21. Januar 2010 | Vermögen in Deutschland

Ein massives Verteilungsproblem

von Rainer Jung (Hans-Böckler-Stiftung). Düsseldorf


Wissenschaftler haben erstmals errechnet, wie sich die Vermögensverteilung ändert, wenn man Pensionsansprüche und Rentenanwartschaften mit einbezieht. Das Ergebnis: Renten- und Pensionsansprüche dämpfen Ungleichverteilung – aber hohe Konzentration bleibt.

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Die privaten Vermögen in Deutschland sind höchst ungleich verteilt, und die Ungleichverteilung hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. In der Debatte hierüber blieben die Anwartschaften auf Renten und Pensionen allerdings bislang außen vor – es fehlten verlässliche Daten. Jetzt haben Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) in einem von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Projekt erstmals errechnet, wie sich die Vermögensverteilung ändert, wenn man Pensionsansprüche und Rentenanwartschaften mit einbezieht. Das Ergebnis: Die individuellen Alterssicherungsvermögen dämpfen die Ungleichverteilung, das Ausmaß der Vermögenskonzentration bleibt aber weiterhin hoch. Und künftig dürften auch bei den Alterssicherungsvermögen die Unterschiede durch Rentenreformen und veränderte Erwerbsverläufe wachsen – und zugleich das Risiko von Altersarmut.

4,6 Billionen Euro – so hoch waren 2007 die Anwartschaften, die Menschen in Deutschland an die verschiedenen Systeme der Alterssicherung hatten. Dies haben die DIW-Forscher Joachim R. Frick und Markus M. Grabka in ihrer neuen Studie ermittelt. Ansprüche auf Renten und Pensionen haben für viele Menschen einen großen Stellenwert in ihrem Gesamtvermögen. Das wird deutlich, wenn die beiden Wissenschaftler dieses Alterssicherungsvermögen rechnerisch neben das private Geld- und Sachvermögen stellen: Netto, also nach Abzug aller Schulden, besaß jeder Erwachsene über 17 Jahren im Jahr 2007 durchschnittlich ein individuelles Vermögen von mehr als 150.000 Euro. Davon waren gut 88.000 Euro Geld- oder Sachvermögen, rund 67.000 Euro entfielen auf Renten- oder Pensionsanwartschaften.

Für ihre neuen Berechnungen kombinierten Frick und Grabka die aktuellsten verfügbaren Befunde aus dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) mit anonymisierten Daten der Rentenversicherung. Auf Basis von Erwerbsbiografien, Alter und Daten zur Lebenserwartung lässt sich für verschiedene Bevölkerungsgruppen der „Gegenwartswert“ ihrer Alterssicherungsansprüche zum Zeitpunkt der Erhebung abschätzen.

Bedeutsam ist das Alterssicherungsvermögen aber nicht nur wegen seiner Höhe, sondern auch wegen seiner gleichmäßigeren Verteilung: Von den Geld- und Sachwerten, etwa Immobilien oder Unternehmenskapital, besitzen zwei Drittel der Erwachsenen nichts oder nur sehr wenig. Die weniger wohlhabenden 70 Prozent der Bevölkerung verfügten 2007 über gerade einmal knapp neun Prozent aller Geld- und Sachwerte in Deutschland. Dagegen besaß allein das reichste Zehntel mehr als 60 Prozent.

Beim Alterssicherungsvermögen ist die Polarisierung geringer, und mehr Menschen haben einen nennenswerten Besitz, zeigen die DIW-Forscher. Schließlich sind die meisten Erwerbstätigen in eines der Alterssicherungssysteme einbezogen; gleichzeitig gibt es durch die Beitragsbemessungsgrenze in der Sozialversicherung auch eine „Deckelung“ dieser Ansprüche. So verfügen auch Angehörige der, gemessen am Geld- und Sachvermögen, ärmeren Hälfte der Bevölkerung über nennenswerte Renten- und Pensionsanwartschaften – im Schnitt jeweils zwischen 40.000 und 50.000 Euro. „Die Konzentration der jetzt erstmals um Renten- und Pensionsanwartschaften erweiterten Vermögen bleibt aber sehr hoch und die dämpfende Wirkung des Alterssicherungsvermögens wird künftig wohl an Bedeutung verlieren“, sagt Studienautor Joachim Frick. „Gleich mehrere Faktoren schlagen hier zu Buche: Sinkende Versorgungsniveaus in Folge der Reformen der Alterssicherungssysteme, zunehmende, oft durch Arbeitslosigkeit bedingte Lücken im Erwerbsverlauf – mit dem Risiko zunehmender Altersarmut.“

Mehr Altersarmut in Ostdeutschland

Beunruhigt sind die DIW-Experten mit Blick auf die zukünftige Entwicklung der Vermögen. „Zusätzliche private Vorsorge wird nach den Reformen bei der Alterssicherung unbestritten immer wichtiger“, betont Markus Grabka. Schon heute sei zu beobachten, dass die Vermögendsten besonders stark private Altersvorsorge betreiben, dass aber die private Vorsorge am unteren Ende der Einkommens- und Vermögensskala besonders schwach ausgeprägt ist. Geringverdiener dürften künftig bei der Vermögensbildung also noch stärker zurückfallen als heute.

Problematisch sei außerdem, dass Langzeitarbeitslose so gut wie kein Alterssicherungsvermögen aufbauen. „Man muss deshalb davon ausgehen, dass die Vermögensungleichheit auch bei der Alterssicherung zunimmt und wir auf mehr Altersarmut zusteuern“, so das Fazit von Markus Grabka. „Dies gilt besonders für Ostdeutschland, denn hier haben wir ohnehin eine geringere Vermögensbildung als im Westen und deutlich mehr Langzeitarbeitslose.“

Große Unterschiede nach beruflicher Stellung: Beamte vorn

Die Gesamtschau der Vermögenssituation erlaubt auch einen Vergleich nach beruflicher beziehungsweise sozialer Stellung: Un- und angelernte Arbeiter sowie Angestellte ohne Ausbildungsabschluss hatten nach der DIW-Untersuchung 2007 Rentenanwartschaften von durchschnittlich 40.000 Euro. Facharbeiter und Angestellte mit einfachen Tätigkeiten lagen lediglich rund 500 Euro höher. Vorarbeiter, Meister und Angestellte mit qualifizierter Tätigkeit besitzen im Schnitt Ansprüche an die Alterssicherungssysteme von gut 49.000 Euro. Das führt in diesen Gruppen zu einem durchschnittlichen erweiterten Nettovermögen (Geld- und Sachvermögen plus Anwartschaften an die Alterssicherung), das von rund 74.000 Euro bis gut 130.000 Euro reicht. Deutlich mehr haben Angestellte in hohen Führungspositionen: Ihr Alterssicherungsvermögen liegt bei durchschnittlich über 78.000 Euro, hinzu kommen rund 308.000 Euro Geld- und Sachvermögen. Arbeitslose besitzen durchschnittlich rund 39.500 Euro Alterssicherungsvermögen und weniger als 17.000 Euro an Geld- und Sachwerten.

Ein überdurchschnittlich hohes Alterssicherungsvermögen haben Beamte und Pensionäre. Auch mit Blick auf das erweiterte Nettovermögen (Geld- und Sachvermögen plus Anwartschaften an die Alterssicherung) schneiden sie überdurchschnittlich ab. „Ihnen kommt zugute, dass sie keine eigenen Beiträge für die Altersvorsorge leisten müssen. Sie unterliegen auch keinem Arbeitslosigkeitsrisiko und haben deshalb im Allgemeinen ununterbrochene Erwerbsverläufe“, betont Joachim Frick. Außerdem ist das allgemeine Versorgungsniveau bei Pensionären deutlich höher als bei abhängig Beschäftigten in der Gesetzlichen Rentenversicherung.

Unter Berücksichtigung der Alterssicherungsvermögen relativiert sich die dominierende Stellung der Selbständigen in der Netto-Geld- und Sachvermögenshierarchie. Sie unterliegen im Allgemeinen nicht der Versicherungspflicht und sorgen mit ihrem Geld-, Sach- und insbesondere dem Betriebsvermögen auch für das Alter vor. Das führt dazu, dass die Stichprobe für Selbständige unterdurchschnittliche Alterssicherungsvermögen ausweist. Unternehmer mit mehreren Mitarbeitern haben im Mittel lediglich rund 23.000 Euro, während Soloselbständige auf etwa 46.000 Euro kommen. Schaut man auf das erweiterte Gesamtvermögen, liegen sie aber weiterhin gut im Rennen: Soloselbständige besitzen gut 220.000 Euro, bei Selbständigen mit 10 und mehr Mitarbeitern steigt das Nettovermögen inklusive Alterssicherungsansprüche auf mehr als 1,1 Millionen. Zudem, geben die DIW-Forscher zu bedenken, hat Geld- und Sachvermögen Qualitäten, die den Altersversorgungsansprüchen weitgehend fehlen: Zum Beispiel kann es vererbt und beliehen werden. Darüber hinaus verleiht es weitaus mehr Macht und Prestige.

In der Gesamtschau legen Beamte und Pensionäre aber deutlich zu: So verfügen Beamte im einfachen Dienst und mittleren Dienst über durchschnittliche Pensionsansprüche von gut 80.000 Euro, im gehobenen und höheren Dienst sind es gut 128.000 Euro. Hinzu kommen Netto-Geld- und Sachvermögen von durchschnittlich rund 63.000 bzw. rund 140.000 Euro. Pensionäre haben im Durchschnitt ein erweitertes Nettovermögen (inklusive gut 300.000 Euro Pensionsanwartschaften) in Höhe von mehr als 500.000 Euro und damit mehr als beispielsweise Selbständige mit einem Betrieb mit bis zu neun Mitarbeitern. Bezieher einer Gesetzlichen Rente erreichen dagegen nicht einmal die Hälfte dieses Wertes. „Angesichts der aktuellen Entwicklungen in der Gesetzlichen Rentenversicherung erscheinen die Beitragsfreiheit zur Alterssicherung von Beamten während der Erwerbszeit und das überdurchschnittliche Versorgungsniveau im Pensionsalter zumindest diskussionsbedürftig“, so die Bewertung von DIW-Forscher Joachim Frick.

Rentenanwartschaft und Pensionsanspruch – echtes oder fiktives Vermögen? 

Untersuchungen zur Vermögensverteilung hatten bisher einen zentralen Schwachpunkt: Sie blendeten aufgrund fehlender Daten aus, welche Vermögens Ansprüche gegenüber Alterssicherungssystemen etwa in Form von Rentenanwartschaften oder Pensionsansprüchen bestehen. Gerade im Falle von Selbständigen kann dies zu einer anderen Interpretation der Ergebnisse führen, denn: Selbständige müssen nicht in die Gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Sie betreiben in der Regel selbst Vorsorge für das Alter – in Form von Immobilien, privaten Versicherungen oder dem Betriebsvermögen. Auch wenn also die neuen SOEP-Daten inklusive des Alterssicherungsvermögens nun ein umfassenderes Bild der Vermögensverteilung liefern und gesetzlich Rentenversicherte und Beamte damit im Schnitt „vermögender“ werden, so ist Vermögen doch nicht gleich Vermögen. Mit anderen Worten: Was unterscheidet einen Angestellten mit einem Geld- und Sachvermögen von 100.000 Euro und einem zusätzlichen Vermögen aus Rentenanwartschaften in Höhe von 100.000 Euro von einem Selbständigen ohne Rentenansprüche, aber mit einem Geld- und Sachvermögen von 200.000 Euro?

Der Unterschied hat mit dem weitgehend fiktiven Charakter des Alterssicherungsvermögens zu tun. So kann man Alterssicherungsvermögen nicht beleihen und kann es sich auch nicht vorzeitig auszahlen lassen. Außerdem hat es keinen festgelegten, privatwirtschaftlich gesicherten Wert, weil in der gesetzlichen Rentenversicherung nur Entgeltpunkte gesammelt werden und der Rentenwert von der Politik neu festgelegt werden kann. Das heißt, es gibt durchaus verschiedene Argumente, warum diese Versorgungsansprüche nur eingeschränkten Vermögenscharakter haben.

So haben die DIW-Wissenschaftler gerechnet

Die Berechnungen des DIW Berlin stützen sich auf Daten des Sozio- oekonomischen Panels (SOEP) von 2007. Das SOEP ist eine am DIW Berlin angesiedelte Wiederholungsbefragung von mehr als 12.000 Haushalten zu sozialen und wirtschaftlichen Lebensverhältnissen. Da Jahr für Jahr die gleichen Menschen befragt werden, eignen sich die Daten sehr gut, um gesellschaftliche Trends und Entwicklungen zu verfolgen.

Für die hier veröffentlichte Untersuchung der Vermögensverteilung wurden neben dem Geld- und Sachvermögen erstmals in Deutschland auch die individuellen Alterssicherungsvermögen berücksichtigt. Konkret handelt es sich dabei um Anwartschaften an die gesetzliche Rentenversicherung und an die Beamtenversorgung. Ansprüche an berufsständische Versorgungssysteme, an die Alterssicherungskassen der Landwirte und an Betriebsrenten konnten nur zum Teil erfasst werden.

So sieht die Vermögensverteilung ohne Alterssicherungsvermögen aus

Betrachtet man ausschließlich das Geld- und Sachvermögen ohne Renten- und Pensionsansprüche, gibt es deutlich größere Unterschiede bei der Vermögensverteilung. Und die Ungleichheit der Vermögensverteilung in Deutschland ist zwischen 2002 und 2007 weiter gestiegen. Dabei haben sich auch die Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland weiter vergrößert. Während in Westdeutschland die Nettovermögen seit 2002 um gut elf Prozent anstiegen, sind sie in Ostdeutschland um knapp zehn Prozent gesunken. Neben der hohen Arbeitslosenquote ist auch der Preisverfall selbstgenutzter Immobilien in Ostdeutschland für diese Entwicklung verantwortlich.

Mit Blick auf die künftige Alterssicherung besorgniserregend ist auch eine weitere Entwicklung: So ist für die mittleren Altersgruppen von 36 bis 65 Jahren, in denen „normalerweise“ eher Vermögen aufgebaut wird, in Ostdeutschland ein Vermögensrückgang zu konstatieren. Dieser beläuft sich je nach Altersgruppe auf 7 000 bis 14 000 Euro, was einem Verlust von 10 bis 17 Prozent entspricht. Insgesamt verfügten die privaten Haushalte in Deutschland 2007 über ein Netto-Geld- und Sachvermögen von gut sechs Billionen Euro. Rechnerisch entspricht dies rund 88.000 Euro pro Erwachsenem. Im Gegensatz zum Durchschnittsvermögen liegt jedoch der Median des Nettovermögens bei nur etwa 15.000 Euro. Der Median ist der Wert, der die reichere Hälfte der Bevölkerung von der Ärmeren trennt. Mehr als ein Viertel aller Erwachsenen (27 Prozent) verfügten über kein persönliches Vermögen oder waren sogar verschuldet, während das reichste Zehntel der Bevölkerung über mehr als 60 Prozent des gesamten Netto-Geld- und Sachvermögens verfügte – im Durchschnitt mindestens 222.000 Euro pro Person. Zwischen 2002 und 2007 stieg der Anteil des obersten Zehntels um rund drei Prozentpunkte.

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Die Studie

Joachim R. Frick, Markus M. Grabka: Alterssicherungsvermögen dämpft Ungleichheit, aber große Vermögenskonzentration bleibt bestehen. DIW- Wochenbericht 3/2010.



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