20. Mai 2008 | Interkulturalität

Islam in den Medien

von Kai Hafez. Erfurt


Islam wird gerne gleichgesetzt mit Islamismus. Auch die Medien, deren Auftrag es doch sein sollte unbefangen und uneingenommen zu berichten, nehmen es hier gerne mal nicht so genau. Der Islam wird oft als etwas Bedrohliches dargestellt. Abseits des Boulevards sind häufig gerade seriöse Medien auf das Feindbild Islam fixiert. A self-fulfillig-prophecy?

Lesezeit 6 Minuten

Das Interesse deutscher Massenmedien am Islam erwachte während der iranischen Revolution von 1978/79. Die Islam-Berichterstattung in deutschen Massenmedien beschränkte sich vor diesem Ereignis weitgehend auf Randerscheinungen, z. B. die jährlich wiederkehrende Berichterstattung über den Ramadan oder die Pilgerfahrt. Erst die islamische Revolution des Ayatollah Khomeini im Iran änderte dies schlagartig und ließ den Islam zu einem weltweit beachteten Medienthema werden, was er bis heute ist. Mit dieser Entwicklung einher ging allerdings auch zwangsläufig eine starke Politisierung des Islambildes, und, was ich als Hauptproblem der derzeitigen Situation betrachte, eine Verengung der Themenauswahl, die wie bei fast keinem anderen Thema mit Fragen von Gewalt und Repression in Verbindung gebracht wird. Die Islamberichterstattung ist in sehr hohem Maße von entsprechenden Themen geprägt.

Gewalt tritt in verschiedener Form auf, als Terrorismus, als familiäre Gewalt, als Gewalt gegen Frauen oder als ethnisch religiöse Gewalt, die die Demokratie durch Nichtakzeptanz des Gesetzes gefährdet (Stichwort „Parallelgesellschaften“). Kein Wunder also, dass die demoskopischen Umfragen, die uns vorliegen, auf eine wachsende Angst vor dem Islam in Deutschland verweisen. Im Bereich der Auslandsberichterstattung, also der Berichterstattung über die so genannte islamische Welt, sind die Negativwerte der Berichterstattung durch die Fokussierung auf Gewaltkonflikte so hoch wie sonst nur im Bereich der Kriegs- und Krisenberichterstattung. Die These vom „Feindbild Islam“ ist meines Erachtens mit den Methoden der empirischen Sozialforschung hinreichend belegt worden. Das Hauptproblem ist dabei nicht das Berichten über Gewalt und Repression an sich, sondern die völlige Fixierung auf dieses enge Themenspektrum. Problematisch ist also weniger, worüber berichtet wird, als worüber nicht berichtet wird. Die Gewaltfixierung des medialen Islambildes ist nicht nur ein Problem des Boulevardsektors, sondern erfasst in gleichem Maße auch die seriösen Medien. Ganz im Gegenteil, die eher kurzfristigen Aufmerksamkeitsspannen des Boulevards sind häufig geradezu angenehm im Vergleich zu der permanenten und seit Jahrzehnten bestehenden Fixierung großer seriöser Medien auf das Feindbild Islam.

 Dabei ist der Islam im engeren Sinne der Theologie, des religiösen Kultus und Ritus kaum im Interesse deutscher Massenmedien. Wenn man sich die Berichterstattung über den Islam in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten anschaut, so könnte man fast den Eindruck bekommen, der Islam sei keine Religion, sondern eine Form der Politik und der politischen Ideologie der Gewalt. Einfache theologische Tatbestände, wie etwa die Tatsache, dass Jesus Christus im Islam als Prophet und Vorgänger Mohammeds betrachtet wird, sind in der deutschen Öffentlichkeit und Gesellschaft den allermeisten Menschen unbekannt. Dieses eine Beispiel allein zeigt das totale Versagen einer sich aufklärerisch gebenden Öffentlichkeit bei der Vermittlung nichtchristlicher religiöser Inhalte.

Hier geht es dem Islam übrigens nicht anders als dem Judentum, das ebenfalls in seiner religiösen und kulturellen Substanz weitaus weniger in den Medien präsent ist, als Hintergrund der historischen Aufarbeitung des Holocaust. Es ist deswegen nicht verwunderlich, dass Ignatz Bubis, der frühere Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, im Jahr 1999, kurz vor seinem Tod, erkannte, dass das heutige Islambild ihn in vielerlei Hinsicht an das frühere Bild des Judentums im 19. und frühen 20. Jahrhundert erinnert. Die Massenmedien leisten wenig bei der Vermittlung interreligiöser Bildung, da sie sich zu sehr als Sachverwalter enger und engster politischer und sozialer Konfliktstoffe verstehen. Dabei macht die Geschichte der Juden in Deutschland eines klar: Eine einseitige Integrationsleistung einer religiösen Minderheit nützt nichts, wenn die Mehrheit nicht ebenfalls lernbereit ist.

Ein weiteres Problem der Medienberichterstattung ist die Bildsprache, die neben dem Text von besonderer, möglicherweise wachsender Bedeutung in einer Zeit zunehmender Bildmedien ist. Immer wiederkehrend sind etwa folgende Impressionen des Islam: Schleier, Massenfotografien vor allem von Mekka und von Demonstrationen, Koran, Kinder und Kalaschnikows, die Prachtbauten des arabischen Golf, islamische Schlachtrituale und Geiselprozessionen aus dem Iran. Dies ist keine zufällige Zusammenstellung, sondern die vorgenannten Bildelemente entsprechen exakt den Bildern, die beispielsweise der Stern im Jahr 2006 in einer Sonderausgabe über den Islam aneinander reihte. Seit der iranischen Revolution zeigt nicht nur dieses Bildmedium eine konstante Bilderwelt, es sind die grundlegend gleichen Bilder, die auch schon die Berichterstattung über die iranische Revolution beherrschten und die in ihrer Gesamtheit totale Fremdheit suggerieren. Wie ein positiver Schock wirken da vereinzelt publizierte Fotos wie jüngst von verschleierten Frauen mit deutscher Fahne während der Fußballweltmeisterschaft. Insgesamt aber ist die Bildsprache der Medien symbolisch überfrachtet und ohne dokumentarischen Anspruch.

Das deutsche Medienbild des Islam wird von Eliten und von Gegeneliten beherrscht. Es ist zum einen beklagenswert, weil der Bürger oder die „schweigende Mehrheit“ außen vor bleibt, es ist allerdings normal für einen Journalismus, der Ansprechpartner braucht und auf aktive Gesellschaftskräfte angewiesen ist, um einen Tagesjournalismus zu betreiben, der nicht in jedem Einzelfall investigativen Tiefgang haben kann. Interessant ist allerdings die Zusammensetzung der Akteure. In der Nah- und Mittelostberichterstattung deutscher Printmedien etwa dominieren Staatsvertreter und ihre Gegenspieler, die radikalen Islamisten. Bei der Frage des Islam in Deutschland und auch bei der Bewertung von Nah- und Mittelostentwicklungen in deutschen Medien ist das Bild allerdings diverser. Neben konservativen Islamvertretern, deutschen Islamorganisationen und fundamentalen Islamkritikern, wie der Holländerin Hirsli Ali, kommen auch viele andere Stimmen zu Wort. Vor allen Dingen beim Thema Islam in Deutschland haben es die deutschen Medien also durchaus geschafft, innerhalb der nach wie vor sehr beschränkten Gewalt und Repressionsagenda relativ viel Akteure ins Boot zu holen.

Dies entspricht einer relativ normalen Gesellschaftsentwicklung, die nach mehreren Generationen der Einwanderung und durch die Diversifizierung akademischer Ausbildungen partikulierte Öffentlichkeiten erzeugt, die den Medien als Gesprächspartner dienen. Allerdings sind auch diese häufig tatsächlich sehr aufgeklärten Öffentlichkeitsakteure vielfach gezwungen, sich dem einseitigen Gewalt- und Repressionsinteresse der Medien thematisch zu beugen. Die Skandalisierung des Islambildes erfolgt als eher durch die Art der Themensetzung als durch die Gesetze des Polit-Talks oder durch falsche Experten. Die deutsche Öffentlichkeit hat sich hier aus meiner Sicht in den letzten Jahrzehnten diversifiziert und entwickelt. Dies schließt nicht aus, dass in Einzelfällen ein Hang der Medien besteht, radikale Positionen, z. B. radikale Islamprediger oder auch Islamkritiker, zu bevorzugen, um künstlich Kontroversen zu erzeugen, die ein Kulturkampf suggerieren, der möglicherweise die Alltagsrealität gar nicht adäquat widerspiegelt.

Deutsche Massenmedien sollten sich in jedem Fall bemühen, ihre Informationsquellen zu erweitern. Der deutsche Journalismus ist, was den Islam betrifft, in weiten Teilen noch immer ein „Abschreibejournalismus“. Journalisten schreiben von Nachrichtenagenturen ab oder sie schreiben voneinander ab. Von den Reportagen und Berichten einer durchaus begrenzten Anzahl von Auslandkorrespondenten abgesehen, verfügt der deutsche Journalismus über viel zu wenig authentische Quellen in der islamischen Welt, die er neben dem üblichen Material westlicher Nachrichtenagenturen in die tägliche Arbeit einbringt. Ohne adäquate Quellen und Gesprächspartner aber führen wir kulturelle Selbstgespräche und sind mitverantwortlich für das Entstehen von „parallelen Öffentlichkeiten“.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Es gibt im deutschen Journalismus viele gute Artikel und einzelne Radio- und Fernsehsendungen. Auch viele Kritiker des Feindbildes Islam kommen zu Wort. Aber an der thematischen Grundstruktur und an der nachhaltigen Ausrichtung der Medienbeachtung auf den Gewaltkomplex hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte wenig geändert. Das Islambild deutscher Medien ähnelt heute einer Art „aufgeklärter Islamophobie“. So lange aber die Menschen tagtäglich mit einem Negativbild des Islam konfrontiert werden, helfen Appelle an Respekt und Toleranz wenig, weil die Agenda des islamophoben Denkens alles überwiegt. Man sollte die Wirkung von Massenmedien nicht überschätzen, sie prägen eben nicht die Identität des Menschen, aber sie prägen im hohem Maßen das Bild, das ein Mensch sich von einer Fremdgruppe macht, so dass von einer Ausbalancierung des Medienbildes sicher positive Impulse für den sozialen Frieden zu erwarten wären.

Auch in einem anderen Punkt möchte ich nicht missverstanden werden. Ich plädiere nicht für eine weitere Islamisierung des Bildes der Einwanderer oder des Nahen und Mittleren Ostens, sondern für einen internen Umbau der Islamberichterstattung mit einer Gewichtsverlagerung von der Politik und der Gewalt zu einer breiteren sozialen, philosophischen oder auch theologischen Verankerung. Obwohl der Islam nur einer unter vielen Faktoren der Entwicklung ist, gilt er heute vielen als eine Art Chiffre für alles, was aus dem Orient kommt – und das ist sicher falsch. Früher sprach man über türkische Einwanderer, heute sind es die Muslime, die kommen: Was für ein Unsinn, denn die Türken waren früher bereits Muslime, und sie sind heute nicht nur Muslime, sondern auch Türken, Deutsch-Türken oder vieles andere.

Ein weiteres Beispiel: Nach den Anschlägen des 11. September veröffentlichte ein meinungsführendes Wochenmagazin wie der Spiegel nacheinander vier oder fünf Titelgeschichten über den Islam, über die angebliche Gefahr und Unsicherheit, die von ihm ausgehen, und zwar in einer Zeit, als Amerika und seine europäischen Verbündeten den Krieg in Afghanistan vorbereiteten und es statt einer Ablenkung durch kulturalistische Diskurse einer intensiven Auseinandersetzung über Sinne und Zweck von Krieg und Frieden bedurft hätte. Auf welche Irrwege uns diese Form des Kulturalismus gebracht hat, kann man an dem heutigen katastrophalen Zustand Afghanistans und der zunehmenden Terrorgefahr auf dieser Welt ablesen. Mein Plädoyer also lautet: Wir sollten die Medienagenda des Islam diversifizieren, aber die Medien nicht künstlich islamisieren.

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Der Autor

Kai Hafez ist Professor für Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt der vergleichenden Analyse von Mediensystemen und Kommunikationskulturen an der Universität Erfurt. Seit 2006 ist Kai Hafez Mitglied der AG Wirtschaft und Medien der Deutschen Islam Konferenz (Bundesministerium des Inneren).

Featured Image: tokamuwi / PIXELIO


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