Die Zahl der Paar-Haushalte, in denen beide Partner ungefähr gleich viel zum Einkommen beitragen, ist in Ostdeutschland mit rund 44 Prozent deutlich höher als in Westdeutschland (rund 28 Prozent). Sie ist in den letzten 20 Jahren in den neuen Ländern praktisch unverändert geblieben, während sie im Westen etwas anstieg. Die übergroße Mehrheit der ostdeutschen Frauen ist wirtschaftlich für sich selbst verantwortlich. Die Hausfrauenehe ist fast bedeutungslos. Bei knapp drei Viertel aller Paare in Ostdeutschland sind beide Partner erwerbstätig. Teilzeitarbeit spielt für Frauen im Osten ebenfalls eine geringere Rolle als im Westen. Auch 20 Jahre nach dem Mauerfall unterscheiden sich damit Paare in Ost- und Westdeutschland beim Erwerbsverhalten deutlich. Das zeigt eine Untersuchung von Christina Klenner, Forscherin am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung.
Zu Beginn der 1990er-Jahre hatten Frauen in den neuen Bundesländern einen Gleichstellungsvorsprung gegenüber ihren Geschlechtsgenossinnen im Westen. Die allmähliche Abkehr vom männlichen Ernährermodell hatte mehr als eine Generation früher begonnen. Die Anreizwirkungen des nun gesamtdeutschen Steuer- und Sozialsystems hätten nun dazu beitragen können, dass Frauen vom Arbeitsmarkt wieder verdrängt werden. Bislang ist das ostdeutsche Geschlechtermodell jedoch in seinen Grundzügen erhalten geblieben, resümiert Klenner: „Von einem Rückfall in alte Muster, also in eine Re-Traditionalisierung der Geschlechterverhältnisse, kann keine Rede sein“, so die Wissenschaftlerin. „Es ist im Gegenteil eher so, dass sich die Zahlen für Westdeutschland denen von Ostdeutschland annähern. Das männliche Ernährermodell ist weiter auf dem Rückzug.“
Auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) hat die WSI-Forscherin die Einkommensverhältnisse von Paarhaushalten mit und ohne Kinder analysiert. Zentrales Ergebnis: Dass beide Partner erwerbstätig sind, ist in Ostdeutschland nach wie vor die Regel. Zweiverdienerpaare dominierten im Jahr 2007 mit 72 Prozent. Rechnet man die Haushalte mit einem arbeitslosen Partner hinzu, ist die Quote mit 83 Prozent genauso hoch wie 1990. Lediglich 6 Prozent der Frauen in Paarhaushalten nehmen nicht am Erwerbsleben teil, führen also eine klassische Hausfrauenehe. In Westdeutschland liegt ihr Anteil bei 20 Prozent, ist im Vergleich zu 1990, als es 34 Prozent waren, aber deutlich gesunken.
Teilzeitarbeit spielt für Frauen im Osten ebenfalls eine geringere Rolle als im Westen. Am häufigsten arbeiten beide Partner in Vollzeit.
Allerdings: Die Zahl der Paare mit teilzeitbeschäftigter Frau nahm seit 1990 stetig zu – von 16 auf 28 Prozent. Parallel sank der Anteil der Vollzeit-Vollzeit-Paare von 65 Prozent auf 41 Prozent. Ein Hinweis auf traditioneller werdende Geschlechterarrangements? Kaum, zeigt Klenner unter Hinweis auf die Einkommensrelationen: Inzwischen gibt es sogar weniger Paare mit einem männlichen Haupternährer.
Dagegen sind ostdeutsche Frauen heute häufiger selbst die Hauptverdienerinnen als zum Zeitpunkt der Deutschen Einheit. Ihre Einkünfte sind jedoch teilweise sehr niedrig. Damit gilt: Ohne die Arbeitslosigkeit und unfreiwillige Teilzeit oder Minijobs würden noch mehr Freuen ein eigenes, ihre Existenz sicherndes Einkommen erzielen, so die Forscherin. Ein Wandel hin zu einem traditionelleren Geschlechterverhältnis lässt sich somit aus den Daten nicht ablesen. Die berufliche und soziale Ungleichheit von Männern und Frauen besteht jedoch auch in Ostdeutschland fort:
- Die Hierarchien sind zwar etwas flacher, in Führungspositionen sind Frauen aber unterrepräsentiert.
- Sie haben auch weniger Freizeit. Denn die unbezahlte Familienarbeit ist auch im Osten eher Frauensache.
- Weibliche Beschäftigte verdienen im Schnitt weniger. Die geschlechtsspezifische Einkommenslücke ist insgesamt kleiner als in Westdeutschland, junge Frauen sind allerdings stärker davon betroffen als ältere.
Dennoch: Der Wille zur Unabhängigkeit ist bei den ostdeutschen Frauen tief verankert. Dies zeige sich auch an der Einstellung zur Ehe, so Klenner. Sie gilt im Osten kaum als die typische Form der Absicherung von Mutter und Kindern – trotz steuerlicher Anreize: Im Jahr 2008 wurde weit mehr als die Hälfte aller Kinder von ledigen Müttern geboren. Im Westen war es nur ein Viertel. Auch ist es in Ostdeutschland stärker akzeptiert, dass beide Eltern arbeiten und Kinder in öffentlichen Einrichtungen betreut werden.
Die Studie
Christina Klenner: Wer ernährt die Familie? Erwerbs- und Einkommenskonstellationen in Ostdeutschland, in: WSI-Mitteilungen, 11/2009