1. Juli 2013 | Bewegen

Bauanleitung für eine nachhaltige Zukunft

von Julia Barthel. Lüneburg


Einfach anfangen, anders zu leben als bisher, das erscheint vielen Menschen unmöglich. Die Strukturen für die Zukunft scheinen schon festgelegt zu sein und wir sind doch alle darin gefangen, oder? Bei den „Aktionstagen Nachhaltigkeit“ in Lüneburg wurde klar: Wir bauen unsere Strukturen selbst!

Lesezeit 6 Minuten

Ist Nachhaltigkeit nicht dieses Wort, in dem sich unrealistische Zukunftsvisionen und grüne Ideologien verstecken? Wie kann ich bitteschön Nachhaltigkeit anfassen und was hat das Ganze mit Aktionen zu tun? Es ist ein strahlend schönes Juniwochenende in Lüneburg, blauer Himmel mit weißen Wölkchen, dazu ein leichter Wind. Ich bin auf dem Weg in den Clamartpark im Zentrum der Stadt, wo eine Umweltmesse stattfinden soll, bei der ich konkrete Antworten auf diese Fragen zu finden hoffe. Unterwegs werde ich von einem seltsamen Anblick aufgehalten. Auf dem großen Platz ‚Am Sande’ springt eine Frau mit einem quietschgelben Protestschild herum, in der Mitte ist eine rote Hand auf der steht: „No Fracking!“ Daneben bauen bärtige Typen in Blaumännern eine dreibeinige Holzkonstruktion auf und kippen eine giftig aussehende Flüssigkeit auf den Boden. Während die Arbeiter im Namen der „Blue Mountain Corporation“ nach Erdgas bohren, erklärt die Pressesprecherin einem Reporter, warum Hydraulic Fracturing die perfekte Methode zur Energiegewinnung ist. Die Proteste der Demonstranten verhallen daneben ungehört. Mit diesem Improvisationstheater nehmen die Aktivisten der Initiative „Wir gegen Fracking“ eine Situation vorweg, die schon bald Realität werden könnte. In ganz Niedersachsen und rund um Lüneburg suchen internationale Konzerne jetzt nach Erdgasvorkommen, die mit der umstrittenen Methode des Hydraulic Fracturing (kurz: Fracking) gefördert werden sollen. Die in tiefen Gesteinsschichten gebundenen Gase werden dabei frei gesetzt, indem mit giftigen Chemikalien versetztes Wasser mit hohem Druck in den Boden gepumpt wird, um die Steinschichten aufzubrechen. Nachdem das Theaterstück vorbei ist, frage ich bei den Darstellern genauer nach und erfahre, dass die Folgen dieser Fördermethode von verseuchtem Grundwasser bis zur Destabilisierung des Bodens reichen können. Für die Region um Lüneburg kann das ernste Probleme verursachen aber die meisten Bürger_innen wissen überhaupt nichts davon. Damit ominöse Konzerngruppen wie die ‚Blue Mountain Corporation’ nicht vollkommen ungestört weiter erschließen können, was unter unseren Füßen liegt, macht „Wir gegen Fracking“ das Problem öffentlich. Wissen vermitteln und Aufmerksamkeit erregen für einen Umgang mit Ressourcen, der nicht nachhaltig ist, das ist eine greifbare Aktion in Sachen Nachhaltigkeit!

Trotzdem ist die Skepsis unter den Bürger_innen von Lüneburg groß, die an diesem Tag ausziehen, um die Nachhaltigkeit kennen zu lernen. Noch auf dem Weg zum Clamartpark treffe ich Menschen, die sich schwer tun, sich vorzustellen, wie sie die Mechanismen der Globalisierung verändern können und für die ein nachhaltiges Leben nichts anderes als Verzicht bedeutet. „Alles viel zu kompliziert, um es im Alltag durchzuhalten“ ist eine Aussage, die ich an diesem Tag noch oft hören soll. Nun, wer Antworten auf diese Probleme sucht, muss auch Fragen stellen. Als ich an der grünen Wiese mit den bunten Zelten ankomme, stürze ich mich direkt ins Gespräch mit den Leuten, die unter den Überschriften ‚Social Funders’, ‚Bildung für nachhaltige Entwicklung’ und ‚Lebendige Nachbarschaft’ wohnen. In dem kleinen, gemütlichen Park findet die 19. Lüneburger Umweltmesse statt aber hier geht es nicht nur darum, Produkte zu präsentieren. Zusammen mit der Bürgerinitiative Dialog N hat der Verein TUN e.V. hier ein dichtes Netzwerk von Menschen aufgebaut, die den Besuchern fassbare Ideen für ein nachhaltiges Leben mit auf den Weg geben.

Direkt am Eingang stoße ich auf die Organisation „Socialfunders“, die einen ausgeklügelten Weg gefunden haben, wie man Konsum für soziales Engagement einsetzen kann. Statt groß angelegte Spendenaktionen für den Regenwald zu verkaufen, um das eigene Image aufzupolieren oder Kunden mit einem langweiligen Payback System zu ködern, werden Unternehmen aufgefordert, den Konsumenten für ihre Einkäufe ‚social coins’ zu schenken. Unter https://www.socialfunders.org können sich die Kunden dann ein Projekt aussuchen, dass sie gerne unterstützen möchten und ihre social coins darauf verteilen. Das kann ein Schulprojekt in Afrika sein, aber auch der Bau eines neuen Spielplatzes für eine Kita in Lüneburg. Ob man seine Unterstützung global oder regional verteilen möchte, entscheidet jeder selbst. Der Clou dabei ist, dass der Geldfluss von Seiten der Unternehmen vom bewussten Konsumenten gesteuert wird und keine Unmengen an Mitteln für Werbung und Verwaltung draufgehen. Die kleineren und größeren Projekte stellen sich auf der Internetplattform vor und setzen selbst Meilensteine, die erreicht werden sollen. Wenn zum Beispiel 300 Euro für die monatliche Finanzierung eines Schulprojektes in Afrika zusammen gekommen sind, zahlen die beteiligten Unternehmen dieses Geld an das Projekt aus. Bei solchen kleinen Meilensteinen liegen viel schneller sichtbare Erfolge auf der Strecke und der Kunde kann den Effekt seiner Spende direkt beobachten. Auf diese Weise kann ich meinen Konsum zumindest für soziale Zwecke nutzen und führe das Geld, das ich ausgebe, in einem Kreislauf an sinnvolle Projekte zurück. Der Gedanke gefällt mir, ich erwerbe ein fair gehandeltes Portemonnaie aus recycelten indischen Saris, das wunderschön grün leuchtet als Geschenk für eine Freundin. Meinen ersten social coin habe ich schon an das Projekt „Mampf – Hilfe für wohnungslose Menschen“ gespendet und verfolge nun gespannt, wann der Meilenstein erreicht ist. Wieder konnte ich ein Stück Nachhaltigkeit durch bewussten Konsum zu fassen kriegen.

Allmählich stellt sich das Gefühl ein, dass ich auf diesem Ausflug dem Zusammenhang zwischen Aktion und Nachhaltigkeit auf die Spur kommen könnte. Zuversichtlich lasse ich mich auf das nächste Abenteuer ein und warte zusammen mit einigen unbekannten Menschen an der Bushaltestelle Clamartpark darauf, zum „weltbewußten Stadtrundgang“ durch Lüneburg aufzubrechen. Nebenbei komme ich mit einer Lehrerin ins Gespräch, die sehr interessiert an der Idee von „socialfunders“ ist und sich ebenso wenig wie ich über den Fortschritt der Fracking-Projekte in Niedersachsen im Klaren war. Diese Kommunikationskultur kennzeichnet die ganze Umweltmesse und alle Aktionen, die darum herum stattfinden. An jeder Ecke treffe ich Menschen, die kritisch, skeptisch und begeistert über das Thema Nachhaltigkeit sprechen wollen und sehr offen für jede Anregung sind.

Dann taucht Sarah auf, die mit ihren langen, wilden Haaren und den naturfarbenen Klamotten an sich schon die personifizierte Kritik an der unkritischen Konsumgesellschaft darstellt. Außerdem schiebt sie einen kleinen Einkaufswagen voller Requisiten für unseren Rundgang vor sich her, der auf dem Kopfsteinpflaster von Lüneburg einen Höllenlärm verursacht und die Konsumenten beim Samstagseinkauf aufschreckt. Neben unseren Mitstreitern in Hemden, Blusen und anderen sehr schicken Kleidungsstücken komme ich mir auch schon recht alternativ vor. Sarah will uns zeigen, wo sich hinter den Fassaden der friedlichen Lüneburger Innenstadt überall die Globalisierung versteckt. Sie bleibt mit ihrer bunt zusammengewürfelten Reisegruppe vor einer großen Bank stehen und macht einige von uns kurzerhand zu Unternehmen, denen die Bank Kredite in Millionenhöhe gewährt, um das Geld der Kunden gewinnbringend zu investieren. Unter Titeln wie „Forschungsvorhaben“ oder „Erzabbau“ geben Sarah und ich in der Rolle der Bank fröhlich Kredite an Unternehmen weiter, die Uran in Minen auf der anderen Seite der Welt abbauen, Sprengköpfe und andere Kriegswaffen entwickeln oder die Kupfervorkommen in Böden ausbeuten, auf denen vorher Regenwald stand. Sarah macht uns darauf aufmerksam, dass viele große Banken das Geld ihrer Kunden auf diese Art anlegen und wir uns auf diese Art an den schlimmsten Auswüchsen der Globalisierung beteiligen. Anschließend herrscht betretenes Schweigen. Wieder ist uns etwas vor die Füße gefallen, was die Verbesserung der Lebensverhältnisse auf der Welt verhindert: Unsere Gewohnheit, nicht zu hinterfragen, wie die Bank unseres Vertrauens ihre Gelder generiert. Wieder einmal gibt es aber auch eine Alternative, denn einige Banken sind aus diesem Spiel ausgestiegen. Das Bankwechselbündnis stellt nicht nur Informationen und Anleitungen zur Verfügung, mit denen jeder seine eigene Bank kritisch unter die Lupe nehmen kann. Hier findet man auch eine Liste von alternativen Geldinstituten, die sich bei der Investition ihrer Gelder strengeren ethischen Richtlinien verpflichtet haben. Wer also weder Waffenentwicklung noch Uranförderung in seinem Portfolio haben will, kann sich unter www.bankwechsel-jetzt.de informieren. Auch nach dieser Aktion habe ich ein neues Stück Nachhaltigkeit zu packen gekriegt: Die eigenen Gewohnheiten durchbrechen und den negativen Folgen der Globalisierung ein Stück Beteiligung entziehen.

Im Anschluss an diese etwas andere Stadtführung stehen wir noch eine ganze Weile zusammen und diskutieren darüber, wie komplex das Thema Nachhaltigkeit ist. Einige sind wild entschlossen, ihre Bank und ihre Gewohnheiten unter die Lupe zu nehmen, andere halten ein nachhaltiges Leben auf Dauer für nicht durchführbar. Nachdem ich wieder im Clamartpark angekommen bin, ein paar Samenbomben gebastelt und einen köstlichen Veggieburger verspeist habe, komme ich darüber mit Leuten ins Gespräch, die bei der Bürgerinitiative DialogN an runden Tischen mitwirken. Sie bestätigen mir alle, was ich schon ahnte: Nachhaltigkeit wird nur greifbar, wenn man sie in ihre Einzelteile zerlegt aber dann kann jeder etwas tun. Der Prozess ist langwierig und der Ausgang unklar, aber ist das nicht bei jedem Abenteuer so?

Featured Image: J. Barthel



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