Das Einkaufszentrum könnte auch in Düsseldorf oder Köln seine Waren feilbieten – auf den ersten Blick. Auf den zweiten staunt selbst der vom Konsumrausch abgestumpfte Europäer oder Amerikaner. 10er-Packungen von der Sardinendose über Cornflakes und Zwieback bis zur Maxi-Kuchenbox reihen sich aneinander. Extragroße Einkaufswagen helfen den Kunden die stets an einen Hamsterkauf erinnernden Warenberge zur Kasse und danach im klimatisierten Luxus-Jeep nach Hause zu befördern. Dubai: Eine Oase des Konsums, aber auch der aus dem Boden gestampften 5-Sterne Hotelanlagen – eines ambitionierter und fantastischer als das nächste.
Höher, schneller, weiter
Ob Top-Tennisspieler auf dem Hubschrauberlandeplatz des mittlerweile weltberühmten „Bourgh al Arab“ auf ganzseitigen Bildern in deutschen Illustrierten ein Spiel zum Besten geben oder der Stern eine Reportage über die beiden künstlichen, viele hundert Luxushäuser beherbergenden Inseln „The Palm“ oder „The World“ bringen: Dubai ist in aller Munde. Spektakulär ist das „höher, schneller, weiter“ schon, was die PR-Maschinerie der Scheichs Monat für Monat meldet. Rechtfertigen die größenwahnsinnig anmutenden Eskapaden einer Gruppe milliardenschwerer Weißkittel aber den übertrieben hohen Stellenwert dieses kleinen Fleckens Wüste am Nordrand der Golfhalbinsel? Oder ist das Thema „Dubai“ einfach nur eine dankbare Aufgabe für Zeitungs- und Zeitschriftenredakteure kurz vor dem Rentenalter? Wer weiß? Bei der Fülle an Berichterstattung drängt sich jedenfalls der Verdacht auf, dass ein Text über die chaotischen Zustände im Kongo mit Spendenaufruf dringlicher wäre.
Rekorde für Luxustourismus
Die Relevanz Dubais für Europa und die Welt hat in zwei dürren Worten Platz: Öl und Geld. Letzteres wollen die Scheichs gut angelegt wissen, damit nach dem Versiegen der Ölquellen aus dem blühenden Kleinod mit der an New York erinnernden, ständig wachsenden, Skyline keine Geisterstadt zurückbleibt: Verschlungen vom Wüstensand, vergessen für immer. Der Schlüssel für die Scheichs heißt Tourismus oder besser Luxustourismus, denn Rucksacktouristen sind Dubais Staatsoberhaupt Scheich Mohammed zufolge nicht die Zielgruppe für die Werbestrategen am Golf. Um ein Magnet für diese Klientel zu werden und zu bleiben gilt es Rekorde zu brechen: Das künftig höchste Geschäftsgebäude der Welt, der „Tower Dubai“, ist schon im Bau. 24 Stunden am Tag rattern die Generatoren, bewegen sich die Kräne und erklingen die Geräusche von verlegten Bauteilen, wahrend bei tagheller Beleuchtung ein Meer von Arbeitern die nötigen Handgriffe tätigt. Derweil steigen die Zahlen der Hinzuziehenden pro Monat in die zehntausende, während die 10-spurigen Autobahnen der Stadt die vielen glitzernden Luxuskarossen nicht mehr zu fassen vermögen. Doch sofort planen die Verkehrsstrategen eine weitere aberwitzige Lösung. Da sie sich hier um Proteste von Anwohnern oder Naturschützern nicht sorgen müssen, können sie schnell vorgehen. Die Pläne für die berstenden Verkehrswege liegen auf dem Tisch: Wenn in der Breite nichts mehr geht, wird einfach nach oben ausgewichen. Demnächst sollen Brücken auf zwei Ebenen entstehen.
Moderne Sklaverei?
Die meisten Neu-Dubaianer stammen aus den Armenhäusern Asiens Indien und Pakistan. Viele Hunderttausende dienen den Scheichs, die mittlerweile im eigenen Land in der Minderzahl sind. Das Arbeiten haben sie sich in der Regel abgewöhnt, man trifft sie allenthalben mit dem Gebetskettchen in der Hand und in Begleitung ihrer zahlreichen verschleierten Ehefrauen etwa beim „Shop until you drop“ in den klimatisierten Shoppingmalls. Im Gold- und Gewuerzsukh feilschen Iraner, beim Bauchtanz bewegen syrische und libanesische Tänzerinnen anmutig die Hüften. Doch die Macht halten die arabischen Ölmagnaten weiter fest in ihren Händen. Die Masse der Gastarbeiter lebt bescheiden, bar vieler Rechte, jederzeit nur wenige Tage von einem möglichen Abschiebetermin entfernt. Ein Wort vom so genannten „Sponsor“, dem Araber, der ihren Aufenthalt unterstützt, und sie sind wieder auf dem Weg nach Madras oder Islamabad. Jüngst demonstrierten einige hundert Bauarbeiter auf der 10-spurigen Sheikh Zayed-Autobahn gegen ihre unmenschlichen Arbeitsbedingungen. Sie hatten monatelang keinen Lohn erhalten, sich lediglich von Datteln in einem Garten neben der Baustelle ernährt. Dieses Mal war der Protest nicht zu vertuschen – sogar die sonst willfährigen Medien im Emirat meldeten den Vorfall. Der verantwortliche Scheich wurde von Scheich Mohammed zur Zahlung verpflichtet und abgemahnt.
Bauboom außer Kontrolle
Dieses Ereignis machte deutlich, dass die wie Pilze aus dem Boden sprießenden Bauprojekte – Geschäftsgebäude, Hotels und Wohnkomplexe – der Kontrolle der Scheichs allmählich entgleiten. Kein Wunder, betrachtet man die Geschwindigkeit der Entwicklung: Zwischen Dubai und er Freihandelszone Jebel Ali entstand in nur anderthalb Jahren eine neue Stadt. Zirka zwanzig Wolkenkratzer rahmen einen Jachthafen ein, in dem die neue Oberschicht ihre schicken Motorjachten parkt. Diese Oberschicht besteht aus Glücksrittern aus den USA und Europa sowie eineigen wenigen Aufsteigern aus Asien und anderen arabischen Staaten. In Europa dauern Bauprojekte viele Jahre, hier rennt die Zeit und manchmal wird in der Eile das eine oder andere Detail erst dann entdeckt, wenn das Projekt bereits abgeschlossen ist. Bei einem neuen Hotel etwa fiel erst nach dem Baustopp auf, dass die Rohre für die Wasserversorgung Temperaturen über 40 º Celsius nicht standhalten – zu wenig für das extreme Klima am Golf. Die Folge: Für eine Million Euro musste nachträglich eine Wasserkühlungsanlage eingebaut werden. An anderer Stelle treten inzwischen Folgeprobleme zu Tage. Nachdem die künstlichen Inseln aufgeschüttet worden waren – uebrigens von niederländischen Fachleuten, die über das weltweit größte Know How bei der Landgewinnung verfügen – flossen die Abwässer der Meeresentsalzungsanlagen nicht mehr ab. Eine Lösung des Problems ist noch nicht in Sicht, wird aber voraussichtlich aberwitzige Summen verschlingen.
Es ist faszinierend, in Dubai die Möglichkeiten und Grenzen menschlicher Fantasie, Baukunst und Technologie zu beobachten. Es fasziniert ebenso zu wissen, dass in diesem modernen Babylon dem menschlichen Streben keine finanziellen Grenzen gesetzt sind. Sorgen bereitet jedoch, dass hier erneut kein Geld für eine bessere Welt ausgegeben wird, sondern für eine, die die Gräben zwischen Oben und Unten, Arm und Reich, weiter zementiert.
© Robert Piterek, 28.2.2006
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Der Autor
Robert Piterek schrieb für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften und war Onlineredakteur bei der Hochschulzeitschrift Karriereführer. Zur Zeit arbeitet er als Medienbeobachter in Köln Die Informationen in diesem Artikel sammelte er bei verschiedenen Besuchen seiner Eltern, die in Dubai für eine deutsche Firma tätig sind.
© Robert Piterek, 28.2.2006