17. August 2010 | Buchrezension

Kommt ein Land zum Analytiker

von Anja Maier (taz). Berlin


Für die Neuauflage seines Bestsellers „Der Gefühlsstau“ schrieb Hans-Joachim Maaz ein aktuelles Vorwort. Die Deutschen, so der Psychoanalytiker, leiden unter einer „Wachstumsideologie mit Suchtcharakter“.

Lesezeit 3 Minuten
Taz - Die Tageszeitung

Kürzlich in der Redaktion. Es gibt Streit, alle reden durcheinander. Da bittet die Kollegin, man möge einander mal zuhören, so käme man nicht weiter. „Du kommst von drüben“, schnappt der Chef, „deshalb kannst du gar nicht wissen, wie streiten geht.“

Er hat recht. Die Kollegin ist, als einzige im Raum, aus dem Osten. Es ist beileibe nicht das erste Mal in den letzten zwanzig Jahren, dass sie auf diese fast nette Weise diskriminiert wird. Und heute ist nicht der letzte Tag, an dem sie das grinsend wegsteckt. Sie will ja dazugehören. Gleich 1990 hat sie versucht, sich zu lösen aus dem repressiven Urschleim der größten DDR der Welt, hat sich gefragt, wo komm ich her, was hat’s mit mir gemacht. Antworten hat sie in einem Buch gefunden. „Der Gefühlsstau“ heißt es, geschrieben hatte es Hans-Joachim Maaz, ein Psychoanalytiker aus Halle.

Nun ist dieser Bestseller der Nachwendezeit neu aufgelegt worden. Wer reinliest, erkennt sich und sein komisches Leben wieder: der Mangel an Waren, der Mangel an Gefühlen, der Mangel an Ehrlichkeit (der vor allem). Für diese Ausgabe hat Hans-Joachim Maaz hat ein neues Vorwort geschrieben, seitenweise Bitterkeit. „Die Sozialisationsziele von Dominanz im Westen und Anpassung im Osten“, schreibt der 67-Jährige, „haben sich in der Vereinigung als eine kollektive Herrschafts-Unterwerfungs-Kollusion zusammengefunden.“ Was Maaz zu sagen versucht, ist, dass sich seit 1989 die Deutschen natürlich aufeinander zubewegt haben. Nur leider haben sich alle für die gleiche starke Droge entschieden: Geld. „Der Sozialismus ist gescheitert“, schreibt Maaz, „weil die Menschen mehr haben wollten, als zur Verfügung stand. Der Kapitalismus scheitert, weil die Menschen mehr konsumieren, als sie verdient haben.“ Die Wurzeln dieser gemeinsamen „Wachstumsideologie mit Suchtcharakter“ findet Maaz in der deutschen Geschichte. So wie die DDR nach 1945 den „Untertan“ durch Unterwerfung hervorbrachte, so war dies im Westen der „Obertan“, der mit sozialem Erfolg auch Verlierer produziert und damit die Angst um gesellschaftlichen Abstieg potenziert. Dieser Wunsch „dazuzugehören, Sieger zu sein“, erzwinge Anpassung und Wohlverhalten.

Deutschland heute ist für Maaz ein Land der Marktwirtschaftsknechte: „Der Kampf um die zu knapp gehaltene Ressource Arbeit hat eine repressivere Wirkung, als sie durch einen Überwachungsstaat erreicht werden konnte.“ Die Enge, in die die DDR ihre Bürger gepresst hat, war laut Maaz „halbwegs berechenbar. Demgegenüber sind die Mechanismen, die zur Arbeitslosigkeit führen, ganz und gar nicht berechenbar.“ Konsumterror schlimmer als Überwachungsstaat? Starker Tobak.

Keine Analyse ohne Therapie. Was rät der Psychoanalytiker dem deutsch-deutschen Paar, das sich seit zwanzig Jahren anpöbelt? Maaz empfiehlt Entzug. „Der demokratische Reifeschritt von Ost- wie Westdeutschen erfordert Emanzipation – weg vom materiellen Wachstum, hin zur innerseelischen Demokratie einer Beziehungskultur.“ Dafür, meint Maaz, sei der Moment der Krise günstig. Also Schönheit der Armut? Dann doch lieber schnell noch einen Yogaworkshop in Andalusien buchen oder ein Solardach finanzieren. Schließlich, und das findet bei Maaz keinen Platz, gibt es längst viele Nachgeborene, die sich ihr Stück vom kapitalistischen Glückskuchen nicht wegnehmen lassen werden.

Das Buch

Hans-Joachim Maaz: „Der Gefühlsstau. Psychogramm einer Gesellschaft“. C. H. Beck 2010, 288 S., 14,95 Euro



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