20. November 2009 | Nachhaltigkeit

Der ewige Wald

von Ulrich Grober. Marl


Die Weltkarriere eines Konzepts. Im sächsischen Tharandt begann vor bald 200 Jahren der Siegeszug der nachhaltigen Forstwirtschaft. Unter die Räder kam dabei, was wir heute Biodiversität nennen. Ein Lehrstück für heute.

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Vom Hauptbahnhof Dresden fährt die S – Bahn gerade mal zwanzig Minuten bis Tharandt. Das Häusermeer der Stadt, Industriegürtel, Schrebergartenkolonien ziehen am Fenster vorbei. Unten mäandert die Wilden Weißeritz. Hier und da ein Fleck Auenwald, ein paar Felsformationen. Hinter dem Stahlwerk von Freital verengt sich das Tal. Die Hänge sind jetzt bewaldet. Die Bremsen quietschen, der Zug hält. Forststadt Tharandt, steht auf dem Schild. Das Städtchen in den Ausläufern des Erzgebirges zählt heute 5500 Einwohner – und rund 600 Studenten. Hier hat die „Fakultät für Forst-, Geo- und Hydrowissenschaft, Fachrichtung Forstwissenschaften, der Technischen Universität Dresden“ ihren Sitz. Unter ihrem alten Namen „Königlich Sächsische Forstakademie zu Tharandt“ machte sie den Namen des Städtchens weltberühmt: Sie ist eine der ältesten Forsthochschulen der Welt und sicherlich die wirkungsmächtigste. Hier stand die Wiege der Nachhaltigkeitsidee. 

Aufgereiht im Talgrund der Weißeritz stehen die Gebäude der Fakultät: Moderne Glas- und Holzarchitektur, Betonbauten der DDR-Zeit, stuckverzierte steinerne Kästen aus dem 19. Jahrhundert. Ein steiler Pfad steigt an der Burgruine vorbei zum Eingang des Forstbotanischen Gartens. Auf dessen Terrain kann der Besucher etwa 1500 Gehölzarten aus aller Welt in natura kennenlernen. Vom Urweltmammutbaum und der Sumpfzypresse, die in geologischen Zeiträumen die unterirdischen Wälder der fossilen Lagerstätten gebildet haben, bis hin zu Exoten wie der Japanischen Sicheltanne und dem Trompetenbaum. Einige Exemplare sind an die 200 Jahre alt. Das Arboretum anzulegen, war eine der ersten Maßnahmen nach Aufnahme des Lehrbetriebs im Jahre 1811. Der Gründer der Forstakademie wollte die Theorie des Waldbaus mit sinnlicher Anschauung verbinden und seinen Zöglingen die tausend wirkenden Kräfte der Natur vor Augen führen. 

Sein Name: Heinrich Cotta (1763 – 1844). Auf der Anhöhe oberhalb des Forstbotanischen Gartens, am Eingang zum ausgedehnten Tharandter Forst, im Schatten eines für ihn gepflanzten Eichenhains liegt sein Grab. „Ich bin ein Kind des Waldes“, sagte er von sich. Heinrich Cotta kam aus Thüringen. Geboren 1763 in Zillbach, einem Ort in der Rhön, begann er seine Laufbahn als Jägerpursche, studierte dann zwei Semester in Jena Mathematik. Anschließend sammelte er als Landvermesser Praxiserfahrungen und trat dann in den Dienst des Weimarer Forst-Departements. Sein oberster Dienstherr war Herzog Carl August. Dessen Mutter Anna Amalia hatte während ihrer Regentschaft bereits die weltweit erste Forstreform eingeleitet, die sich ausdrücklich dem nachhaltigen Umgang mit der Ressource Holz verschrieb. Die weimarische Forst-Ordnung von 1775 regelte die Conservation der Wälder und die Steurung des HoltzMangels, um für die Nachkommenschaft… die gehörige Sorge zu tragen. Der Abtrieb des Holzes dürfe nicht mehr nur nach Güt-Dünken oder Holtz-Bedürfnis der gegenwärtigen Generation geschehen, sondern müsse die Ansprüche der Posterität berücksichtigen. In der Weimarer Cammer bahnte sich in der Goethe-Zeit ein neues Denken an, das die Essenz – und den Knackpunkt – des Nachhaltigkeitsdenkens im 21. Jahrhundert vorwegnahm: Nicht die – modern ausgedrückt – „Nachfrage“, nicht „den Markt“, geschweige denn die Luxusansprüche der Eliten, zum Maßstab der Ökonomie zu machen, sondern die wahren Kräfte der Forste, im erweiterten Sinne die Tragfähigkeit der Ökosysteme insgesamt. 

Cottas Credo, 1790 formuliert: „…der Natur zu folgen, die sich kein Gesetz vorschreiben läßt, aber uns erlaubt, ihr nachzugehen und ihre eigenen auszuspähen“. Anklänge an Goethes Naturauffassung sind unüberhörbar. Umgekehrt begeisterte sich der Weimarer Klassiker für Cottas Buch über die Bewegung des Saftes in den Gewächsen, das 1806 in Weimar erschien, und hielt den Kontakt mit dem Forstmann bis zu seinem Tode aufrecht. In seiner Schrift richtete Cotta die Aufmerksamkeit auf das Wachstum des Holzes. Welche Kräfte wirken dabei zusammen? Wie ist es positiv zu beeinflussen? Basis waren eigene Forschungen in seiner Baumplantage im heimischen Zillbach und in den Wäldern seines Reviers. Die Inspiration kam von dem französischen Botaniker Du Hamel du Monceau (1700 – 1781). Die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse freilich sollten in eine neue Lehre vom Waldbau begründen. Mit dem Ziel, dass der „höchste Ertrag aufgefunden werde, welcher bei der für diesen Wald zu entwerfenden Behandlung n a c h h a l t ig von demselben erwartet werden kann.“

1810 folgte der 47jährige Heinrich Cotta einem Ruf in das Königreich Sachsen. Dort übernahm er die Vermessung und Planung der Wälder – und die Ausbildung des forstlichen Nachwuchses. Tharandt wählte er sich zum Amtssitz. Das Städtchen war bis dahin allenfalls als Badeort der Dresdner Gesellschaft und Ausflugsziel der Romantiker ein Begriff. Cottas neue Lehranstalt zog nun junge Leute aus Sachsen und aus dem Ausland an. 1816, als in Dresden der Komponist Carl Maria von Weber seine romantische Wald-Oper „Freischütz“ konzipierte, wandelte der sächsische König sie in eine staatliche Forstakademie um. Ihr heiliger Gral war von Anfang an die Idee der Nachhaltigkeit.Das neue Denken sollte den Raubbau an der Natur überwinden. Also die chaotische, planlose, zerstörerische Ausbeutung der Wälder, die von kurzfristigen Interessen motivierte Übernutzung der Ressource Holz. Es ging darum, die Gaben der Natur zu nutzen, aber ihr Potential, diese Gaben auch in Zukunft hervorzubringen, für die nachfolgenden Generationen zu erhalten, ja zu stärken. Nutzung und Regeneration des Waldes, also die Entnahme von Holz mit dessen Wachstumszyklen zusammen zu denken, und zwar auf lange Sicht, darin bestand der innovative Kern der neuen Wissenschaft, die er einer wachsenden Zahl von Schülern vermittelte. Die überwölbende Vision war der ewige Wald, der für alle denkbaren Zukünfte die Gesellschaft mit dem lebensnotwendigen Holz versorgen würde. „Ein regelmäßiger sicherer Haushalt, eine Balance zwischen Nachwuchs und jährlichem Consumo“ – so hatte Alexander von Humboldt, ein Gesprächspartner Cottas, 1792 das Ziel formuliert. Als damaliger Leiter der Bergbehörde in Bayreuth war er mit dem Forstwesen in Berührung gekommen. Cotta und die anderen „Forstklassiker“ wie Georg Ludwig Hartig und Friedrich Wilhelm Pfeil, arbeiteten daran, den Wäldern eine räumliche und zeitliche Ordnung zu geben. 

Mit Hilfe von ausgeklügelten geometrischen und mathematischen Verfahren erfasste man die Holzvorräte und kalkulierte den zu erwartenden Zuwachs. Man legte Umtriebszeiten fest und bestimmte damit das optimale Alter, in dem die Bestände abgeholzt werden sollten. Die Waldfläche wurde in Parzellen homogener, also gleichaltriger und gleichartiger Bestände eingeteilt. Ein Plan legte fest: Wieviel Holz darf ich jährlich schlagen? Zu welchem Zeitpunkt ist welche Fläche abzuholzen? Wie ist die Verjüngung, also das Nachwachsen der gefällten Bäume, durchzuführen?  Forsteinrichtung  nannten die Forstklassiker ihre wissenschaftliche Methode des Ressourcen-Managements. 

Ihre grandiose Leistung: Die Entwaldung wurde rückgängig gemacht. Wobei natürlich die gleichzeitige Erschließung der unterirdischen Wälder, der Kohlevorkommen, eine wesentliche Rolle spielte. Die unbestreitbaren Erfolge stärkten den Glauben an die Berechenbarkeit der Natur. Cottas Nachfolger entwarfen als Denkmodell den Normalwald.. Darin standen gleiche Bäume exakt in Reih und Glied. Jede Altersklasse hatte die gleiche Fläche und produzierte eine jährlich gleichbleibende Holzmasse. Der Normalwald war ein reiner Bestand, heute sagt man: Monokultur. Was als Modell gedacht war, wurde beim Aufbau der neuen Wälder unter dem Druck rascher Gewinnerwartungen unversehens zur Handlungsanweisung. Die neuen Bestände waren in Altersklassen gegliedert und von schnellwüchsigen und ertragreichen Baumarten dominiert. In Sachsen von der Fichte, in Preußen von der Kiefer. Die geregelte  Forstwirtschaft funktionierte bei der Begründung neuer Waldbestände. Unter die Räder kam dabei die standortgemäße, potentiell natürliche Vegetation. Aus dem Mosaik des Waldes wurde das Schachbrett des Forstes. Es gab durchaus skeptische Stimmen: „Die Natur ist weder ein Betschemel, noch eine Vorratskammer“, warnte der Tharandter Zoologieprofessor und 1848er Revolutionär Emil Adolf Roßmäßler. Und Cotta selbst hatte bereits 1817 zur Selbstbeschränkung aufgerufen: „Die Forstwissenschaft enthält keine Zaubermittel und kann nichts gegen den Lauf der Natur tun.“

Um die Mitte des 19. Jahrhundert wurde der Tharandter Nachhaltigkeitsbegriff weltweit zum Leitbild des Forstwesens. Der Nachfolger Cottas an der Forstakademie, Carl Edmund von Berg, bereiste im Auftrag der zaristischen Regierung 1858 die Wälder des damals russischen Großfürstentums Finnland bis hinauf zum Polarkreis. Er beschrieb die besorgniserregende Waldverwüstung  und dozierte über die Grundidee der Nachhaltigkeit, nämlich die Erhaltung der Productionskraft der Wälder, Finnlands größtem Schatz. Sein Gutachten etablierte uthålligt skogsbruk (nachhaltige Waldnutzung) im hohen Norden. 

Zur selben Zeit gründete der Schweizer Elias Landolt, Absolvent Tharandts, die berühmte Forstschule am Eidgenössischen Polytechnikum, der heutigen ETH Zürich. Der Elsässer Adolphe Parade, auch er hatte in Tharandt studiert, leitete ab 1834 die frisch gegründete und bald ebenfalls weltberühmte Ecole forestière in Nancy und lehrte dort die Grundlagen von  production soutenu nachhaltiger Holzerzeugung. 

Der aus Bonn stammende Botaniker Dietrich Brandis machte sustained yield forestry im britischen Empire und – über seinen Schützling Gifford Pinchot – in den USA zum neuen Leitbild des Forstwesens. In unserer Zeit wurde diese Übersetzung von „nachhaltigem Ertrag“ ins Englische zur Blaupause für das Konzept von Sustainable Development.

Währenddessen entbrannte in den Hallen der Tharandter Akademie ein heftiger Richtungsstreit, der die Forstleute im Grunde bis heute in Atem hält. Protegiert vom sächsischen König, der sich um seine chronisch leeren Staatskassen sorgte, entwickelte der Forstmathematiker Max Robert Pressler, um 1860 die Bodenreinertragslehre. Diese Investitionsrechnung für den Wald stand unter dem Einfluß der neuen Doktrin des Liberalismus. Statt des stetigen Naturalertrages rückte sie die langfristige maximale Rendite in den Vordergrund, statt der Versorgung der Bevölkerung die Gewinnerwartungen der Waldbesitzer. Verkürzte Umtriebszeiten und noch stärkere Bevorzugung von raschwüchsigen Nadelbaumarten waren die Konsequenz. Friedrich Judeich, Direktor der Tharandter Akademie von 1866 bis 1894 und Anhänger der Bodenreinertragslehre, definierte Nachhaltigkeit nun so: „Ein Wald wird nachhaltig bewirtschaftet, wenn man für die Wiederverjüngung aller abgetriebenen Bestände sorgt, so daß dadurch der Boden der Holzzucht gewidmet bleibt.“  Gegen die neue Lehre und die damit verbundene Verwässerung des Nachhaltigkeitsbegriffs erhob sich wütender Widerstand innerhalb der Fakultät und darüber hinaus in der ganzen Zunft. „Nach dieser Definition gibt es eine unnachhaltige Waldwirtschaft überhaupt nicht“, schrieb der preußische Oberforstmeister Bernard Borggreve 1888. „Damit läßt sich offenbar jede, auch die ausgeprägteste Raubwirtschaft euphemistisch als eine nachhaltige bezeichnen und verteidigen“. Einen solchen Systemwechsel unter dem Mantel desselben Begriffs lehnte die große Mehrheit der deutschen Forstleute ab. Wollen wir etwa, so ein geflügeltes Wort jener Epoche, die Definition von Nachhaltigkeit den Credit-Instituten  überlassen? 

Aber die Idee selbst, die Natur mit den Mitteln von Geometrie, Arithmetik und Zinsrechnung in den Griff nehmen zu können, erwies sich bald als Illusion. Monokulturen sind auf Dauer nicht stabil. Verheerende Kalamitäten  in den neuen Wäldern ließen nicht lange auf sich warten. In den 1850er Jahren fraß die Nonne die riesigen Nadelholzbestände Ostpreußens kahl. In der Folge rückte die Schädlingsbekämpfung ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Zum düsteren Vorkämpfer wurde der Ameisenexperte Karl Escherich. Hatte Roßmäßler 1834 noch gelassen von den „Insekten, welche den bei uns angebauten Holzarten am meisten schädlich werden“ geschrieben, so sah Escherich in seiner Tharandter Antrittsvorlesung von 1907 den deutschen Wald durch eine abnorme Massenvermehrung von Schädlingen  bedroht. Sein Denken fixierte sich auf die Massenvernichtung des Ungeziefers unter Einsatz aller denkbaren biologischen, toxikologischen und technischen Tötungsverfahren. So drang der  darwinistische Kampf ums Dasein in die Sprache der Forstwissenschaft ein. Escherichs Waldhygiene  jedenfalls erwies sich als gefährlicher Resonanzboden für die mörderische Rassenhygiene der Nazis, denen der Insektenkundler später politisch nahe stand. 

Zu dem eingeschlagenen Kurs der  rationellen  Forstwissenschaft, so schien es freilich, gab es keine Alternative. Oder doch? Um 1900 diskutierte die deutschen Forstleute leidenschaftlich über einen Weg zurück zur Natur. Die Dauerwald-Idee, die den Wald als einen lebendigen Organismus, also als Ökosystem, auffasste, gewann auch in Tharandt an Boden. Sie konnte sich auf große Traditionen berufen.

„Unser Erdball ist eine große Werkstätte zur Organisation sehr verschiedenartiger Wesen“, schrieb Johann Gottfried Herder in seinen 1784 erschienenen „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“. Und: „Selten hat man eine Gewächs- oder Tierart dieses und jenes Erdstrichs ausgerottet, ohne nicht bald die offenbarsten Nachteile für die Bewohnbarkeit des Ganzen zu erfahren.“ Während die Weimarer Cammer die Einrichtung  der Forste bis in das 21. Jahrhundert hinein vorausplante, philosophierte man am Weimarer Musenhof über die Oeconomia naturae (Linné), die Haushaltung der Natur. In den Salons und Parkanlagen und in freier Natur huldigte man deren Weisheit und Schönheit. Man feierte die Fülle des Lebens, die Idee der Biodiversität. 

1799 bricht Alexander von Humboldt zu seiner legendären Forschungsreise nach Südamerika auf. Bei der Vorbereitung hat er gemeinsam mit Goethe in Jena Naturstudien betrieben. Mit Heinrich Cotta ist er gut bekannt. Seine mehrjährige Reise führt ihn in den tropischen Regenwald, in die Herzkammer der Biodiversität auf dem blauen Planeten. Für Humboldt bildet die Natur ein netzartig verschlungenes Gewebe und ein durch innere Kräfte bewegtes und belebtes Ganze. Alle irdischen Kräfte, angefangen von den Elementen, der anorganischen Natur über die Pflanzen und Tiere bis hin zum Menschen, sagt Humboldt, gehörten zu den  „Kindern der Gäa“. Von Linnés klassifizierender Beschreibung der Arten geht Humboldt nun zur wissenschaftlichen Erforschung der Beziehungen zwischen Flora und Fauna, ihren Standort- , Klima- und Umweltbedingungen über. Von dort war es nur noch ein kleiner Schritt zur Formierung eines neuen Wissenschaftszweiges. Diesen Schritt vollzog der in Jena lehrende Biologe, Darwinist, Goethe- und Humboldtverehrer Ernst Haeckel im Jahre 1866, sieben Jahre nach Humboldts Tod. Um den alten Topos vom Haushalt  der Natur abzulösen, verknüpfte er die beiden griechischen Wörter oikos und logos zum neuen Begriff „Oecologie“. Haeckels grundlegende Definition lautete: „Unter Oecologie verstehen wir die gesammte Wissenschaft von den Beziehungen des Organismus zur umgebenden Aussenwelt, wohin wir im weiteren Sinne alle Existenz-Bedingungen rechnen können“. 

100 Jahre lang bleiben Oecologie und Nachhaltigkeit  in den Elfenbeintürmen ihrer Wissenschaftsdisziplinen eingeschlossen. Die Befreiung, Erweiterung und Verschmelzung beider Ideen ist eine Errungenschaft unserer Zeit. Der Erdgipfel von Rio brachte 1992 das Konzept von Sustainable Development  auf die Weltbühne. Komplementär zur  Nachhaltigkeitsstrategie der Agenda 21 verabschiedete er eine Konvention zum Schutz der Biodiversität. Heute freilich, 16 Jahre danach, sind Ökosysteme und Artenvielfalt – und der soziale Zusammenhalt – weltweit stärker bedroht denn je. Die Plünderung des Planeten geht im Zeichen der Globalisierung ungebrochen weiter. 

Der Übergang zu einer nachhaltigen Entwicklung ist in der Tat ein tiefer Eingriff in das Wesen des Industriegesellschaft. Weiter so, nur mit nachwachsenden Rohstoffen und erneuerbaren Energien – das wird nicht funktionieren. Wenn eine Ölquelle versiegte, bohrte man tiefer oder erschloß nebenan ein neues Ölfeld. Mit dieser Logik des zu Ende gehenden fossilen Zeitalters kommt man nicht mehr durch. Wer die tausend wirkenden Kräfte der Natur und die Zeitzyklen der Naturverjüngung  nicht beachtet, wird scheitern. Unter der Flagge des Klimaschutzes entstehen heute mit den Holzplantagen Südasiens und Lateinamerikas riesige neue Monokulturen. Die Global Players der Energiekonzerne setzen die Bodenreinertragslehre  radikal um. Eine weitere Sackgasse tut sich auf. Wir leben in höchst prekären Zeiten. 

Die Grundidee der Nachhaltigkeit aber wirkt im 21. Jahrhundert auf erweiterter Stufenleiter fort. Sie ist – das wäre eine Lektion aus Tharandts fast 200jähriger Geschichte – eben keine schlichte Sammlung von Vorschriften, keine bloße Betriebsanleitung für ein effizienteres Ressourcen-Management. Sie formuliert vielmehr das ethische Prinzip, dass die Bedürfnisse der nachfolgenden Generationen schon heute zu beachten sind. Sie handelt von unserer höchsten Verantwortung, nämlich der Pflicht, das Leben selbst und dessen natürliche Grundlagen zu bewahren, um den Planeten auf Dauer bewohnbar zu erhalten. Sie ist – in den Worten des kürzlich verstorbenen Südtiroler Soziologen, Künstlers und Bergsteigers Hans Glauber – „ein neuer zivilisatorischer Entwurf“. Dessen Koordinaten aber lauten: „Langsamer, weniger, besser, schöner.“
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© DIE ZEIT Nr. 31 vom 24. Juli 2008

Der Autor

Ulrich Grober ist Publizist, lebt in Marl. Sein Buch „Die Erfindung der Nachhaltigkeit – Epos eines Begriffs“ erscheint im März 2010 im Verlag Antje Kunstmann, Münc


Foto im Artikel gelöscht wegen fehlender Copyright-Angabe. 4.4.24


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