Wladimir Putin küsst Angela Merkel. In der Kunst spricht Politik leicht eine klare Sprache. So lässt der Schweizer Andreas Liebmann PassantInnen in die Rolle der am G 8 Gipfel teilnehmenden Staatschefin und -chefs schlüpfen. „Es ist ein Spiel zur Demokratisierung des Weltdialogs“, sagt er nicht ohne Selbstironie über seine und Jan van Lohs Aktion „Powerpuppen“, die längst auf YouTube zu finden ist. Er ist nicht der einzige von über 100 KünstlerInnen aus 27 Ländern, die Anfang Juni plakativ Bilder zur Globalisierung im öffentlichen Raum Rostocks projiziert haben.
Lange bevor hier GlobalisierungskritikerInnen und das größte Polizeiaufgebot in der Geschichte der Bundesrepublik anrückten, hat Adrienne Goehler eine urbane Brache an der Warnow als kulturellen Standort erschlossen. Verpackt in 48 Projekte hat die ehemalige Berliner Kultursenatorin die Kunst zum Protest nach Rostock gebracht. „Die Politik muss dringend begreifen, dass sie die Probleme der Welt nicht alleine lösen kann. Die Möglichkeiten der Kunst und Wissenschaft müssen erst dazu genommen werden. Uns ist die Erweiterung des gesellschaftlichen Resonanzraums geglückt“, erklärt sie am Ende eines 18-tägigen Programms, nicht ohne Stolz über die Bewegung die sie mit subtil-ironischen, dokumentarischen und aufklärerischen Werken in Stadthafen und -verwaltung gebracht hat.
Die teilnehmenden KünstlerInnen haben sich dabei eines Symbolismus bedient, der bei politischen Protestaktionen immer mehr zunimmt: (Lehr)Stühle (an)streichen in einem Möbelhaus oder das Badengehen nackter, bunter bemalter Attac-AnhängerInnen in der Warnow, um durch Masken karikierte G 8-TeilnehmerInnen von ihrem Schlauch-Boot zu holen. So verwischen die Grenzen zwischen Kunst und sozialer Bewegung.
„Verflüssigung“, genau das ist eines der großen Ziele der Kuratorin Adrienne Goehler. „Medial und politisch wird immer wieder die Dualität vom Gipfel und seinen Gegner inszeniert. Nie wird über Inhalte gesprochen“, kritisiert sie und fordert die Kunst auf selbst zur Bewegung zu werden und den Blick auf die großen Globalisierungsthemen zu richten: Heimat, Migration oder die Rolle des Geldes und seine Verteilung weltweit. „Für mich ist diese Ausstellung ein kreativer Protest. Den finde ich gut“, erzählt Besucherin Gisela Schernikau, die letztlich nur zur Unterstützung des künstlerischen Widerstandes aus Hamburg hergesegelt ist.
Das Politische wird ästhetisch und das Ästhetische politisch. In der medialen Berichterstattung kommt einem der G8-Gipfel plötzlich wie ein Happening vor: der Gipfel im Theater. Entsprechend hat das Architektenkollektiv von „Raumlabor Berlin“ die absurden Abschottungsmaßnahmen der Regierung konterkariert und eine verlassene Ecke des Rostocker Stadthafens kurzzeitig in ein Congresscenter mit Hotelbetrieb, Pressetribüne, Swimmingpool und Golfplatz umfunktioniert. Es ist eine Parodie auf Heiligendamm, das verschlossen hinter Zäunen lag. Die Fassade des Kempinski, des G 8 Tagungs-Hotels, haben sie eindrücklich kopiert – und das, ohne zuvor selbst einen Fuß an diese so genannte „weiße Perle“ der Ostsee gesetzt zu haben.
„Wir wollen einen Ort für politische Gespräche und positive Bilder bieten“, erklärt Benjamin Foerster-Baldenius. Die ArchitektInnen haben beim Aufbau ihres Schauplatzes zur Intervention bewusst mit Abbildern gearbeitet, dem Ausdrucksmittel der Medien. Raster, rigide Aufteilungen sollen so unterwandert und Positionen, die die G 8 und ihre Politik hinterfragen, in einer temporären Gegenöffentlichkeit sicht- und hörbar werden.
Ganz unauffällig präsentieren sich bei diesem Kunst-Ereignis dagegen große Namen wie Beuys-Schülerin Katharina Sieverding und Martha Rosler. Berühmte Collagen wie „Bringing the War Home“ bebildern zwölf Litfaßsäulen, die in der Stadt stehen und erst auf den zweiten oder dritten Blick als „Art goes Heiligendamm“ erkennbar sind: Fotografien von arbeitenden Kindern in Indien, Kindersoldaten im Kongo und Flüchtlingen an der Grenze der Vereinigten Staaten.
Die Gruppe „Kein.TV“ bricht die Funktionalisierung von Kunst – politisch oder sozial – auf. Sie zeigt eine Parodie auf die Medienhysterie dieses Events. Im Internet hat sie die Interaktionen zwischen sozialer Bewegung, künstlerischem Ansatz und politischer Fragestellung zur Globalisierung dauerhaft mit mehr als 20 Stunden zum Runterladen zugänglich gemacht. Das erinnert an einen Satz von Karl Marx: „Die KünstlerInnen haben die Welt nur verschieden dekoriert, es kommt aber darauf an sie zu verändern!“. Und so experimentiert „Kein.TV“ und schaut ganz offensiv, was darüber hinaus denkbar ist. „Es geht eben nicht darum, Politik zu beeinflussen“, sagt Florian Schneider, der Projekten politische Bedeutung abspricht, die sich mit Themen wie Grenze, Globalisierung oder Prekarisierung unmittelbar auseinandersetzten.
Ein solches Projekt ist das des Künstlers Thorbjørn Reuter Christiansen. Im Zentrum von Rostock hat er einen Verschlag zusammengenagelt – genau in den Maßen, die die Bundesregierung einem Asylbewerber bewilligt. Vier Komma fünf Quadratmeter. Ebenso deutlich, aber weniger dokumentarisch ist Stan’s Café, das abstrakte Sozialstatistiken mittels Reishaufen sinnlich erfahrbar macht. Die Installation „Off all the people in all the world“ zeigt, dass es offenbar mehr Millionäre in Deutschland gibt, als ArbeiterInnen auf Kaffeeplantagen in Costa Rica. „Das hat mich überrascht“, sagt Herbert Schubbert, der als Reinigungskraft arbeitet und von Hartz IV lebt.
Der Anspruch der Kreativen ist sehr hoch: Kunst zur Reflektion, Intervention und final Deeskalation. Das erinnert an Stadtteil-Konfliktmanagement – auf die behelmten PolizistInnen in Heiligendamm und Umgebung hat es Eindruck gemacht. „Wir sollen zum Zaun, zwischen Polizisten und Gipfelgegnern vermitteln!“, sagt Matthias Rick von „Raumlabor Berlin“, die Gruppe, die einmal selbst die Stimmung in unmittelbarer Nähe des Gipfels erfahren wollte. Als kreative DemonstrantInnen fanden sie mit dem Zauberwort „Deeskalation“ schnell ihren Weg zum zweieinhalb Meter hohen Bauzaun mit Natodraht. Da ist es nur konsequent „Art goes Heiligendamm“ mit Mitteln aus dem G 8-Deeskalationsfonds zu unterstützen, nach dem die Bundeskulturstiftung eine Förderung abgelehnt hatte. Ob Kunst am Bau(Zaun)-Mittel nachträglich für das rund 350.000 Euro schwere Projekt fließen werden, ist noch immer offen.
Kein Wunder, dass die Grenze gleich in mehreren Kunstwerken zur Metapher wurde – als Wildgatter, als Tennisspiel über die Mauer, die Palästina von Israel trennt, und als Bauzaun mit feuerfarbenen Plastiktüten. Denn der Zaun speziell um Heiligendamm war dem künstlerischen Zugriff entzogen. Der Staat hat diesen rechtzeitig verboten. So bauten sich die KünstlerInnen eben ihr eigenes Heiligendamm mit einem Zaun, aber frei zugänglich.
Der Zuspruch der RostockerInnen war anfangs zögerlich, am Ende aber groß – fast wäre eine derart künstlerische Bewegung im Stadthafen sogar geblieben. Aber dafür war es dann doch zu spät. Das ist zumindest das Argument der Rostocker Stadtverwaltung. „Die Abrissgenehmigung für die Bootsschuppen lag schon vor“, sagt Thomas Werner, Mitarbeiter im Amt für Kultur und Denkmalpflege, denn auf den angrenzenden Flächen würden Büros und ein Hotelkomplex gebaut. Im September soll es soweit sein. Blieb also nur die Option der Zwischennutzung, die die Stadt aber nach „Art goes Heiligendamm“ nicht auch noch bezuschussen wollte.
International hat die künstlerische Intervention jedoch NachahmerInnen gefunden: „Arts Initiative Tokio“, eine unabhängige Kunstinstitution, will den kommenden G 8-Gipfel in Hokkaido begleiten. „Es geht nicht darum, dass staatliche Stellen Grauzonen fördern. Wichtig ist, dass es passiert und wie es passiert“, kommentiert Florian Schneider von „Kein.TV“. Schließlich haben Kuratorin Adrienne Goehler und ihr Team die Brache im Rostocker Stadthafen gegen viele Widerstände für die Kunst erkämpft. Das ist das Bild, das zählt.
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Verdacht verpasst
Reisetipps aus dem Bauchladen: Das Konzept eines mobilen Büros hat gut ins künstlerische Umfeld des G 8-Gipfels in Heiligendamm gepasst. Mit Geschichten von Menschen, denen ich als Reisende einer Künstlerkarawane durch Marokko und Westafrika im Jahr 2005 begegnet bin, habe ich RostockerInnen und GipfelkritikerInnen im Kleinen zeigen können, wie sich Globalisierung anders denken lässt. Schön war dabei vor allem, dass ich meine Kunst, die in Bewegung entstanden ist und eben diese illustriert, durch eine sich bewegende Stadt tragen konnte – bis zum Camp Rostock. Auch die TeilnehmerInnen des Gegengipfels freuten sich über die Reisetipps aus der Ferne. Gemäß afrikanischer Tradition um den Preis zu handeln, fiel ihnen jedoch schwer. Ein persönlicher Verlust war am Ende insbesondere, dass ich es verpasst habe, die grün und schwarz vermummten PolizistInnen, auf eine solche imaginäre, Reise mitzunehmen – zum Beispiel zum Shoppen in den Senegal oder auf einen Fluchtweg zurück nach Indien. So bleibt denn auch die Frage offen, ob mein Reisebüro am Ende wegen illegalen Handels oder Verdacht auf Terrorpläne vielleicht kurzerhand geschlossen worden wäre.
© Text und Bilder: Stephanie Zeiler, 02.08.2007
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Zur Autorin
Stefanie Zeiler, geboren 1977 in Wuppertal, ist Künstlerin und freie Journalistin. Sie lebt in Berlin.