21. Februar 2012 | Ökonomie

Geschenkte Kartoffeln und Geld umsonst

von Heike Holdinghausen (taz). Berlin


Energieautarke Dörfer, eine Chemie ohne Erdöl und Banken, die Geld verwalten und nicht verzocken. Annette Jensen setzt dem Bruttosozialprodukt das Bruttosozialglück entgegen.

Lesezeit 3 Minuten

Wer prägende Ereignisse unserer Zeit beschreiben möchte, verfällt unweigerlich auf den Begriff „Krise“. Zu lösen ist eine Finanzkrise, im Hintergrund lauert die Klimakrise, in den armen Ländern drohen Hungerkrisen. Ein Krisengipfel folgt dem nächsten, die wenigen Damen dort bilden Farbtupfer auf den Gruppenfotos. Von Herren in grauen Anzügen erwartet die Journalistin und taz-Autorin Annette Jensen allerdings keine Lösungen. Darum ist sie losgefahren, quer durch die Republik, durch die Schweiz und Österreich, um Geschichten zu suchen „Von Menschen, die anders wirtschaften und besser leben“.

Gefunden hat sie zum Beispiel Andrea Kasper. Sie ist stellvertretende Vorsitzende einer Genossenschaft, die in dem kleinen Ort Schienen am Bodensee einen Laden betreibt. Für ein eigenes Geschäft ist Schienen mit 700 Einwohnern viel zu klein – das lohnt sich erst ab drei- bis fünftausend Seelen. Aber Frau Kasper wollte nicht mehr mit ansehen, wie nach der Post, der Sparkasse und den Gastwirtschaften auch noch der Lebensmittelladen zumachte. Nicht nur, dass im Dorf praktisch nur noch wohnen konnte, wer über einen Führerschein verfügte. Es fehlte auch ein Treffpunkt. Zusammen mit Gleichgesinnten gründete sie die Genossenschaft, überzeugte den Gemeinderat, gewann ehrenamtliche Helfer und Sponsoren. Heute läuft der Laden in Schienen gut. „Wenn man so was anfängt, muss man einfach dran glauben, dass es geht – und dann geht es auch“, sagt Kasper in dem Buch. Der Satz ist Programm.

Zwar werden die katastrophalen Folgen der globalisierten Wirtschaft – in den Sektoren Energie, Verkehr, Produktion, Landwirtschaft und Banken – beschrieben. Aber nur kurz. Ausführlich kommen diejenigen zu Wort, die Alternativen entwickeln, vor Ort. Pragmatische Ingenieure, die für Kleinstädte eine autarke Energieversorgung organisieren werden mit eben soviel Empathie vorgestellt wie Hippies, die ihre Brandenburger Kartoffeln an Berliner verschenken. Hauptsache, sie untergraben vermeintlich „alternativlose“ Strukturen, die doch nur Konzernen oder Reichen nutzen. Da ist der Direktor der letzten selbstständigen Raiffeisenbank Deutschlands in Baden-Württemberg, dessen „Kässle“ keine Finanzkrisen kennt, genauso wie der Aachener Maschinenbauingenieur Wolf von Fabeck, der gedankliche Vater des erfolgreichen Erneuerbare-Energien-Gesetzes, das den Boom von Wind- und Sonnenkraft ermöglicht hat. Die Protagonisten in Jensens Buch eint ihre Fantasie, Sturheit und oft die Liebe zu ihrer Wahlheimat.

Die Autorin will zeigen, was geht, will anstiften und ihre Leserinnen ermuntern, selbst aktiv zu werden. Darum finden sich nach den Problemanalysen und Projektbeschreibungen oder Porträts immer wieder Internetadressen von Initiativen zum Recherchieren oder um Erfahrungen austauschen.

Bei allem Optimismus, der hinter diesem Buch steht, ist Jensen keineswegs naiv. „Was ansteht, ist ein Machtkampf“, stellt sie fest. Es gehe um nichts weniger als die Frage, „ob die Menschheit Auswege findet aus einer Wirtschaftsweise, die auf weltweit agierende Großstrukturen setzt und in ungeheurem Maßstab zerstörerisch wirkt“. Und wendet sich mit ihrem Buch an all diejenigen, die sich vor Krisen nicht mehr fürchten, sondern sie anpacken wollen. Am liebsten in ihren eigenen Klamotten.

Annette Jensen: „Wir steigern das Bruttosozialglück. Von Menschen, die anders wirtschaften und besser leben“. Herder Verlag, Freiburg 2011, 240 Seiten, 15,40 Euro

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