29. April 2009 | Gesundheit und Ernährung

Pathologie des Essens

von Gerd von Paczensky. Köln


Geschmack hat seinen Preis. Das sagen nicht nur Köche und Händler, sondern auch Ärzte und Pharmaunternehmen. Ein Blick auf die Anti-Cholesterin-Sackgasse.

Lesezeit 5 Minuten

Als Restaurantkritiker verbrachte ich geraume Zeit in Holland, was nicht gerade eine Heimat der Magerküche ist. Wo es aber erstklassige Restaurants gibt. Ich probierte zehn der  besten. Dazwischen brauchte ich natürlich Erholungspausen, in denen ich keineswegs fastete. Niemand wäre dort auf den Gedanken gekommen, an Butter, Schmalz oder Eiern zu sparen, auch nicht an gutem Braten.

So gut alles schmeckte, so sehr verstieß es gegen unsere landläufigen Mahnungen, möglichst wenig Fett zu essen, wegen des Cholesterinspiegels, und ein paar Pfund zunehmen tat ich auch. So ließ ich bald nach Rückkehr von meinem Internisten meinen Blutstatus prüfen. „Insgesamt erstaunlicher Laborstatus nach kulinarischer Reise in Holland, zu dem ich Sie beglückwünsche“, schrieb er mir. Mein Cholesterinwert: 184 mg/dl, deutlich unter dem angeblich oberen, noch tolerablen Grenzwert von 200.

Ich aß und trank wie immer, viele Fleisch- und Molkereiprodukte, vor denen wir dauernd gewarnt werden, auch Fett. Mein Alkoholverbrauch hatte sich ebenfalls nicht geändert. Dennoch kam ich auf ständig wechselnde Cholesterinwerte zwischen 302 – der wurde vom Labor gleich in Rot gedruckt! – und eben jenen 184. Nach Meinung der meisten Ärzte hätte entsprechend diesen Schwankungen auch mein Risiko schwanken müssen, einen Herzinfarkt zu bekommen.

Die Behauptung, Cholesterin sei gefährlich, haben Ärzte und Medikamentenhersteller zum gewaltigen Hauptthema der Ernährungsgesundheit gemacht. Wie viele Patienten sind dadurch geängstigt worden, wie viele Gesunde in Patienten verwandelt! In Wirklichkeit haben genug  wissenschaftliche Studien ergeben, dass die Senkung des Cholesterins im Blut, ob durch Nahrungsumstellung oder durch Medikamente, entgegen dieser Behauptung  die Zahl der Herzinfarkte kaum und die Lebenserwartung gar nicht beeinflusst. Also ist unsinnig, immer neue Verfahren und Mittel zur Cholesterinsenkung zu suchen und zu erfinden.

Aber die Dogmatiker der „Cholesterin-Hypothese“ gefielen der Pharma-Industrie, der sie riesige Einnahmen verschafften. Durch  dieses Bündnis konnte sich die Gleichung festsetzen: „Fett = mehr Cholesterin im Blut = Arterienverkalkung = Gefahr fürs Herz“. Woraus der dringende Rat folgte, Lebensmittel zu meiden, die Cholesterin enthalten, möglichst wenig Fett zu essen und/oder Cholesterin senkende Medikamente zu schlucken. Deren Markt erreichte schon im  Jahr 2002 in Amerika die nette Summe von 12,5 Milliarden Dollar.

Da lagen längst  Berichte von Ärzten und Untersuchungen vor, die der Cholesterin-Hypothese widersprachen. Schon 1936 hatten Kurt Landé und Warren Sperry, ein Pathologe und ein Biochemiker am gerichtsmedizinischen Institut der Universität New York, Untersuchungen an Toten angestellt, um zu prüfen, ob es eine Beziehung zwischen Cholesterinmenge und Arteriosklerose gab. Sie fanden keine. Da lobe ich mir unser Schulkochbuch von Dr. Oetker, 16.Auflage 1969: „Beim Menschen ist es aber nicht so, dass die Arteriosklerose umso schwerer und ausgedehnter auftritt, je mehr Cholesterin das Blut enthält. Man kann die Entwicklung arteriosklerotischer Krankheitserscheinungen nicht dadurch hemmen oder gar verhüten, dass man seine gewohnte Butter- oder Speckportion durch Pflanzenfett ersetzt …“

Die Cholesterin-Hysterie kam bei uns erst in den 80er Jahren richtig an –  ausgerechnet, als eines der größten Experimente der Medizingeschichte in Amerika ergeben hatte, dass sich ein Zusammenhang zwischen Cholesterin und Herzinfarkt nicht herstellen ließ. Verblüffenderweise hatten dort diejenigen, die sich besonders „gesund“ ernährten, oft höhere Cholesterinwerte im Blut. Und die Anzahl der Todesfälle aller Ursachen ergab  265 in der Behandlungsgruppe, 260 in der Kontrollgruppe. Das Wall Street Journal reagierte mit der Schlagzeile: „Herzanfälle: Ein Test bricht zusammen.“

Doch in Deutschland ging es nun richtig los. In Illustrierten und Tageszeitungen warnten Ernährungsberater vor den tödlichen Folgen von Cholesterin, Diätbücher empfahlen Magerjoghurt und rechneten vor, dass ein einziges Ei schon den gesamten Cholesterinbedarf eines Tages decke – alles Weitere müsse man dann eben weglassen. Pharmafirmen veranstalteten öffentliches Cholesterinmessen, als wäre es ein Jahrmarkt. Kinder bekamen Geschenke, wenn sie sich beteiligten – und vermutlich anschließend zu Hause keine Vollmilch mehr. Man konnte kaum noch bei einem Arzt auftauchen, ohne dass das Cholesterin gemessen und meist als zu hoch empfunden wurde. Jeder zweite Bekannte schluckte Cholesterinsenker oder machte Diät.

Leute, die von ihrem Frühstücksei das Gelbe wegließen, wurden Gegenstand öffentlicher Witze. In der Fernsehserie „Corinna“ aus den 80ern mault die Tochter, weil ihre  Mutter die üblichen Spiegeleier samt Speck zum Frühstück abgeschafft hat: „Opa hat auch immer Eier mit Speck gegessen und ist über 90 geworden.“ Worauf die Mutter streng antwortet: „Das war aber, bevor sie das Cholesterin erfunden haben.“

Die Verteufelung des Hühnereis zeigt, wie fragwürdig ernährungsmedizinische Ratschläge sein können. In den „Beiträgen zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes“ liess da Robert Koch-Institut noch Ende 2002 behaupten, die Menschen sollten höchstens zwei oder drei Eier pro Woche essen. So wurde auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung noch im Jahr 2003 in Tageszeitungen zitiert („höchstens 3“). Im Ernährungsbericht 2004 propagiert die DGE , im Zusammenhang  mit dem vertrauten unseriösen Lamento über die angeblich zu hohe Cholesterinzufuhr der Deutschen, abermals eine Beschränkung des Verzehrs von Eiern – ebenso wie von Innereien, fettreichem Fleisch und Milchprodukten.

Die Abwertung eines für die menschliche Ernährung so nützlichen Lebensmittels ist kein Ruhmesblatt für die übergroße Zahl derjenigen, die nach Ausbildung und eigenem Anspruch für die Förderung der allgemeinen Gesundheit zuständig sein möchten. Denn spätestens 1995 hatten keineswegs geheime Studien in den USA ergeben, dass die Behauptung, Eier seien wegen ihres Cholesteringehalts eine Gefahr für (unter anderem) Blutdruck und Herz, nicht zutraf. Dass sie ziemlich viel Cholesterin enthalten, ist unbestritten. Aber abgesehen davon, dass es keineswegs  den behaupteten Risikofaktor für Herzkrankheiten (und andere Krankheiten)  darstellt, ist das in Eiern für Menschen besonders harmlos. Es wird teils überhaupt nicht ins Blut aufgenommen, teils schnell wieder ausgeschieden.

Den Grund für die Cholesterin-Harmlosigkeit des Eies teilten Wissenschaftler der Kansas State University im Jahr 2001 mit. Das Ei enthält Lezithin, und Lezithin hemmt die Aufnahme des Cholesterins: Das wird wieder ausgeschieden. Ein ebenso wirksamer Hemmer sind Oxysterole, die die körpereigene Cholesterinsynthese schnell hemmen. Ferner werden bei höherer Cholesterinzufuhr  Abbaumechanismen aktiviert, die eine vermehrte Ausscheidung des Cholesterins zum Darm bewirken.  Diejenigen, die Cholesterin aus echten medizinischen Gründen wirklich meiden müssen, sind eine kleine Minderheit !

Wichtig für ältere Menschen ist der Hinweis, den Professor Jahreis von der Universität Jena auf der Jahrestagung 2002 der Deutsche Gesellschaft für Andrologie gab: Im Alterungsprozess verliere der Körper Muskelproteine, die er nicht nur für die Beweglichkeit benötige, sondern allgemein für seine Gesundheit. Solche Eiweiße seien besonders wichtig für das Immunsystem, die Wundheilung und, nicht zuletzt, die Sexualität. Um den Proteinbestand des Körpers zu erhalten, sei erforderlich, ihm Eiweiß hoher Qualität zuzuführen – „etwa in Form von Fleisch, Käse und Eiern“.
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Der Autor

Gerd von Paczensky ist Journalist,  Schriftsteller und Restaurantkritiker. Er war u.a. stellvertretender Chefredakteur des „Stern“ und Mitbegründer des Fernsehmagazins „Panorama“.

Featured Image: Karin Jung / PIXELIO


Category:

vonpaczensky.de. Link veraltet. 4.4.24


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