. In diesem Skandal gibt es noch viel zu enthüllen. Nicht nur deshalb warte ich gespannt auf Neues aus dem Paket mit den 250.000 Dokumenten.

Profil: taz – die Tageszeitung

Weitere Infos: www.gruene.de



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