10. April 2012 | Nachhaltigkeit

Das Ende des Wachstums, wie wir es kannten

von Margret Karsch. Berlin


Vor 40 Jahren brachte der Club of Rome das Buch „Die Grenzen des Wachstums“ heraus und wies damit auf die Endlichkeit der Ressourcen hin. Vor 20 Jahren verabschiedete der Weltgipfel auf der Konferenz von Rio de Janeiro eine Deklaration, welche die Staaten zu nationaler Nachhaltigkeitspolitik verpflichtete. Doch die Umweltpolitik kommt nur langsam voran. Rom war vorgestern, Rio war gestern, für Reue ist es bald zu spät. Sagen neue Studien zum Klimawandel und mahnen zum schnellen Handeln.

Lesezeit 6 Minuten

Einer Schätzung der internationalen Organisation „Global Humanitarian Forum“ zufolge sterben bereits jetzt in jedem Jahr 300.000 Menschen an den Folgen des Klimawandels. Rund 300 Millionen Menschen leiden durch die Erderwärmung und die dadurch verursachten Naturkatastrophen wie Dürre oder Überschwemmung an Wassermangel, Unterernährung und Krankheiten. Schon 2030 wird laut der Studie der Klimawandel das Leben von über 660 Millionen Menschen gefährden und ganze Landstriche der Welt unbewohnbar machen.

Das Klima unseres Planeten ändert sich und bedroht die Existenz vieler Menschen. Darüber ist sich die Wissenschaft weitgehend einig, ebenso wie darüber, dass der Ausstoß von Treibhausgasen den Klimawandel mit verursacht. Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung hat nun ein Diskussionspapier veröffentlicht, in dem der Ökonom Klaus Töpfer und der Chemiker und Molekularbiologe Reiner Klingholz die Weltgemeinschaft zu einer sofortigen und radikalen Kehrtwende in der Energie- und Klimapolitik auffordern. Denn da für zwei Drittel der Emissionen der Energiesektor verantwortlich sei, sei allein dadurch das Ziel, die Erderwärmung nicht über die kritische Schwelle von zwei Grad Celsius steigen zu lassen, noch zu erreichen.

Die beiden Autoren beschreiben die Situation als einen Zusammenhang, der in dreifacher Hinsicht Probleme aufwerfe und sich vereinfacht so darstellen lässt: Die Weltbevölkerung wächst, und mehr Menschen verbrauchen immer mehr Energie. Energie ist notwendig, um den Wohlstand zu wahren und zu entwickeln, bei ihrem Verbrauch entsteht aber CO2. Nur dann, wenn die Menschheit sowohl die CO2-Emissionen als auch den Energieverbrauch senkt und gleichzeitig das globale Bevölkerungswachstum bremst, kann zumindest eine Zunahme der katastrophalen Auswirkungen des Klimawandels verhindert werden. Es reiche also nicht, das Wachstum einzuschränken, sondern es seien gänzlich andere Wege zu gehen. Und die Politik dürfe dabei nicht nur auf das eine Ziel zuzusteuern, sondern müsse die gesamte Landschaft im Blick zu behalten. Für einen solchen integrierten Ansatz plädierten auch die Teilnehmer der Konferenz „Planet under Pressure“, die Ende März in London stattfand.

Die Handlungsempfehlungen von Töpfer und Klingholz sind an sich nicht neu, aber da die Weltgemeinschaft noch weit davon entfernt ist, hier an einem Strang zu ziehen, ist es wichtig, die politischen Maßnahmen immer wieder in die Diskussion zu bringen und klar zu formulieren. Das Diskussionspapier belegt die Argumentation mit vielen Daten: Heute leben sieben Milliarden Menschen auf der Erde. In den letzten 44 Jahren hat sich die Weltbevölkerung verdoppelt. Die Vereinten Nationen prognostizieren, dass die Zahl in Zukunft weiter und schneller wachsen wird, etwa auf 9,3 Milliarden bis 2050. Immer mehr Menschen verbrauchen immer mehr Energie, zumal der Energieverbrauch der Menschheit sich in der Vergangenheit noch rasanter erhöht hat als die Bevölkerungszahl. Auch die CO2-Emissionen haben zugenommen, und wenn die Energie weiterhin aus fossilen Energieträgern stammt, wird auch der Ausstoß von Treibhausgasen weiter steigen.

Der Energieverbrauch und die Emissionen gehen vor allem auf das Konto der Industrienationen: Die sieben Prozent der Weltbevölkerung, die in den reichsten Ländern der Erde leben, verursachen die Hälfte der Treibgasemissionen. Dagegen stammen nur sieben Prozent der Emissionen von den 3,5 Milliarden Menschen, welche die arme Hälfte der Weltbevölkerung bilden. Es ist also klar, dass die reichen Länder in der Pflicht stehen, ihre Technologien so zu verbessern, dass sie nicht weiter dem Weltklima schaden. Ihre Wirtschaft fußt auf einem hohen und klimaschädlichen Energieverbrauch, ohne dass sie bislang dafür eine Rechnung erhalten hätten. Die legt ihnen die Wissenschaft nun vor.

Das Bevölkerungswachstum findet vor allem in den Entwicklungs- und Schwellenländern statt. In Afrika wird sich den Vereinten Nationen zufolge die Einwohnerzahl bis 2050 verdoppeln, in Niger oder Uganda gar verdreifachen. Um sich wirtschaftlich zu entwickeln, benötigen auch diese Staaten mehr Energie – niemand kann diesen Ländern das Recht auf Entwicklung absprechen. Aber mit steigendem Entwicklungsstand wachsen wiederum ihre CO2-Emissionen.

Jedenfalls solange, wie die weniger entwickelten Staaten dem Muster der Industrienationen folgen und ihren Energiebedarf aus fossilen Quellen speisen. Kohle etwa ist jedoch nur deshalb ein so billiger Energieträger, weil die Kosten der Förderung nicht auch die Folgekosten enthalten: die hohen finanziellen Anpassungskosten des Klimawandels, sofern diese sich überhaupt beziffern lassen.

Einen Anstieg der Pro-Kopf-CO2-Emissionen und eines Pro-Kopf-Energieverbrauchs in den Entwicklungsländern vom jetzigen Umfang zu einer Höhe, wie sie heute in den Industrienationen üblich ist, würde die Erde jedoch in keinem Fall verkraften. Deshalb, so die Schlussfolgerung des Diskussionspapiers, muss diesen beiden Entwicklungen sowie dem Bevölkerungswachstum entgegengesteuert werden, wozu es einer ernsthaften Zusammenarbeit der Industrie- und der weniger entwickelten Länder bedarf.

Der beste Weg, um das Bevölkerungswachstum zu bremsen, liegt nach Töpfer und Klingholz in Investitionen in die Bildung von Frauen. Und zwar nicht nur in die Grundschulbildung, denn die zeige kaum Effekte auf die Kinderzahl, sondern in die höhere Bildung: Mit jedem Jahr, das Frauen länger zur Schule gingen, verzögere sich die Geburt des ersten Kindes und wüchsen die Abstände zwischen den Kindern – und sänken die Kinderzahlen. In Uganda beispielsweise bekomme eine Frau, die keine oder nur eine Grundschule besucht hat, im Laufe ihres Lebens durchschnittlich mehr als sieben Kinder. Eine Frau, die mindestens einen Sekundarabschluss besitzt, bringe dagegen im Mittel nur etwas über vier Kinder zur Welt. Andere Studien haben gezeigt: Höhere Bildung trägt dazu bei, dass Frauen nur so viele Kinder haben, wie sie sich wünschen, denn in der Regel wollen Frauen in Entwicklungsländern weniger Kinder bekommen, als es gegenwärtig der Fall ist. Sinkende Kinderzahlen wiederum erleichtern die wirtschaftliche Entwicklung, und umgekehrt sinken bei steigendem Wohlstand die Kinderzahlen.

Um eine nachhaltige Wirkung zu erzielen, sei Bildungspolitik also unerlässlich, so Töpfer und Klingholz, doch brauche der Effekt Zeit. Zeit, die die Welt nicht hat, wie das Diskussionspapier unter Verweis auf die Forschung betont: „Es bleiben gut 15 Jahre, um unter heutigen Emissionsbedingungen das Kontingent der halbwegs erträglichen Atmosphärenbelastung auszuschöpfen.“ Wobei für die Erdenbewohner, die bereits unter Wassermangel oder Ernteausfällen leiden, der Klimawandel schon jetzt kaum mehr „halbwegs erträglich“ zu nennen ist.

Laut Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) wird die Erderwärmung in jedem Fall fortschreiten und der Meeresspiegel bis zum Jahr 2100 um 18 bis 59 Zentimeter ansteigen. Andere Schätzungen liegen sogar höher, aber bereits ein Anstieg von nur einem halben Meter würde ein Fünftel der Weltbevölkerung betreffen. Um den Klimawandel aufzuhalten, sind deshalb unbedingt Maßnahmen erforderlich, die schneller greifen als Frauenbildung. Ein zukünftiger Bevölkerungsrückgang in den Entwicklungsländern ist zwar erforderlich, um das Leid dort zu mindern, ist aber für den Planeten noch keine Lösung.

Deshalb unterstreichen Klaus Töpfer, der als deutscher Umweltminister, Direktor des UN-Umweltprogramms in Nairobi und Vorsitzender der Ethikkommission für sichere Energieversorgung gearbeitet hat, und der Direktor des Berlin-Instituts die Notwendigkeit eines „grundsätzlichen Wandels“ in der Energieversorgung, beim Verbrauch von Rohstoffen und in Hinblick auf die Lebensstile. Ihrer Meinung nach ist es unerlässlich, dass erstens die Industriestaaten weniger Energie verbrauchen und weniger Treibhausgase produzieren, also schnell auf eine regenerative Energie umsteigen, und dass zweitens die Schwellen- und Entwicklungsländer gar nicht erst den Umweg über klimaschädliche Energietechnologien gehen, sondern sofort in eine umweltfreundliche Energieversorgung einsteigen. Dazu seien sie auf die finanzielle und technologische Unterstützung der weiter entwickelten Staaten angewiesen, was für diese keine Frage des guten Willens, sondern langfristig ebenfalls essentiell sei – die dritte Bedingung, um den Klimawandel abzuschwächen.

Töpfer und Klingholz haben eine To-do-list für die entwickelten Staaten formuliert: Diese müssten sich endlich klare Ziele setzen und sie auch verfolgen, also die erneuerbaren Energien unterstützen und die Folgekosten der klassischen Energieversorgung ehrlich in deren Berechnung einbeziehen, von deren Verschleierung nur die Unternehmen der alten Energiebranche profitieren. Deutschland müsse Vorreiter werden in Sachen Energiewende, die Industrieländer müssten die regenerative Stromversorgung ausbauen, die Verteilungsnetze modernisieren, Energiespeicher schaffen und hier in die Forschung investieren, die Energieeffizienz technisch erhöhen, neue, dezentrale Stromerzeugungskonzepte entwickeln, dem privaten Sektor Planungssicherheit geben, keine neuen Kohlekraftwerke, sondern Gaskraftwerke bauen, auf Kernenergie verzichten, Subventionen für fossile Energien abschaffen – und nachhaltig konsumieren.

Die Empfehlungen gehen in dieselbe Richtung wie die des Mitte März von der OECD veröffentlichten Berichts „Die Konsequenzen des Nichthandelns“. Die umfassende Publikation enthält 350 Seiten Daten und Analysen und gibt einen – wissenschaftlich fundierten – düsteren Ausblick auf die Welt im Jahr 2050, in der viele Menschen etwa unter Wassermangel und Luftverschmutzung leiden werden. Das dünne Diskussionspapier des Berlin-Instituts verzichtet demgegenüber auf ausführliche Untergangsszenarien und konzentriert sich auf die Potenziale einer neuen Energiewirtschaft. Es wirkt neben der OECD-Studie eher wie ein Spickzettel, der aber derselben großen Aufgabe dient: dem Umbau der weltweiten Energiepolitik. Und den man schnell lesen und weitergeben kann.

Featured Image: kiramain / PIXELIO



2 Antworten zu “Das Ende des Wachstums, wie wir es kannten”

  1. Sehr geehrte Damen und Herren

    Ums Jahr 1804 lebten erstmals mehr als 1 Milliarde Menschen auf unserem Planeten. Um 1928 wurden die 2 Milliarden erreicht. 1960 waren wir schon 3 Milliarden Menschen auf Mutter Erde. Und so ging die Zunahme weiter: 1975: 4 Milliarden / 1987: 5 Milliarden / 1999: 6 Milliarden / 2011: 7 Milliarden (nach offiziellen Angaben, wobei diejenigen im Untergrund und im Urwald etc. lebenden Menschen nicht berücksichtigt wurden).
    Bleibt die Geburtenrate gleich hoch wie im Moment – oder steigert sich noch –, werden im Jahr 2050 bereits 15 Milliarden Menschen auf der Erde leben.
    Die schlimmen Folgen dieser Bevölkerungsexplosion sind in der folgenden Petition für weltweite Geburtenregelungen beschrieben, die Sie hier unterstützen können:
    http://chn.ge/1bSmBDH

    Bitte überlegen Sie, wie Sie die Kampagne weiterverbreiten können, damit möglichst viele Menschen davon erfahren und die katastrophalen Auswirkungen der Welt-Überbevölkerung noch gemildert werden können.
    Sie können die Kampagne bewerben. Dadurch wird die Petition für mehr Unterstützer sichtbar. Nutzen Sie dafür bitte den folgenden Verweis, den Sie bitte in die Adresszeile Ihres Internetzbrowsers kopieren:
    http://tinyurl.com/ohyphyf

    Mit freundlichen Grüßen
    Achim Wolf

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