22. Mai 2008 | Bildung

Islam in der Schule

von Rabeya Müller.


Eine Radikalisierung junger Muslime auch in Deutschland kann nur durch Aufklärung und Bildung entgegen getreten werden. Kinder und Jugendliche, die gelernt haben, dass auch der Qur’an fordert kritisch nachzudenken und nachzufragen werden sehr viel seltener „Spielball“ von Demagogen. Und wo sollten sie ein entsprechendes Wissen über die eigene Religion nicht lernen, wenn nicht in einem deutschsprachigen Islamunterricht?!

Lesezeit 6 Minuten

Was war

Die erste Generation der Musliminnen und Muslime, die bewusst in die Bundesrepublik wahrgenommen  wurde, bestand in der Mehrheit aus Arbeitsmigranten und -migrantinnen. Selbst als sie ihre Familien nachholte bestand immer noch die Idee, dass sie irgendwann in ihre Ursprungsheimat zurückkehren würde. Diese Menschen versuchten ihren Kindern das von ihrer Religion mitzugeben, was sie als ‚Islam’ gelernt hatten. Vielfach handelte es sich dabei um Traditionen des jeweiligen Landes, die nicht immer oder besser gesagt meist selten etwas mit islamischer Theologie zu tun hatten. Das heißt der 2. Generation wurde vieles als ‚islamisch’ vermittelt, was in Wirklichkeit aus ethnisch bedingten Traditionen übernommen worden war. Die Kinder dieser Generation sind heute erwachsen und meist selbst Eltern, sie haben oft keine Korrelation zwischen ihrem Alltagsleben und ihrer Religion herstellen können und bewahren gerade die tradierten Vorstellungen als religiöses Gut, dass es zu verteidigen gilt. Daraus hat sich häufig das Gefühl entwickelt, dass eine Veränderung, gleich welcher Art, ein Vergehen gegen die Religion und damit indirekt gegen Gott selbst darstellt. Damit war eine Stagnation vorprogrammiert.

Was ist

Sowohl die Großeltern als auch die Elterngeneration haben mittlerweile die Notwendigkeit der Verbalisierung religiöser Inhalte erkannt, wobei sich die Großeltern ihrer häufig vorhandenen Sprachschwierigkeiten und die Eltern ihres mangelndes Sachwissens bewusst sind. Die nichtmuslimische Gesellschaft fordert immer öfter Erklärungen über religiöse Inhalte, auch von Kindern. Die Hoffnungen ruhen somit auf der 3. und 4. Generation, die aber weder in ausreichendem Masse gelernt hat die tradierten religiösen Werte z.B. in Deutsch wiedergeben zu können, noch hat sie die Chance bekommen zwischen Traditionen und religiösen Inhalten zu unterscheiden. Von ihnen wird erwartet, dass sie mit der in der Schule erlernten Sprache die Traditionen des Elternhauses einerseits und die Werte sowohl der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft als auch der muslimischen Gemeinschaft andererseits, den Islam verstehen und ihn weitergeben können.

Warum

Es lastet also ein ungeheurer Erwartungsdruck auf den Kindern und Jugendlichen. Ein adäquater Islamischer Religionsunterricht kann nicht nur den unzulässigen Druck nicht nur mildern, sondern ganz erheblich zu einem friedlichen Miteinander beitragen. Einerseits kann die, auch im Islam, erwünschte Möglichkeit der eigenen Reflexion und Entscheidungsfindung belebt werden, ohne dass befürchtet werden muss die Religion sei in Gefahr. Andererseits beugt ein entsprechendes Wissen über die eigene Religion der Radikalisierung vor. Kinder und Jugendliche, die gelernt haben, dass auch der Qur’an fordert kritisch nachzudenken und nachzufragen werden sehr viel seltener „Spielball“ von Demagogen.
Es ist unabdingbar, dass ein solcher Unterricht in der jeweiligen Landessprache, in unserem Fall also in Deutsch, abgehalten werden muss. Das heißt aber auch, dass die Schülerinnen und Schüler etwas lernen, was die Generationen vor ihnen meist nicht hatten – sie denken in dieser Sprache über die eigene Religion nach, stellen Fragen und versuchen ihre Vorstellungen auch anderen verständlich zu machen. Dies hat das „Weiterdenken“ zur Folge, welches für eventuelle Entwicklungsimpulse für den Islam in Deutschland eine Basis darstellen könnte – eine Chance, nicht nur für Europa, sondern auch, langfristig betrachtet, darüber hinaus. 

Ursachen und Nebenwirkungen

In vielen Bundesländern ist die Notwendigkeit eines Islamischen Religionsunterrichts oder auch eines kundlichen Islamunterrichts schon lange erkannt und auch vielfach schon umgesetzt worden. Gegner finden sich auf zwei Ebenen: einmal eine, zugegebenermaßen noch kleine Gruppierung, die grundsätzlich der Meinung ist, dass Musliminnen und Muslime in Deutschland fehl am Platze seien und die Etablierung eines solchen Unterrichts die Anwesenheit dieser Bevölkerungsgruppe verfestigt. Ebenso gibt es eine Gruppe, die der Meinung ist, dass Religion grundsätzlich nichts mehr im öffentlichen Leben und somit in der öffentlichen Schule zu suchen habe.
Die letztgenannten wenden sich somit allerdings auch gegen einen christlichen und jüdischen Religionsunterricht. Diese Diskussion sollte dann eine gesamtgesellschaftliche sein, unabhängig davon, ob es sich bei der jeweiligen Religionsgemeinschaft um eine mit dem Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts (u.a. Judentum und Christentum) handelt oder nicht (der Islam besitzt diesen Status noch nicht).
Dabei geht es nicht vor allem auch um die Frage der Integration. Muslimischen Kindern und Jugendlichen ist viel eher das Gefühl des ‚Zugehörigseins’ zu vermitteln, wenn sie feststellen, dass auch ihre Religionszugehörigkeit wahr genommen und ernst genommen wird und somit ihre Religion ‚in der Schule angekommen ist’. Das reduziert das Gefühl des Marginalisiert – Seins, auf das muslimische Schülerinnen und Schüler ohnehin bereits sehr sensibel reagieren.
Im Grunde gab es bis weit in die achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts hinein eine durchaus positive Einstellung zu einem Islamischen Religionsunterricht in der Deutschen Schule. Auch Lehrerinnen mit Kopfbedeckung waren lange Zeit  kein Thema in der Öffentlichkeit. Zugespitzt hat sich die Lage nach dem allseits bekannten Kopftuchstreit in Baden-Württemberg. Die eingereichten Klagen führten letztendlich zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts mit der Auflage an die einzelnen Bundesländer erst einmal Gesetzesgrundlagen für ein Kopftuchverbot zu schaffen. Dem sind bis heute zahlreiche Bundesländer nachgekommen, was im Gegenzug wieder zu zahlreichen Klagen gegen diese Gesetze geführt hat. 
Problematisch ist die unterschiedliche Handhabung in den einzelnen Bundesländern, vor allem in den Bereichen, in denen eine Symbolzuschreibung erfolgt, in der sich die betroffenen muslimischen Lehrerinnen nicht wiederfinden, z.B. der aus der Türkei und Frankreich (beides Staaten mit einer laizistischen Ausrichtung),importierte Vorwurf, das Kopftuch sei ein politisches Symbol. Das mag für eine kleine Gruppierung zutreffen, aber für den Großteil, der bis dahin bereits im Schuldienst mit Kopftuch tätigen Lehrerinnen, ist er haltlos.
Als besonders prekär erweist sich des Weiteren die Behauptung Kreuz und Kippa seien friedliche Symbole, das Kopftuch aber ein unterdrückerisches und undemokratisches. Es wird offenbar ein ‚Stellvertreterkampf’ im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Kopf von Frauen ausgetragen und sie werden im Hinblick auf ihr Geschlecht in besonderem Maße diskriminiert.
Männliche muslimische Lehrer bleiben völlig außen vor in dieser Diskussion und die konnotierte Vorstellung, die Gefahr gehe von kopftuchtragenden Frauen aus ist mehr als bedenklich. Zudem spielt das Kopftuchverbot in einigen Gruppierungen den Ultra-orthodoxen in die Hände. Junge Frauen, die anfänglich großes Interesse am Lehrerinnenberuf gezeigt haben, dessen Ausübung ihnen nicht nur eine gewisse gesellschaftliche sondern auch ökonomische Selbstständigkeit ermöglicht hätte, befürchten die Ausdehnung dieses Verbots auf andere Berufszweige (mittlerweile gibt es schon lokal  Kopftuchverbote für Kindergärtnerinnen) und lassen sich zunehmend in die Hausfrauen -und Mutterrolle zurückdrängen.
In verstärktem Maße wird auch im nichtmuslimischen Teil der Gesellschaft nicht mehr der Unterschied zwischen säkularem Rechtsstaat und Staaten mit laizistischer Verfassung unterschieden. Während im erstgenannten, auch nach der Definition des Bundesverfassungsgerichts, der Staat alle Religionsgemeinschaften in gleicher Weise fördern soll, ist z.B. in der Türkei theoretisch alles Religiöse aus öffentlichen Räumen zu verbannen.

Was sein kann und (wahrscheinlich) auch sein wird

Die ungelöste Problematik, wie mit dem/der ‚Anderen’ umgegangen werden soll, ohne eine Assimilation zu fordern, wird auf die Frauen – und Religionsunterrichtsfrage fixiert und dabei unzulässig verschärft.
Unzulässig auch in dem Sinne, dass ein geordneter Islamischer Religionsunterricht in der deutschen Schule wie der Unterricht anderer Religionsgemeinschaften dem deutschen Schulgesetzt unterliegt. Die Religionsgemeinschaften reichen ihre Lehrpläne ein, deren Verfassungskonformität von den jeweiligen Kultusministerien überprüft wird und auch von diesen zu genehmigen ist. Die Schulbücher unterliegen ebenfalls dieser Genehmigungspflicht. In einzelnen Bundesländern sind und werden bereits Lehrstühle an deutschen Universitäten errichtet, um die künftigen Lehrkräfte auszubilden.
Natürlich liegt hier, wie bei allen anderen Gemeinschaften und auch Fächern, die Schwachstelle. Denn genau mit diesen Lehrkräften steht und fällt der Unterricht. Was tun diese mit den vorgegebenen Plänen und Materialien? Wieweit hat die pädagogische und theologische Ausbildung gefruchtet?
Zunächst einmal unterliegen diese Lehrkräfte den deutschen Schulgesetzen und eventuell auch dem Beamtenrecht. Das bedeutet, dass bei Fehlverhalten disziplinarische Maßnahmen ergriffen werden können, um u.a. auch die Schülerinnen und Schüler zu schützen. Ähnlich wie im Geschichtsunterricht tendenziöse Unterrichtsführung z.B. der sog. „Ewig-Gestrigen“ geahndet wird bzw. werden sollte.
Die Etablierung des Islamischen Religionsunterrichts und auch des Islamunterrichts würde auch die muslimischen Gemeinschaften in die Pflicht nehmen Mitverantwortung für diesen Unterricht zu tragen. Sie haben dies bisher bei der Erstellung von Lehrplänen tun dürfen, aber auch das Partizipieren an der realen Umsetzung dieses Unterrichts wird Früchte tragen. Es hätte u.a. den Vorteil einige Gruppierungen mit der tatsächlichen Lebenswelt der muslimischen Schülerinnen und Schüler zu konfrontieren und die Alltagsprobleme, die ein solcher Unterricht mit sich bringt, anzugehen. Es ist sinnvoller jemanden Kompetenz für eine Sache zu übertragen, denn es bedeutet ebenfalls die Verantwortung für die Ergebnisse mitzutragen.

Integration ist gewünscht, wir müssen allerdings gesamtgesellschaftlich auch definieren, wann dieselbe abgeschlossen ist, denn dann beginnt die Normalität, die hoffentlich von allen Seiten gewünscht wird.
Vielleicht ließe sich mit einem Leitsatz starten, der bereits vor mehr als fünfzehn Jahren im IPD geprägt wurde: „Der Islam ist ebenso europäisch wie Judentum und Christentum – sie alle stammen aus dem Orient!“

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Die Autorin

Rabeya Müller ist Leiterin des Instituts für Interreligiöse Pädagogik und Didaktik (IPD Köln). Das IPD entwickelt Unterrichtsmaterialien und Curricula sowie interreligiöse und interkulturelle Bildungstheorien und Unterrichtskonzepte.  Zudem ist sie stellvertretende Vorsitzende des Zentrums für islamische Frauenforschung und Frauenförderung. Demnächst erscheint von ihr:  „Sapir“, Religionsbuch für junge Musliminnen und Muslime, hg. Von Lamya Kaddor, Rabeya Müller, Harry Harun Behr, München (Kösel) 2008.


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