3. August 2009 | Afrikastudien

Das Schicksal zähmen

von Christian Wißler. Universität Bayreuth


Elísio Macamo, Mitarbeiter für Entwicklungssoziologie an der Universität Bayreuth, entwickelt in seiner Habilitationsschrift einen neuen Ansatz, der Afrikastudien und sozialwissenschaftliche Risikoforschung miteinander verbindet. In Feldstudien, die in Mosambik entstanden sind, bricht er das eurozentrische Vorurteil auf, eine moderne Risikoforschung sei nur auf wissens- und technikbasierte Gesellschaften des Westens anwendbar.

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Bis heute ist in der Soziologie die Ansicht verbreitet, der Begriff des Risikos sei nur für die Analyse wissens- und technikbasierter Gesellschaften geeignet. In Afrika hingegen seien irrationale Orientierungen viel stärker präsent; hier ließen sich soziale Prozesse mit modernen Konzepten der Risikoforschung nicht erschließen. Diese Auffassung will Dr. habil. Elísio Macamo, Mitarbeiter am Lehrstuhl für Entwicklungssoziologie der Universität Bayreuth, mit Nachdruck überwinden. Seine Habilitationsschrift mit dem Titel „The Taming of Fate: Approaching Risk from a Social Action Perspective – Case Studies from Southern Mozambique“ entwickelt einen neuen Ansatz, der Afrikastudien und sozialwissenschaftliche Risikoforschung miteinander verbindet.

Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist der Begriff des sozialen Handelns. Soziales Handeln bedeutet, dass Menschen ihre natürliche und gesellschaftliche Umwelt, insofern diese den Bezugspunkt ihres Denkens, Erlebens und Handelns bildet, aktiv mitgestalten. Die Menschen entwerfen dabei situationsspezifische Handlungsmuster und langfristige Strategien, die es ihnen ermöglichen, auf gefährliche Szenarien effektiv zu reagieren. Sie entwickeln Routinen im Umgang mit Bedrohungen, die sie genau dadurch als kalkulierbare Risiken in ihr Lebensumfeld integrieren. Macamo bezeichnet diesen Vorgang, anknüpfend an Niklas Luhmann und Ulrich Beck, als eine Umwandlung unspezifischer Bedrohungen in Risiken. Die Menschen bringen dabei einen Orientierungsrahmen hervor, auf den sie sich auch in der Zukunft verlassen wollen, wenn es um die Interpretation und die erfolgreiche Bewältigung von Risiken geht. Soziales Handeln ist so die Quelle für eine kreative Regulierung und Normalisierung eines von Unsicherheit bedrohten Alltags. In diesem Sinne ermöglicht soziales Handeln, wie Macamo es im Titel seiner Habilitationsschrift ausdrückt, „die Zähmung des Schicksals“.

Von der Theoriebildung zur Feldforschung

Dr. habil. Elísio Macamo setzt sich sowohl mit Klassikern der Soziologie (Max Weber und Emile Durkheim) als auch mit neueren Positionen der Gesellschaftstheorie (Anthony Giddens u.a.) auseinander, wenn er diese Konzeption sozialen Handelns theoretisch entfaltet. Auch Ansätze der Sozialphilosophie, der Geschichtswissenschaft und der Ethnologie bezieht er dabei mit ein.

Die Originalität und Erklärungskraft seiner Herangehensweise bewährt sich in Feldstudien, die in Patrice Lumumba – einer ländlich geprägten Stadtrandgemeinde im südlichen Mosamik – entstanden sind. Diese Studien untersuchen das soziale Handeln der Bevölkerung im Kontext von Gefährdungen, Naturkatastrophen und Kriegserfahrungen. Dabei hat Macamo eine Vielzahl von Methoden der empirischen Sozialforschung erprobt. Er konnte alle Gespräche und Interviews in seiner Muttersprache Tsonga führen, einer Bantusprache, die im südwestlichen Mosambik weit verbreitet ist. Seine Feldstudien sind daher Pionierarbeiten einer lokalen Afrikaforschung, die verschiedenartige Zugänge zur Lebenswelt der Bevölkerung vereinen: den methodisch bewussten Einsatz sozialwissenschaftlicher Analyseinstrumente, eine ausgeprägte lokalsprachliche Kompetenz und eine hierdurch gestärkte kulturelle Empathie.

Soziologische Regionalstudien in universaler Perspektive

Dr. habil. Elísio Macamo wurde 1964 in Mosamik geboren und hat insbesondere in Großbritannien, Portugal und Deutschland wissenschaftlich gearbeitet. In seinen Feldstudien bricht er das eurozentrische Vorurteil auf, eine moderne Risikoforschung sei nur auf rational organisierte Gesellschaften des Westens anwendbar. Dabei ist er sich der höchst unterschiedlich geprägten Lebensverhältnisse in Afrika und Europa bewusst. Gleichwohl gibt es seiner Überzeugung nach

kultur- und gesellschaftsübergreifende Basisstrukturen, die den Umgang der Menschen mit Bedrohungen und Risiken prägen. In dieser anthropologischen Perspektive sind Katastrophen, die den Menschen in Afrika widerfahren, nicht Extremereignisse in exotischen, prinzipiell anders gearteten Lebenswelten. Es handelt sich vielmehr um regional bedingte Ausprägungen einer Unsicherheit, die einen unaufhebbaren Bestandteil der conditio humana bildet.

Mit seinen Überlegungen zur Theorie des sozialen Handelns eröffnet Macamo Wege für regionalwissenschaftliche Fallstudien, die zeigen, wie Menschen – aus ihren jeweiligen Unsicherheitserfahrungen heraus – neue, auf Verlässlichkeit angelegte Kontexte ihres Denkens, Erlebens und Handelns hervorbringen. Er vertraut dabei auf eine „universale Grammatik der menschlichen Kreativität“. Seine Habilitationsschrift ist daher nicht allein ein innovativer Beitrag zur Afrikaforschung.

Sie ist zugleich ein metawissenschaftlicher Entwurf, der darauf abzielt, die universale Anwendbarkeit soziologischer Theoriebildung zu begründen.


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www.uni-bayreuth.de/blick-in-die- forschung/10-2009.pdf. Link veraltet. 4.4.24


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