Oliver Stoltz hat mit dem Iraner Ali Samadi Ahadi einen Film über Kindersoldaten in Uganda gedreht, “Lost Children”. Während der Dreharbeiten und der Beschäftigung mit dem Thema merkte er, dass es ihm nicht reichte, einfach Fakten zu dokumentieren. Es genügte ihm nicht, aujf den vergessenen Krieg im Norden Ugandas aufmerksam zu machen, die Auseinandersetzung zwischen der Regierung von Uganda und einer obskuren Guerilla-Bewegung, “His Lord’s Resistance Army” (LNR). Er startete mit seinem Film eine Kampagne zur Unterstützung der Kinder. Und er versuchte, mit dem Film polituischen Einfluss zu nehmen, die Regierung von Uganda unter Drück zu setzen. Ihm gelang es, beträchtliche Sommen Geld zu sammeln und unter anderem auch im Deutschen Bundestag angehört zu werden. Er hat also die Rolle des traditionellen Kriegsberichterstatters verlassen.
Ich frage ihn, ob er sich vorstellen könne, ein aktueller Kriegsberichterstatter zu sein.
Kriegsberichterstattung, wie er sie wahrnimmt, komprimiert komplizierte Ereignisse in eineinhalb Minuten für die Tagesschau und reduziert sie auf spektakuläre Bilder, auf Massaker zu Beispiel. Das interessiert ihn nicht. Weder die beteiligten Personen noch die Hintergründe des Konflikts werden damit deutlich. Er erinnert sich an Dokumentationen, die ihm gefallen haben, Peter Scholl-Latours “Tod im Reisfeld” zum Beispiel. Hier erfahre man zumindest etwas über die Menschen, um die es geht. Wenn aber der Sendeplatz fehle – und das sei heute immer öfter der Fall, sei eine solche Berichterstattung nicht möglich.
Massgeblich ist seinem Eindruck nach für die wichtigsten Medien der Unterhaltungswert. Schwere Kost verkauft sich nicht und wird deshalb gemieden. Quoten seien wichtiger als Inhalte. Was den Zuschauer zu interessieren habe, werde an den Quoten gemessen Die Folge: Es ei keine Zeit vorhanden, sich mit den Themen und vor allem mit den Menschen auseianansderzusetzen.
Oliver Stoltz fragt sich, warum alle Medien gleichzeitig und oft genug mit den gleichen Bildern und Informationen über einen Konflikt berichten müssen. Mit meinem Einwand, dass das nun einmal zu dem von Konkurrenz geprägten Medienmarkt gehöre, kann er nichts anfangen.
Dementsprechend fällt auch die Antwort auf die Frage aus, ob er sich eine Alternative zur derzeit üblichen Kriegsberichtersttung vorstellen könne.
“Ich gehe von dem aus, was mich interessiert, und nicht, was der Markt erwartet. Die Vereinfachung und die Verkürzung stören mich. Ein Konflikt gleicht dem anderen, und die Ursachen kommen zu kurz.” Nach der Meinung von Oliver Stoltz kann aktuelle Kriegsberichterstattung mehr leisten. Es sei auch eine Frage des Standpunkts: Sind die Interessen der westlichen Welt, aus der man kommt wichtig? Sollte man nicht von den Interessen der Betroffenen, der Opfer ausgehen? Kann man nicht wirtschaftliche Interessen, die eine Rolle spielen, vorurteilsfrei analysieren? Oft reduzieren sich die Opfer auf reine Zahlen, auf den seit dem Vietnam-Krieg berüchtigten body-count.
Oliver Stoltz überlegt, ob es nicht ein Ausweg sei, sich mehr auf Einzelschicksale zu konzentrieren, sieht allerdings ein, dass das untzer Umständen eine schwierige Gratwanderung ist. Er stimmt meinem Einwand zu, dass eine Beschränkung auf Einzelschicksale die Gefahr mit sich bringe, sentimentalisierend und banalisierend zu wirken. Ein wesentliches Hindernis für eine sinnvolle Kriegsberichterststtung sieht er darin, dass die Sendezeiten und auch der Platz in den Zeitungen immer weiter gekürzt werden. Oft genug würden sogenannte leichte oder bunte Themen vorgezogen, weil sie angeblich mehr dem Zuschauerinteresse entsprächen. Das zeige sich besonders im Fernshen an Magazinen wie dem Weltspiegel oder dem Auslandsjournal.
Auf die Frage, wie er seine eige ne Tätigkeit als Dokumentarfilmer im Unterschied zur aktuellen Kriegsberichterstattung beurteile, antwortet Stoltz kategrorisch:
“Mich interessieert das Informative nicht so sehr. Eher das Emotionale. In Uganda ging es mir darum, dass Kinder, die als kleine Monster stilisiert werden, auch andere Seiten haben. Dass sie zu diesen Monstern gemacht wurden. Mir geht es um die Empathie mit den Kindern. Ich will keine Schockbilder. Ich will die Kinder als Menschen, als zutiefst verletzte Menschen zeigen.”
Jeder Krieg hat Täter, Opfer und Überlebende. Und oft genug sind die Täter auch Opfer. Und die Überlebenden beides.Um die komplizierte Beziehung zwischen diesen drei Gruppen geht es Oliver Stoltz. Erst wenn man diese Beziehung verstehe, ergebe sich ein nachvollziehbares Bild des Krieges. Er selbst sieht sich aber in der Solidarität mit den Opfern. Es reicht ihm nicht, auf ihr Leiden hinzuweisen, es darzustellen: Er will ihnen mit seinem Film aktiv helfen. Aus der Position des sogenannt objektiven Beobachters heraustreten und in ihrem Interesse aktiv werden. Der Film wird also zu einem politischen Werkzeug.
Mit dieser Position geht es über die Rolle der traditionellen Kriegsberichterstattung hinaus. Können Dokumentarfilme oder eventuell Spielfime, Doku-Fiktionen mehr leisten als die aktuelle Kriegsberichterstattung? Sie ergänzen und erweitern?
“Die aktuellen Informationen setzen die Saat, machen auf das Problem aufmerksam, machen vielleicht sogar neugierig. Darauf lässt sich aufbauen. Man kann eine Situation über zwei, drei Jahre beobachten, sich mit den verschiedenen Aspekten des Konfliktes beschäftigen, die Hintergründe erforschen. Man darf sich natürlich nicht unter Zeitdruck setzen lassen.” Stoltz gesteht mir zu, dass dazu der aktuelle Reporter nicht in der Lage ist. .Aber nur mit der Ergänzung und Erweiterung der akltuellen Informationen lassen sich die Zusammenhänge und Dimensionen eines Krieges verstehen.
Der Spielfilm hat nach Stoltz andere, vielleicht weiterreichende Möglichkeiten als der Dokumentarfilm. Er spricht mit einer entwickelten fiktiven Story das Unterhaltungsbedürfnis eines breiteren Publikums an. Beispiele dafür sind die Filme von Winterbottom über Afghanistan, oder Filme wie Blood Diamods, Trade, Killing Fields oder Under Fire. Natürlich bestehe die Gefahr, dass im Spielfim die Probleme simplifiziert und sentimentalisiert werden, dass sie der attraktiven Story, zum Beispiel einer Liebesgeschichte zum Opfer fallen. Gift für einen Spielfim sei aber ein didaktisch erhobener Zeigefinger.
Für sich selbst hat Oliver Stoltz eine Lösung gefunden: Mit dem Film greift er in das Geschehen ein, versucht, eine politische Wirkung zu erzielen. Gibt sich nicht mit der Zuschauer-, mit der Beobachterrolle zufrieden, sondern engagiert sich und will Einfluss nehmen.
© Hans Hübner, 27.11.2007